Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

FÜR WÜRTTEMBERG 
BADEN HESSEN EL 
SAS S - LOTHRINGEN 
Inhalt: Das deutsche Miethaus. — Der Bund Heimatschutz. — Das neue Reichsgesetz gegen den 
unlauteren Wettbewerb (Fortsetzung), — Die württembergische Baugewerksberufsgenossensohaft. — 
Bauteohnische Rundschau. — Vereiusmitteilungen. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. — 
Personalien. — Briefkasten. 
Alle Rechte Vorbehalten 
Das deutsche Mietliaus 
In den Bauaufgaben der Großstädte bildet das Miet 
baus immer noch das Stiefkind. Der Umstand, daß es 
nicht aus Liebhaberei oder dem Wohnungsbedürfnis des 
Bauherrn entsteht, sondern eine Ware ist, die zum Ver 
kauf oder zur Vermietung gestellt wird, erklärt schon 
den Mangel an Kunst und Zweckmäßigkeit, der ihm 
meist anhaftet. Es liegt auf der Hand, daß eine Besse 
rung im Miethausbau zu einem abgerundeten logischen 
Ganzen erst dann zu erwarten ist, wenn die rein mate 
riellen Bedürfnisse eines Volks bis zu einem gewissen 
Grad erfüllt sind, weil erst dann die mehr geistigen 
Werte geschätzt werden. Wir können erst dann eine 
ästhetische Kultur haben, wenn die materielle Bewegung 
überwunden ist und in eine Phase tritt, wo die geistigen 
und künstlerischen Werte steigen. Von dieser allgemeinen 
Hebung künstlerischer Kultur werden wir auch für das Miet 
haus das meiste zu erwarten haben. Hier können nur Auf 
klärungen helfen. Wir begrüßen es daher mit Genugtuung, 
daß ein bewährter Architekt es unternommen, in einem 
soeben erschienenen Werke*) einen wertvollen Beitrag zu 
diesem wichtigen Kapitel zu liefern, der durch eine stattliche 
Reihe von vorzüglichen Abbildungen veranschaulicht wird. 
Durch das Entgegenkommen der Verlagsfirma sind wir in 
der Lage, unsern Lesern einige Proben davon zu geben. 
Wie der Verfasser gründlich den Ursachen des Uebels 
nachgeht, so ist er auch darauf bedacht, durch Winke 
und Vorschläge eine Besserung im Miethausbauwesen her 
beizuführen. Sein Appell richtet sich zunächst sowohl 
an den Architekten wie an den Mieter. Den ersteren 
hält er vor, daß sie sich bisher zu wenig mit einer 
Materie beschäftigt haben, die doch neun Zehntel des 
Bauens aller Großstädte ausmacht. Zu dieser Gleich 
gültigkeit mögen verschiedene Gründe geführt haben, 
zunächst die persönliche Anschauung des Architekten, 
die ihn dazu führt, seine Aufgabe nur in der Lösung 
von Monumentalprojekten zu suchen oder aber doch nur 
in demjenigen Privatbau, der weniger eingeengt ist durch 
die haushälterische Verwendung der verfügbaren Mittel. 
Ein weiterer Grund liegt wohl darin, daß er es in den 
meisten Fällen mit einem Bauherrn zu tun hatte, der 
mit ihm nicht auf gleicher gesellschaftlicher Stufe, gleich 
hohem Empfinden stand. Nicht zum geringsten Teil ist 
*) Das deutsche Miethaus. Ein Beitrag zur Städtekultur der 
Gegenwart von Albert Geßner. Mit 220 Abbildungen, Grundrissen 
und Bebauungsplänen. Verlag von F. Bruckmann A.-G., München. 
In Leinen gebunden 8 M. 
es auch darauf zurückzuführen, daß die Unternehmet 
den Architekten entbehren zu können glauben oder ihn 
doch nur heranzuziehen suchten für das, was dem eignen 
Können nicht nur gänzlich abging, sondern von dem sie 
auch selbst überzeugt waren, daß sie es nicht leisten 
könnten, man denke nur an den Fassadenentwurf. Auf 
diese Weise ist in unsern Großstädten mit verschwinden 
den Ausnahmen eine Fassadenzeichnerei entstanden, die 
nicht zum wenigsten zu dem Scheinwesen dieser Miet 
hausarchitektur beigetragen hat. Die vielfache Aehnlich- 
keit der Miethausgrundrisse hat nämlich zu dem Glauben 
verführt, daß man zur Aufstellung und Ausarbeitung 
eines ganzen Entwurfs den Architekten entbehren könne. 
So werden denn in den meisten Fällen diese Grundrisse 
schablonenhaft von untergeordneten Kräften hergestellt 
und nur zur Erzeugung des schönen Scheines die Mit 
arbeit des Architekten beansprucht. Ein weiterer Grund 
dafür, daß so wenig Architekten sich mit dem Miethaus 
beschäftigen, dürfte der sein, daß letzteres eine Materie 
ist, die ein hundertfältiges Eingehen auf alle erdenklichen 
Dinge rein wirtschaftlicher Natur erfordert, wozu es 
vielfach den künstlerisch fähigen Architekten an Erfah 
rung fehlt oder denen er in den seltensten Fällen seine 
Zeit zu opfern gewillt ist. Solange unter den Archi 
tekten eine Geringschätzung für das Miethaus vorherrscht, 
sind sie selbst schuld daran, wenn auf Jahrzehnte, ja 
auf Jahrhunderte unsre Städte verunziert werden. 
Mit gleichem Nachdruck wendet sich der Verfasser 
an die Mieter, deren große Masse bei der zu mietenden 
W ohnung sich immer noch nicht von dem hohlen Schein 
abwenden und nicht zwischen prunkenden Surrogaten 
und gediegener Einfachheit unterscheiden. Der Mensch 
muß eben erst lernen, nicht mehr scheinen zu wollen, 
als er ist; er muß erst lernen, daß es unwürdig ist, sein 
gutes Bürgertum zu verleugnen und den Stand kopieren 
zu wollen, dem er nicht angehört. Der Salon beispiels 
weise, der häufig so gar nichts mit seinem Leben zu tun 
hat, muß ihm entbehrlich erscheinen, ja das ganze hohle 
Gesellschaftsleben der Großstadt muß er sich erst ab- 
gewöhnen, bevor er reif wird, sich eine Wohnung 
zu schaffen, die für seinen persönlichen Haushalt ge 
eignet ist. Er muß lernen, sich nicht vom Möbelhändler 
und Dekorateur einrichten zu lassen, sondern muß dies 
selbst tun, dann wird er von selbst allen überflüssigen 
Prunk vermeiden und in seinen Möbeln auf gediegene 
Sachlichkeit achten. Er wird es lernen, das von einem 
Künstler durchgebildete Miethaus von einem andern zu
	        

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