Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

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BAUZEITUNG 
Nr. 45 
bei 5 derselben mußte die Eidesleistung durch Voll 
streckung der gerichtlichen Haftbefehle erzwungen 
werden, 3 Sicherheitshypotheken auf Grundstücke der 
Mitglieder mußten eingetragen werden, die Ausfälle be 
trugen 17 524,65 M. = 1,32 «/„. 
Bei der Rheinisch-Westfälischen Baugewerks-Berufs- 
genossenschaft hatten 40 000 Mitglieder 3159450 M. auf 
zubringen. Anträge auf Stundung sind eingegangen von 
548 Mitgliedern, 17 629 Anträge auf Zwangsvollstreckung 
waren erforderlich, 3486 Pfändungsversuche blieben 
fruchtlos, 225 Mitglieder mußten zur Ableistung des 
Offenbarungseides geladen werden, bei 55 Mitgliedern 
mußte die Eidesleistung durch Vollstreckung der gericht 
lichen Haftbefehle erzwungen werden, die Ausfälle be 
trugen 154513,10 M. = 4,89«/„. 
Bei der Bayrischen Baugewerks-Berufsgenossenschaft 
hatten 12914 Mitglieder 2455860,22 M. aufzubringen; 
96 Stundungsanträge gingen ein, gegen 2576 Mitglieder 
war die Einleitung der Zwangsvollstreckung erforderlich, 
17 derselben mußten zur Ableistung des Offenbarungs 
eides geladen werden, 2 Mitglieder mußten durch Voll 
streckung der gerichtlichen Haftbefehle zur Eidesleistung 
gezwungen werden, 3 Sicherheitshypotheken wurden ein 
getragen, 38 Betriebe mußten wegen Zahlungsunfähigkeit 
gelöscht werden. 
Daraus ergibt sich wohl zur Genüge, daß eine große 
Zahl von Mitgliedern der Baugewerks-Berufsgenossen- 
schaften schon heute hart an der Grenze der Leistungs 
fähigkeit angekommen sind; weitere Lasten können diesen 
Unternehmern nicht auferlegt werden, ohne die wirt 
schaftliche Existenz derselben zu gefährden. Würden 
ihnen gleichwohl noch weitere, zumal unnütze und un 
produktive Belastungen für sozialpolitische Zwecke auf- 
gebtirdet werden, so müßten viele zugrunde gehen. Da 
durch würden aber nicht nur für das Baugewerbe, son 
dern zugleich für den Staat, die Gemeinden und zahl 
reiche andre Gewerbetreibende große Schäden herbeigeführt 
werden. Die Steuerkraft der Gewerbetreibenden ginge 
zurück, eine Mindereinnahme des Staates und der Ge 
meinden sowie zahlreiche Verluste der auf die Bau 
geschäfte angewiesenen Gewerbetreibenden wäre die Folge. 
Die Beweise dafür liefert die Wirtschaftsgeschichte aller 
Zeiten. Ob die Regierung es angesichts solcher Tat 
sachen und Feststellungen noch wagen wird, durch ihre 
Reichsversicherungsordnung dem Baugewerbe die enormen 
Lasten für die an sich entbehrlichen Versicherungsämter 
aufzuerlegen, das steht dahin; wir möchten vor einer 
derartigen Maßnahme eindringlich warnen. 
Die neue Bauordnung in der Ersten 
Kammer 
VL 
Zum Art. 29. 
Was ist aus den wenigen Zeilen des Regierungs 
entwurfes nun alles geworden? Erst will die Regierung 
bezüglich der Baudichte den Verordnungsweg beschreiten, 
dann muß sie — der Zweiten Kammer gehorchend — 
die Verordnung ausschalten und die generellsten Be 
stimmungen ins Gesetz aufnehmen, und nun kommt die 
Erste Kammer und hilft der Regierung, daß dieselbe 
ihre Wünsche, die in der Verordnung keinen Widerstand 
hatten, sicher ins Gesetz hineinbringt. Und es ist ein 
Glück, daß das Alphabet reicht, um die einzelnen Ar 
tikel dieses Artikels bezeichnen zu können. 
Es ist wohl über keine Vorschrift in Kreisen der 
praktischen Architekten und Techniker soviel Wider 
spruch erhoben worden, wie über den Art. 29 der Ersten 
Kammer. Es liegt dies allerdings wesentlich in der Natur 
der Sache. Bildet doch dieser Art. 29 den Grundgedanken, 
der jeder baulichen Ausnutzung eines Grundstücks voran 
gehen muß, und welcher der schaffenden Phantasie des 
Künstlers unabweisbare Grenzen setzt, wodurch diese 
wiederum autoritativ beeinflußt wird: das Recht wird 
zur Vernunft! 
Regierung und Landstände haben hier nicht nur die 
sozialen Wirkungen zu untersuchen, sondern auch jene 
Wirkungen, die derartige Vorschriften auf die Tätigkeit 
der schaffenden Künstler ausüben, und die Verantwor 
tung ist hierbei nicht geringer. Was nun will der 
schaffende Architekt? Vorschriften will er, und zwar 
solche, die den privaten Interessen zugunsten des öffent 
lichen Wohls gerechte Grenzen ziehen, keine Geheim 
wissenschaft bilden und den Schwachen wie den Starken 
gleichmäßig schützen und hemmen. Vorschriften, die 
das in praxi erzielen, was sie in Theorie beabsichtigen, 
und deren tatsächlicher Zweck mit dem in Einklang zu 
bringen ist, was Erfahrung und Wissenschaft fordert. 
Und nun zum Art. 29 der Ersten Kammer. Die Bau 
dichte wird geregelt Hand in Hand mit Art. 25 nach 
Abstandsmaßen, welche im Verhältnis zur Gebäude- 
bzw. Fensterhöhe bemessen sind. Für die Theorie ist 
dieses Abstandssystem einfach und sicher; die Theorie 
empfiehlt dasselbe auch aufs angelegentlichste, weil es schon 
viel gehandhabt wurde und sich somit bewährt hat. 
Theorie und Praxis sind in der Baupolizei nun meistens 
verschieden; vielfach hassen sie sich, und das ist der erste 
Grund des Tiefstandes unsrer Baupolizei. Die Theorie 
ist Leiterin und ist mit der Praxis nur durch über- 
schriebene Kanzleibogen verbunden. In der Tat weist 
dieses Abstandsystem große Schäden auf und namentlich 
bezüglich der Hygiene. An dieser Stelle sei hierzu 
folgendes angeführt: 
a) Die Gestalt des Gebäudes hängt von den Grenz 
linien des Grundstücks ab, und zwar nicht nur bezüglich 
der Grundform, sondern auch bezüglich der Gebäude 
höhen; dies führt erfahrungsgemäß zu Mißgestalten, die 
einer gesunden Aesthetik hohnsprechen. 
b) Die Abstandsbemessung der Lichtöfifnungen führt 
zu gemeinschaftlichen Lichtquellen bzw. Lichthöfen mit 
vertikaler Ventilation. Vom Standpunkt der Hygiene 
und insbesondere vom Standpunkt der Moral ist dies zu 
verwerfen. 
c) Die Ausnutzung der gesetzlich festgelegten, licht 
gebenden Abstände führt zur Schaffung langer, aber 
schmaler Räume mit ausschließlicher Kopfbelichtung; die 
Erste Kammer rechnet mit einer Gebäudetiefe von 
15 m und müsste das Kopflicht somit auf 7,50 m Tiefe 
genügen. (Schlafzimmerventilation ?) 
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d) Die Ausnutzung der kleinen Grundstücke ist gegen 
über großen Grundstücksflächen sehr erschwert; außer 
dem ist nicht die Größe des Grundstücks, sondern die 
absichtlichen oder zufälligen Grenzlinien für die Bau 
möglichkeit maßgebend, und da der Wert des Grund-
	        

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