FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN ELr
SASS-LOTHRINGEN
Stuttgart, 18. Dezember 1909
Nummer 51
Inhalt: Neubau des Waisenhauses Straßburg-Neudorf. — Der Kalkstein als modernes Baumaterial. —
Vereinsmitteilungen. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. — Bautechnisohe Rundschau. — Per
sonalien. — Bücher. — Briefkasten.
Alle Rechte Vorbehalten
Neubau des Waisenhauses Straßburg-Neudorf
Architekt Prof. Dr. Yetter 1 ein- Darmstadt
In den ersten Juniheften 1906 brachten wir eine
Veröffentlichung der preisgekrönten Entwürfe für einen
Neubau des Straßburger Waisenhauses. Aus der Kon
kurrenz ging damals als Sieger Prof. Dr. Vetterlein-Darm-
stadt hervor. Sein Projekt, das dem Bauprogramm gemäß
für 200 Zöglinge bestimmt war, mußte aber aus ökono
mischen Gründen — es sollte einen Kostenaufwand von
800000 M. erfordern — für eine geringere Zöglingszahl
reduziert werden. Der genannte Architekt erhielt dem
gemäß vom Verwaltungsrat der Zivilhospizien, dem das
Waisenhaus Straßburg
Waisenhaus unterstellt ist, den Auftrag, ein neues Projekt
für 160 Betten auszuarheiten. Die erforderliche Bau
summe stellte sich nur auf 680 000 M. Dieses Projekt
wurde gutgeheißen und zur Ausführung bestimmt.
Bezüglich der Platzfrage ist es nicht uninteressant,
die Vorgeschichte derselben kurz zu streifen. Als im
August 1904 das als Waisenhaus benutzte ehemalige
Kloster St. Magdalena ein Raub der Flammen geworden,
trat an die Stadtverwaltung und den Verwaltungsrat der
Zivilhospizien die Notwendigkeit eines Neubaus und zu
gleich die Frage heran, wo das künftige Waisenhaus zu
errichten sei. Gegen den Wiederaufbau an der alten
Stelle machten sich von vornherein Stimmen geltend.
Die dort stehengebliebenen Teile des alten Waisenhauses
eigneten sich nicht mehr zur Ueberbauung und waren
auch nur zum geringsten Teil unterkellert und daher
feucht. Dazu ist der ganze Komplex von hohen Ge
bäuden umgeben, zu denen noch die geplante Magdalenen-
kirche kommen wird, und Luft und Licht, welche Kinder
vor allem brauchen, haben von keiner Seite ungehinderten
Zutritt. In gerechter Würdigung der hygienischen Gründe
vertrat der damalige Beigeordnete und jetzige Bürger
meister, Dr. Schwander, den Grundsatz, das Waisenhaus
müsse heraus ins Freie, an einen Ort, wo Luft und Licht
ihm ungehindert Zuströmen können, heraus an eine Stelle,
wo eine dichte Ueberbauung für die Zukunft nicht zu
erwarten ist, heraus in einen Stadtteil, wo die Kinder,
die zu Arbeitern erzogen werden sollen, auch in un
mittelbarer Berührung mit der Arbeiterbevölkerung stehen.
So empfahl er die Erbauung des Waisenhauses auf dem
Preisgekröntes Projekt
Kiesgrubenplatz in Neudorf, auf einem freien Orte, der
in gärtnerische Anlagen umgewandelt werden wird,
in unmittelbarer Nachbarschaft der dortigen Kirchen und
Schulen. Nachdem auch die Sanitätsbehörden sehr warm
für diesen Vorschlag eingetreten, fand derselbe bei den
maßgebenden Stellen einstimmige Annahme.
Dies war Ende Januar 1907. Am 1. August desselben
Jahrs wurden die Maurerarbeiten ausgeschrieben, am
4. November erfolgte der erste Spatenstich, nach einem
vorausgegangenen Streik der Bauhilfsarbeiter. Zu An
fang des Jahres 1908 waren die Arbeiten sieben Wochen
eingestellt, am 3. Oktober war das Richtfest, und am
18. Oktober 1909 erfolgte die Gebrauchsabnahme.
Zur Vergleichung des ursprünglichen Projekts mit
dem zur Ausführung gekommenen haben wir das erstere
unsrer heutigen Veröffentlichung vorangestellt. Die zahl
reichen Abbildungen zeigen, daß der Architekt es ver
standen hat, den umfangreichen Bau bei aller Einfachheit
und Schlichtheit doch geschmackvoll und eindrucksvoll
zu gestalten und die ihm gestellte Aufgabe des Hervor-