Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

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BAUZEITUNG 
Nr. 52 
meine Fachgenossen vor Ueberraschungen, die ihnen bei 
einem Bauunfallprozeß möglicherweise widerfahren könnten, 
gewarnt zu haben. 
Stuttgart, den 20. Dezember 1909. A. Woltz. 
Reiclisfinanzen und Reiclisversiclierungs- 
ordnung 
Einige Monate nach Verabschiedung der heiß um- 
strittenenßeichsfinanzreform 
stehen die Reichsfinanzen 
bereits wieder auf der Tages 
ordnung. Ja, man kann 
direkt sagen, die Unglücks 
botschaften überstürzen sieb. 
Zuerst hieß es, daß 226 Mil 
lionen Mark Fehlbetrag aus 
dem Etatsjahre 1908/09 zu 
decken seien. Noch hatte man 
sich von diesem Schrecken 
nicht erholt, da wurden wir 
durch die Kunde überrascht, 
daß fast 600 Millionen Mark 
Rückstände aus den letzten 
vier Etatsjahren zu decken 
sein wüi-den. In anmutiger 
Steigerung der Effekte wurde 
uns schließlich mitgeteilt, 
daß nicht weniger als 744MÜ- 
lionen Mark aufzubringen 
sein würden. In einer letzten 
Notiz wurde dann ausge 
rechnet, daß „nur“ 501 Mil 
lionen Mark durch eine neue 
Anleihe aufzubringen sein 
würden. Ohne große Kom 
binationsgabe kann man Vor 
aussagen, daß es über diese 
Finanzwirtschaft in der be 
vorstehenden Reichstagsses 
sion zu bewegten Auseinan 
dersetzungen kommen wird. 
Eine halbe Milliarde 
neuer Anleihen, nachdem 
wir eben erst eine halbe 
Milliarde neuer Steuern auf 
uns haben nehmen müssen! 
Dem einfachen Staatsbürger, 
der in dieser teuern Zeit mit 
dem Pfennig rechnen muß, 
wird bei diesen Summen 
gruselig werden. Aber auch 
die Finanz- und Bankkreise 
sind unruhig geworden, als 
sie von der neuen Anleihe 
hörten. Der Markt der 
deutschen Anleihen gehört 
nämlich zu den Sorgenkindern 
der Finanz- und Bankwelt, 
ja der Regierung selbst. 
Zwar sind unsre Anleihen an sich unbedingt sicher. 
Aber es ist mit Staatspapieren doch wie mit jeder Ware; 
ist das Angebot zu groß, dann wird der Preis geworfen. 
So haben wir es erleben müssen, daß der Kurs der 
deutschen Anleihen in einer Weise zurückgegangen ist, 
welche alle beteiligten Kreise zu ernstem Nachdenken 
anregte. Man hat verschiedene Mittel vorgeschlagen, 
um den Kurs dieser Anleihen zu halten und zu bessern. 
Aber es gibt in Wirklichkeit nur ein Mittel: man muß 
weniger Anleihen machen. Man muß den bestehenden 
Anleihen Zeit lassen, daß sie dauernd untergebracht 
werden. Das aber wird nicht geschehen, wenn jetzt 
schon wieder eine neue Anleihe von einer halben 
Milliarde Mark an den Markt gelangt. Insofern führt 
die Reichsfinanzwirtschaft auch zu einer materiellen 
Schädigung aller Leute, welche deutsche Anleihen be 
sitzen. 
Mit der halben Milliarde Mark ist es aber nicht 
getan. Halbamtlich ist nämlich bereits ausgerechnet 
worden, daß in den Jahren 1910/11 neue große Ausgaben 
bevorstehen. So werden die Besoldungserhöhungen ihre 
Wirkungen auf die Etats 
zeigen. Man will eine Hinter 
bliebenenversorgung schaf 
fen. Mit der Aufzehrung des 
Invalidenfonds werden des 
sen Ausgaben dem allgemei 
nen Etat zur Last fallen. Es 
sollen Schulden getilgt, hö 
here Pensionen bezahlt, neue 
Ausgaben für die Marine be 
stritten werden; und dabei 
steht es noch gar nicht fest, 
daß die Steuern aus der 
letzten Reichsfinanzreform 
auch wirklich die gewünsch 
ten Ergebnisse bringen wer 
den. 
So stehen wir steigenden 
Ausgaben und voraussicht 
lich unzureichenden Einnah 
men gegenüber. Der neue 
Schatzsekretär hat deshalb 
die Parole ausgegeben: 
strengste Sparsamkeit. Ins 
besondere hat auch der 
Reichskanzler angeordnet, 
daß in der Vermehrung von 
Beamtenstellen die äußerste 
Sparsamkeit beobachtet wer 
den solle. 
Trotzdem soll dem Reichs 
tage in dem Entwürfe der 
Reichsversicherungsordnung 
eineGesetzes Vorlage zugehen, 
welche neue kolossale Lasten 
bringen wird. Wir denken 
hierbei vor allem an die 
Schaffung derYersicherungs- 
ämter, welche ungezählte 
Millionen neuer Ausgaben 
verursachen werden. Indu 
strie , gewerblicher Mittel 
stand und Landwirtschaft 
haben einmütig gegen diese 
unproduktive Belastung pro 
testiert; und mit Recht. 
Eben haben wir erst im 
Reiche, in Preußen, in an 
dern Einzelstaaten und in 
zahllosen Gemeinden Hun 
derte von Millionen Mark 
für Verbesserung von Beamtenbesoldungen aufgewendet; 
Preußen allein steht in Kürze vor einem Pensionsetat 
von 130 Millionen Mark für sein Beamtenheer. Da ist 
es begreiflich, wenn in weitesten Kreisen der Ruf er 
schallt: Nun ist es genug! Selbstverständlich wünscht 
jeder Staatsbürger, daß die Beamten in angemessener 
Weise für ihre Leistungen bezahlt werden. Aber die 
bedrohliche Lage der Reichsfinanzen fordert dringend, 
daß nicht abermals Tausende neuer Beamtenstellen ge 
schaffen werden für Geschäfte, die bereits jetzt von der 
Selbstverwaltung in befriedigenderWeise erledigt werden. 
Waisenhaus Straßburg Durchblick nach dem Hauptbau
	        
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