Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

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B AÜZElTUNGr 
Nr. 7 
Die städtisclie Volksschule] 
Im Stadtbild muß außer dem Rathause und der Kirche 
auch der Volksschule repräsentative Architekturwirkung 
gesichert sein. Schon in der Wahl des für die Schule be 
stimmten Platzes erheischt diese Notwendigkeit dringende 
Berücksichtigung. Nicht etwa die verkehrstechnische Be 
deutsamkeit, sondern der baukünstlerische AVert des Platzes 
muß da entscheiden. Eine freie Straßenerweiterung, ein 
kleiner Stadtplatz, auch wohl ein im Stadtbezirk liegendes 
Höhenniveau gehen hier fraglos die erfolgreichsten 
Wirkungsmöglichkeiten. Von sehr seltenen Ausnahmen 
abgesehen, hat sich aber das städtische Volksschulhaus 
durchweg mit zahlreichen andern Bauten in das gleiche 
Platzniveau zu teilen. Hieraus ergeben sich denn für 
Raumplanung und Bauausgestaltung des städtischen Volks 
schulhauses meist sehr erhebliche Schwiei’igkeiten. Hie 
endgültige Entscheidung der Platzfrage kann daher nie 
ohne vorherige Anhörung des Schulhausarchitekten fallen. 
Er muß es doch schließlich am besten wissen, welche 
Baulandverhältnisse sowohl nach Platzgestalt wie nach 
Platznachbarschaft seinem Schulhausprojekt die schönste 
AVirkung verbürgen. 
Nichts ist für den baukünstlerischen Gesamteindruck 
der Volksschule verderblicher, als die Anwendung von 
Normalgruudsätzen. Schon in der Grundrißlösung und 
in der Verteilung der Baumassen müssen die künst 
lerischen und die unterrichtstechnischen Gesichtspunkte 
von Fall zu Fall erledigt werden. Die Möglichkeit einer 
ausgiebigen Nutzung des Tageslichtes für die ünterrichts- 
räume ist wohl stets eine verschiedene. Auch die Siche 
rung der Unterrichtsstunden gegen den Straßenlärm und 
die Plagen der Sonnenglut kann sich nie und nimmer 
nach fertigem Schema befriedigend erfüllen lassen. Und 
nun gar erst die Durchführung gruppenbildender Bau 
werte. Da ist beispielsweise die Entscheidung der Frage, 
wie die Lehrerwohnung am zweckmäßigsten unterzubringen 
ist, sehr entschieden von den Platzverhältnissen abhängig. 
Sanitäre Rücksichten verlangen da, daß die Lehrerwohnung, 
wenn eben möglich, in besonderen Bauteilen vorgesehen 
wird. Am besten dergestalt, daß sie zwar zum Ganzen 
des Schulhausprojektes gehören und so mit dem Unter 
richtsgebäude eine Baueinheit ausmachen, aber dabei 
doch in jedem Falle örtlich vom Klassengebäude ge 
trennt sind. Bei besonders knappen Raumverhältnissen 
muß man sich damit begnügen, das Lehrerhaus an das 
Schulhaus anzubauen, oder, wo selbst das nicht mehr 
durchzuführen ist, gilt es, die Lehrerwohnung im Lehr 
gebäude jedenfalls mit besonderem Treppenhaus auszu 
statten. 
Dies Zusammentreffen und Zusammenwirken schul 
technischer und baukünstlerischer Faktoren zeigt sich 
noch deutlicher da, wo Knaben- und Mädchenschule im 
nämlichen Gebäude unterzubringen sind. Hier eine 
Trennung der Geschlechter durchzuführen, wird um so 
schwieriger dann, wenn einzelne Teilbauten, wie etwa 
die Turnhalle, dem gemeinsamen Gebrauche bald der 
Knaben, bald der Mädchen zugewiesen sein sollen. Nach 
Gestalt, Lage und Umgebung des Bauplatzes sind auch 
hier die Lösungsmöglichkeiten sehr großem Wechsel 
unterworfen. 
Aber auch für die innere Raumaufteilung ist künst 
lerisches Schaffen nicht möglich, wo man sich der Herr 
schaft von Schablone und Schema beugt. Raumkunst 
und Raumstimmung im Schulhause zu erwirken, wird 
nie und nimmer gelingen, wofern man nicht den tradi 
tionellen Zwang mathematischer Regelmäßigkeit von sich 
selbst abschüttelt und von den einzelnen Raumteilen. 
Gerade durch die freiwaltende Schöpfung vou Kontrasten 
in der Raumfolge wird die künstlerische AViedergeburt 
der städtischen Volksschule wesentlich eingeleitet. Frei 
lich darf das nicht auf Kosten der inneren Geschlossen 
heit des Gesamtbildes geschehen. Wohl aber ist bei der 
Raumplanung ernstlich zu bedenken, daß die besonderen 
örtlichen Schulbedürfnisse jedesmal ein anders geartetes 
Arbeitsleben im Schulhausinnern bedingen. Der Grund 
satz, daß wir nicht für die Schule lernen, sondern für 
das Leben, ist wohl nie so stürmisch betont worden wie 
in unsern allem bloßen Formelwesen abgewandten Tagen. 
Und so ist es gerade ein typischer Zug unsrer Zeit, daß 
wir in der Volksschule eine Stätte erblicken, die mit 
unbedingter Ehrlichkeit die ihr anvertrauten Menschheits 
neulinge für das vielgestaltige Leben vorzubereiten die 
Pflicht hat. Und aus diesem Grunde verlangen wir mit 
Recht, daß man im Schulhause auch Platz finde für 
Schulwerkstätten, Schulküchen und ähnliche dem späteren 
Lebensbedarf fördersame Disziplinen. 
Das sind Gesichtspunkte, die in erster Linie die 
innere Raumkunst des Schulhauses prägen. Zugleich liegt 
aber in diesen verschiedenen Zweckverhältnissen des 
Rauminnern auch die Grundlage, auf der wir zu einem 
würdigen und erschöpfenden Ausdruck der äußeren Bau 
formen des Volksschulhauses gelangen. Jede neu er- 
steheude Volksschule darf in ihrer Architektur nicht das 
mindeste Hehl daraus machen, daß in einer reichgestal 
teten inneren Zweckordnung das bauorganische Leben 
der architektonischen Gesamtanlage begründet ist. 
Freilich ist dabei noch ein Zweites zu berücksich 
tigen : die Kiudesseele. In einfachsten baukünstlerischen 
Ausdrucksmitteln soll die Volksschule eine dem auf 
nahmefrohen Kindersinne traute Sprache führen. Daß 
dabei ein erheblicher Unterschied zwischen Großstadt 
und Kleinstadt zu machen ist, liegt auf der Hand. Die 
Schule einer Millionenstadt muß, wenn sie von den sie 
umgebenden Prachtbauten nicht erdrückt werden will, 
gleichfalls bis zu einem gewissen Grade auf imposante 
architektonische Haltung sehen. Würde das aber nun 
auch unterschiedslos in die Kleinstadt übernommen, so 
müßte hier das in der Großstadt künstlerisch Empfun 
dene doch nur als hohle Protzerei wirken. Und dies um 
so mehr, als der aufgeschlossene Sinn des Großstadt 
kindes unstreitig viel intensivere architektonische Kunst 
mittel verträgt und verlangt, als das in bescheidenen 
Verhältnissen aufgewachsene Kind der Kleinstadt. An 
diesem Unterschiede muß grundsätzlich festgehalten wer 
den, wenn wir die mit dem Bau der städtischen Volks 
schule unverkennbar verbundene künstlerische Kultur 
aufgabe recht erfassen und erfüllen wollen. 
Franz Fammler.
	        

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