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BAÜZE1TUNG
Nr. 8
Blick auf die Ulmer Stadtmauer Verlag von Albert Naumann-Ulm
Blauläufen, welche durch die Stadtmauer hindurch der
Donau zufließen, all das bietet eine Fundgrube von be
merkenswerten Ansichten, deren Erhaltung aller Mühe
wert ist. Schon mehrfach drohte freilich die Störung
dieser vielbewunderten Einheit. Das Projekt, große
öffentliche Gebäude, wie ein Justizgebäude, ein Schul
haus, an die Stadtmauer zu legen, tauchte verschiedene-
mal auf, wurde aber immer wieder einmütig von der
Ulmer Stadtverwaltung abgelehnt. Als ein Kaufhaus in
der Nähe der Brücke, von der Herdbruckerstraße durch
greifend, mit einer modern in Zement und Backstein aus
geführten Fassade mit Mansardendach die Stadtmauer
front entstellte, ruhte die öffentliche Stimme nicht, bis
ein Umbau diese Abnormität beseitigte und eine ent
sprechende Ansicht geschaffen war.
Das neueste Projekt für eine größere Veränderung an
der Stadtmauer geht dahin, an Stelle des Quartiers
zwischen Rathaus und Metzgerturm, dessen viele kleine
Anwesen die Stadtgemeinde an sich gebracht hat, unter
Erhaltung des alten Turms und in architektonischer Ver
bindung mit demselben ein Stadtbad zu erbauen. Die
Aufgabe, diesen Gebäudekomplex in den Rahmen des
wundervollen alten Stadtbilds hineinzustellen, dürfte zu
den schwierigsten architektonischen Arbeiten gehören.
Auch die längst aufgetauchte Absicht, an Stelle des
Stadtmauergangs eine Uferstraße zu erbauen, wird mit
der weiteren Entwicklung der Stadt Gestalt gewinnen.
Im Westen entsteht rasch ein neues Baugebiet, das neben
einer zahlreichen Arbeiterbevölkerung auch Militär sowie
Angehörige der höheren Stände aufnimmt. Von dort
entwickelt sich ein immer wachsender Verkehr gegen
Osten zum Stadtpark in der Friedrichsau und zu den
schönen Geländen der Böfinger Halde, der mit der Zeit
nicht mehr durch die engen Straßen der Altstadt geleitet
werden kann. Hier bietet die neue Verkehrsstraße entlang
der Donau eine willkommene Gelegenheit zur Entlastung.
Aber auch der Aufschluß des alten Stadtgebiets gegen Süden,
wo bis jetzt jeder Verkehr, der nicht zum Wasser geht,
ein Ende nimmt, erfordert dringend die Anlegung einer
hochwasserfreien Fahrstraße entlang der Donau. Freilich
muß hiermit, und das ist der wunde Punkt, die alte
Stadtmauer in ihrer gegenwärtigen Lage und Beschaffen
heit größtenteils verschwinden. Um Raum für Neubauten
an der Innenseite zu gewinnen, muß die neue Straße
mehr gegen die Donau gerückt werden und damit einen
Teil [des Vorlandes in Anspruch nehmen, dessen Rest
noch dem Ländeverkehr, hauptsächlich für Kiesmaterial,
dienen muß, und für den die alten Zufahrten zur Stadt
unter der neuen Straße hindurch offen erhalten werden
müssen. Das Projekt hat somit auch die Schiffahrts
interessen zu berücksichtigen, die später, wenn die Donau
einmal kanalisiert sein wird, in Ulm eine große Rolle
spielen werden.
Eine besondere Eigentümlichkeit der Aussicht von
dem hochgelegenen Mauergang und nicht deren ge
ringste Schönheit bildet der Einblick in das Quartier
„Unter den Fischern“. Außerhalb der sog. Staufenmauer,
deren Reste mit ihren Buckelquadern am Fuß des Wein
hofs in der Schwörhausgasse noch erhalten sind, hat sich
im Lauf der Jahrhunderte eine abgesonderte Nieder
lassung gebildet, deren altertümlicher Charakter bis auf
die Einzelheiten heute noch unverfälscht erhalten ist.
Zwei inselbildende Blaukanäle mit ihren Werken durch
ziehen das gegen die Donau fallende Gelände und geben
demselben frisches, strömendes Leben. Hier in wohl-
häbigen großen und kleinen Giebelhäusern wohnt an den
geräumigen Gassen und Plätzchen alles, was mit dem
Wasser in nähere Berührung tritt, vor allem aber der
Stand der Schiffer und Fischer, deren früher so zahl
reiche und hochangesehene Zunft nunmehr auf wenige
Vertreter zusammengeschmolzen ist. Das interessante
Viertel zeigt kein verwirrendes Durcheinander von Gassen,
sondern die klare Erstreckung der Hauptrichtungen ent
lang dem fließenden Wasser mit den notwendigen Quer
verbindungen und angemessenen Erweiterungen an den
Knotenpunkten. Hier lebten die Männer, die trotz aller
Hindernisse in Form neuer Verkehrsverhältnisse den
Frachtschiffverkehr douauabwärts nach Wien und Pest
bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf-
rechterhielben und an dessen Aufhören zugrunde gingen.
Von der uralten Schifferwohnstätte gelangen wir unmittel
bar zum Anstieg auf die Reste der mittelalterlichen
Bastionen gegen Westen, die in ihrer äußeren Gestaltung
noch erhalten sind und ein Promenadenviertel tragen,
dessen Bewohner zu den bevorzugten Bürgern der Stadt
zählen. Inmitten prachtvoller Gärten gelegen, ergeben
ihre Villen reizende Ausblicke einerseits auf die Stadt
mit dem Münster, anderseits auf das Gelände an der
Donau und Iller oberhalb der Stadt, während sie selbst
von dem umgebenden Getriebe abgeschieden sind durch