Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

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BAUZEIT1JNG 
Nr. 8 
Alter Ulmer Giebel unter der Metzig mit Münsterspitze. Von der 
Stadtmauer aus gesehen. Kunstverlag von Fritz Heira-Ulm 
kontrolleure nicht bekannt? Ist ihm nicht bekannt, mit 
welcher Schroffheit damals dem Arbeitgeberverband so 
gar die Legitimation zur Anbringung solcher Beschwerden 
abgesprochen wurde? Freilich ist es da nicht wunder- 
zunehmen, wenn die Unternehmer weitere Beschwerden 
nicht mehr zur Kenntnis des Magistrats gebracht haben. 
Aber davon wenigstens müßte ein Münchner Abgeord 
neter Kenntnis haben, daß im Jahre 1904 der Münchner 
Arbeitgeberverband für das Baugewerbe in einer Petition 
an den bayrischen Landtag sich gegen die Anstellung 
von Arbeitern als Baukontrolleure ausgesprochen hat, 
wahrscheinlich deshalb, weil man in München mit der 
bestehenden Einrichtung nicht so ganz zufrieden war, 
als Herr Wölzl im Reichstag glaublich machte. Seine 
Ausführungen ließen den Schluß zu, als ob in München 
alles in schönster Ordnung sei und auch die Unternehmer 
mit dieser Einrichtung sympathisieren. Und doch ist das 
Gegenteil davon richtig. Denn die Ansicht der Unter 
nehmer hat sich seit den Jahren 1901 und 1904 noch 
nicht geändert, wie aus einem auf Verlangen an den 
Kgl. Gewerberat für Oberbayern ergangenen Gutachten 
vom Oktober 1907 hervorgeht, das natürlich Herr Wölzl 
ebenfalls nicht gekannt hat und das im Auszug wie 
folgt lautet: 
„Was nun unsre Erfahrungen über die Baukontrol 
leure aus dem Arheiterstande anlangt, so ist nach Art 
der Fragestellung das subjektive Moment auszuscheiden, 
es handelt sich lediglich um die prinzipielle Frage, wie 
sich diese Einrichtung bewährt hat. In dem Betreff 
können wir Ihnen nur sagen, daß wir nichts Besseres 
tun können, als uns dem Urteil anzuschließen, welches 
die Vertreter der verbündeten Regierungen in der elften 
Kommission desDeutschen Reichstags vom November 1906 
(Nr. 101 der Drucksachen der elften Legislaturperiode) bei 
denVerhandlungen über die Baukontrolleure durch Arbeiter 
gefällt haben. Der eine Regierungsvertreter führt aus: 
,Zunächst fehlt selbst den tüchtigen, zuverlässigen und 
erfahrenen Arbeitern der Ueberblick über die mannig 
fachen Vorgänge und Einrichtungen auf dem Bau, nament 
lich wenn es sich um komplizierte Maschinen, z. B. Schöpf 
maschinen bei Gründungen, Maschinen zur Senkung des 
Grundwasserspiegels, elektrische Materialaufzüge, um 
Eisenkonstruktionen, namentlich um Betoneisenkonstruk 
tionen handelt, wozu eine Beherrschung der Statik und 
Mechanik gehört. Aber selbst hiervon abgesehen, ist in 
Abrede zu stellen, daß der Arbeiterkontrolleur die 
Stabilität einfacher Stangen und Rüstungen und ihre 
Tragfähigkeit zu beurteilen imstande ist; der Versuch, 
durch den Arheiterkontrolleur die Zahl der Ziegelsteine 
bestimmen zu lassen, welche auf ein Gerüstfeld abge 
worfen werden darf, würde bestimmt mißglücken. Aber 
auch die richtige Beurteilung der Feuerungsanlagen, der 
Verankerungen, der Stärke der Bogen und Widerlager, 
die Vergleichung des Belastungsbildes in der Ausführung 
mit dem in der statischen Berechnung, das Urteil über 
die auf der Baustelle vorhandenen Baumaterialien, nament 
lich wenn es sich um die vielen neuen Surrogate handelt, 
sind Dinge, welche außerhalb der Sphäre eines selbst 
tüchtigen Arbeiters liegen? 
Weiters wurde seitens eines andern Regierungs 
vertreters ausgeführt: ,Bauaufseher ohne hin 
reichend technische Vorbildung, welche ledig 
lich die praktische Erfahrung des Arbeiters 
besitzen, würden nicht in der Lage sein, eine 
einigermaßen zulängliche Kontrolle auszuüben. 
Dagegen ist die Befürchtung nicht ausgeschlossen, daß 
die Anstellung derartiger Aufseher zur Vermehrung des 
Unfriedens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern 
beitragen würde? — Diese von autoritativer Seite aus 
gesprochenen Urteile haben sich hier als vollauf richtig 
erwiesen. Einzelne auf Spekulationsbauten, die von 
Nichtfachkundigen geleitet wurden, vorgekommene Fälle 
spielen für die Allgemeinheit keine Rolle, zählen nicht mit. 
Bemerkt möchte noch werden, daß es unsre anerkannt 
tüchtigen Architekten und Baumeister stets als eine 
Anomalie betrachtet haben, von Baukontrolleuren beauf 
sichtigt und kontrolliert zu werden, denen, wie oben 
ausgeführt, jede Vorbildung und Befähigung hierzu fehlt. 
Es wurde seinerzeit ins Feld geführt, daß diese Ein 
richtung eine Verringerung der Bauunfälle im Gefolge 
haben werde. Die Statistik der bayrischen Baugewerks 
berufsgenossenschaft weist das Gegenteil auf. Ein Blick 
auf die,Dienstesinstruktion für die Baukontrolleure', welche 
die hiesige Lokalbaukommission aufgestellt hat, mutet, 
ganz konform mit den zitierten Urteilen der Regierungs 
vertreter, den Baukontrolleuren Aufgaben zu, denen sie 
einfach nicht gewachsen sind. 
Nicht unterlassen können wir die Konstatierung, daß 
diese Einrichtung auch in Fällen versagt hat, wo es an 
der Fähigkeit der betreffenden Beamten nicht gemangelt 
hätte, wir meinen die Kontrolle der Einhaltung jener 
oberpolizeilichen Vorschrift, wonach der Genuß geistiger 
Getränke auf Baustellen während der Arbeitszeit ver 
boten ist. Hat es dieserhalb, wenn die Baumeister oder 
deren Beauftragte auf Einhaltung dieser Vorschrift dringen 
wollten, doch schon mehrfach Arbeitseinstellungen gegeben. 
Daß viele Bauunfälle, besonders in München, auf Nicht 
einhaltung dieser sozusagen nur auf dem Papier stehenden 
Vorschrift zurückzuführen sind, ist eine bekannte Tat 
sache; wir allein sind eben machtlos. Daß wir unter 
solchen Umständen die Ausdehnung dieser Einrichtung 
nur dann empfehlen können, wenn technisch ausreichend 
vorgebildete und praktisch erfahrene Kontrolleure ange 
stellt werden, liegt auf der Hand.“ 
Daß dieses Gutachten doch einigen Anspruch auf 
Berücksichtigung hat, möge daraus hervorgehen, daß der
	        

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