Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

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BAUZEITUNG 
Nr. 9 
Ländliche Bauten 
der vielen Spezialfächer zuzuweuden. Der Studierende 
der Architektur wird wissen, ob er freier Künstler 
architekt, ausführender Baumeister oder Beamter einer 
öffentlichen Körperschaft werden will. Der Ingenieur 
wird eine ähnliche Wahl treffen, und sich dabei auch 
noch für Straßen- und Wasserbau, Eisenbahnwesen oder 
städtisches Tiefbauwesen entscheiden können. 
Sind nun die Studierenden der technischen Hoch 
schulen vor allzufrüher Einseitigkeit bewahrt und auf 
Allgemeines hingelenkt und darin gefestigt, so gilt es, 
sie nach dem Eintritt in die Berufstätigkeit in dieser 
geistigen Eichtung zu erhalten und weiter zu fördern. In 
den großen privaten und öffentlichen Unternehmungen ist 
eine das einzelne Organ einschränkende Ordnung uner 
läßlich, die sehr viele Architekten und Ingenieure in einem 
Konstruktionshureau oder einer sonstigen Abteilung zurück 
hält. Es gehört große Fähigkeit, Kraft und Gewandtheit 
dazu, in andre Abteilungen überzugehen, vor allem in 
nicht technische, und sich so einen Einblick in das Ganze 
des Unternehmens zu schaffen. Immerhin hat die Privat 
wirtschaft unmittelbares Interesse und genügende Frei 
heit, dem Streben in die Weite Kechnung zu tragen. Sie 
sucht nach solchen Naturen und hat kein Vorurteil, sie 
aus technischen Kreisen zu nehmen, wenn sie dort vor 
handen sind. Viel schwieriger liegen die Verhältnisse 
in den öffentlichen Verwaltungskörpern. Wenn in den 
öffentlichen Verwaltungskörpern Deutschlands das juristisch 
vorgebildete Element herrschend geworden und bis heute 
geblieben ist, so ist dies aus verschiedenen Gründen zwar 
erklärlich, aber unter den heutigen Lebensverhältnissen 
nicht mehr gerechtfertigt. Es ist auch dui’chaus nicht 
das Studium der Rechtswissenschaften, sondern die nun 
einmal ausschließlich den Juristen zugestandene prak 
tische Uebung in der Verwaltungstätigkeit, die sie 
notwendigerweise auch die Spitzen einnehmen läßt. Ent 
gegen der einseitigen Tätigkeit des Technikers geht 
durch die Hände des jungen Verwaltungsjuristen eine 
Fülle von verschiedenen Angelegenheiten. Er gewinnt 
vollen Einblick in die verschiedenartigsten Verhältnisse, 
Menschenkenntnis, Ausdrucksfähigkeit und persönliche 
Gewandtheit, ohne daß Nennenswertes aus seinem 
früheren Studium in Anspruch genommen würde. Es ist 
aber gar nicht abzusehen, warum ein junger Techniker, 
besonders einer mit der neuen Vorbildung, nicht dasselbe 
sollte leisten und erringen können, wenn er nur Erlaub 
nis und Anleitung dazu bekäme. 
Die Verwaltung hat die Schwächen ihrer 
heutigen Einrichtung erkannt, und sie sucht 
selbst nach Abhilfemitteln, indem sie den an 
gehenden und den älteren juristischen Ver 
waltungsbeamten nicht bloß im Rahmen der 
Verwaltung selbst, sondern auch außerhalb 
desselben in Kursen an Hochschulen, in freien 
Instituten und in der Privatindustrie Gelegen 
heit schafft zu Studien und Erfahrung auf 
wirtschaftlichem, sozialem und technischem 
Gebiete. Die heutige Verwaltung steht also 
auf ganz demselben Standpunkte wie die 
Techniker. Sie erkennt an, daß für ihre 
Verwaltungszwecke die einseitige juristische 
Bildung nicht ausreicht. Der Techniker er 
greift auch dieselben Hilfsmittel wie die Ver 
waltung, um den Gesichtskreis seiner Ange 
hörigen zu erweitern. Die Anregung staat 
licher Behörden, daß juristische Verwaltuugs- 
beamte vorübergehend Beschäftigung bei 
Banken, in größeren Fabriken und in sonstigen 
Privatunternohmungen finden möchten, hat der 
Verein deutscher Ingenieure in seiner letzt 
jährigen Hauptversammlung zu Dresden mit 
dem Satz erwidert: 
,Wir wünschen, daß den Diplom 
ingenieuren an allen staatlichen, kommunalen 
und privaten Stellen Gelegenheit zur Ver 
waltungsausübung geboten werde.' 
Wenn ein Verein, dessen Mitglieder vorwiegend der 
Privatindustrie angehören, solchen Antrag stellt, so wird 
er in gleicher Fassung als zweiter Hauptwunsch unsers 
Verbandes, dem gewiß zur Hälfte technische Beamte 
öffentlicher Körperschaften angehören, erst recht Berück 
sichtigung erwarten können. 
Wie soll nun die neue Verwaltung beschaffen sein? 
Wollte man einen neuen Stand ausbilden, dessen An 
gehörige Juristen, Kaufleute und Techniker zugleich sein 
sollen, so kann es geschehen, daß sie nichts von alledem 
werden und auf jedem Gebiete von den eigentlichen Fach 
leuten abhängig sind. Man führe statt dessen den Juristen 
auch in Wirtschaftslehre und Technik ein, den Techniker 
in Rechts- und Wirtschaftslehre, und den Kaufmann in 
Rechtslehre und Technik, und stelle dann alle drei zu 
gemeinsamen Arbeiten an; in gleichberechtigtem Wett 
eifer wird ganz sicher der rechte Mann an den rechten 
Platz gelangen. 
Nochmals stehen wir mit dem dritten unsrer 
Hauptwünsche neben dem Verein deutscher Ingenieure, 
indem wir aussprechen: 
,Wir halten es für erforderlich, daß die 
Aemter der staatlichen und kommunalen 
Verwaltungen den Akademikern aller Be 
rufsklassen zugänglich gemacht werden, so 
fern sie sich die entsprechenden Kenntnisse 
erworben haben.' 
Indem der Vortragende die leitenden Gedanken noch 
einmal kurz zusammenfaßte, namentlich auch betonte, daß 
die Techniker nichts verlangen, als wozu sie sich selbst 
würdig gemacht haben und noch würdiger machen wollen, 
schloß er mit den eindringlichen Worten: 
Nicht wegen uns, für des Vaterlandes 
Wohl erheben wir unsre Stimme.“ 
Das sind in kurzem die Ausführungen des Verbands- 
vorsitzeuden. Auf die Besprechung, die sich daran an 
schloß, im einzelnen zurückzukommen, würde zu weit 
führen. Es darf nur hervorgehoben werden, daß die 
sämtlichen Redner, noch erfüllt von dem Eindruck der 
meisterhaften Rede Reverdys, in überaus warmer und 
sympathischer Weise ihre Zustimmung zu der aus der 
Rede hervorgehenden Auffassung aussprachen. Die all 
seitige Uebereinstimmung zeigte zugleich, wie in allen
	        

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