X. Jahrgang
Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen,
Elsaß-Lothringen
Stuttgart, 26. Juli 1913
Inhalt: Muster einer Ortsbausatzung. — Kleinstadtkirche. — Zur Vorbildungsfrage des mittleren ßautechnikers. — Das Bürgerhaus in
der Schweiz. — Vereinsmitteilungen. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. — Personalien.
Muster einer Ortsbausatzung
über die Heranziehung der Grundeigentümer zur Herstellung der Ortsstraßen und ihrer Gehwege.
Von Baurat Irion-Stuttgart.
In den Nummern 8 und 9 des laufenden Jahrgangs der
Württembergischen Gemeindezeitung sind eingehende
Ausführungen über die Aufstellung von Ortsbausatzungen
enthalten und ist dort den Gemeinden nahegelegt worden,
von der ihnen durch die Bauordnung eingeräumten Befug
nis, neben den landesgesetzlichen Vorschriften ein beson
deres örtliches Baurecht zu schaffen, nur unter sorgfäl
tiger Abwägung aller in Betracht kommenden örtlichen
Verhältnisse und unter weiser Beschränkung auf das Not
wendige Gebrauch zu machen. Es ist dargetan, daß es
sich aus diesem Grunde nicht empfiehlt, gleichmäßige Sat
zungen für die Gemeinden ganzer Bezirke aufzustellen,
und daß namentlich davor zu warnen ist, genehmigte Sat
zungen von Gemeinden wähl- und kritiklos auf andere
Gemeinden zu übertragen.
Ein Bedürfnis, die landesgesetzlichen Vorschriften
durch Ortsbausatzung zu mildern oder zu verschärfen,
wird bei sehr vielen, namentlich kleineren Landgemeinden
in der Regel gar nicht vorliegen. Dagegen ist es begreif
lich und vielfach notwendig, daß sich auch kleine Gemein
den die in der Bauordnung gegebene Möglichkeit zu
nutze machen, der Gemeinde durch Heranziehung der
Grundeigentümer zur Herstellung der Ortsstraßen und
ihrer Gehwege gewisse Einnahmen zu verschaffen. Es
mag deshalb erwünscht sein, hierüber zweckmäßige Be
stimmungen, wie sie sich für einfache Verhältnisse eignen,
kennen zu lernen. Im Nachfolgenden ist ein Muster einer
auf Art. 24 der Bauordnung sich stützenden Ortsbau
satzung für kleinere Gemeinden wiedergegeben, welches
von der Ministerialabteilung für das Hochbauwesen auf
gestellt worden ist.
ln dem Muster ist davon ausgegangen, daß sich klei
nere Gemeinden, wenn sie überhaupt eine dahingehende
Ortsbausatzung aufstellen, in der Regel mit der Heran
ziehung der Grundeigentümer zum Ersatz des Grund
erwerbungsaufwandes werden begnügen können. Ob
der in § 1 des Musters bezeichnete Umfang der Heran
ziehung den Verhältnissen und Bedürfnissen der Gemeinde
tatsächlich entspricht, ob eine geringere Belastung der
Anlieger oder — im Rahmen des Art. 24 der Bauordnung
— eine stärkere Heranziehung derselben zu den Straßen
kosten geboten ist, bedarf für jede einzelne Gemeinde der
besonderen Prüfung und es sind hiebei ebenso sehr die
Rücksichten auf das öffentliche Wohl, wie auf die berech
tigten Interessen der Anlieger zu wahren. Es stünde
nichts im Wege, die in § 1 zu Grunde gelegte Verpflich
tung zum Ersatz des ganzen Grunderwerbungsaufwandes
auf einen Teil, etwa die Hälfte oder drei Vierteile dieses
Aufwandes zu beschränken.
In § 2 Abs. 1 des Musters wird das Maß der Anteil
breite von 8 m als Höchstmaß unter Umständen zu er
höhen oder zu erniedrigen sein. Bestimmungen über die
Bemessung des Anteils bei einseitig anbaubaren Straßen
und öffentlichen Plätzen sind für Gemeinden, die solche
Straßen und Plätze nicht besitzen oder feststellen, entbehr
lich. Wo im Ortsbauplan statt Vorgärten Vorplätze fest
gestellt sind, bemißt sich der Anteil der Grundeigentümer
von der Vorplatzlinie aus.
Die Vorschrift des § 3 Absatz 2 besagt, daß bei der
Heranziehung von Vorgärten oder Vorplätzen zum Ver
kehrsraum der Straße die Anlieger sich in den Ersatz für
die Vorgarten- oder Vorplatzfläche ebenso zu teilen haben,