4. April 1914
BAUZEITUNO
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Der mittlerelechnikerim hessischen
Staatsdienst und sein Amtstitel
Der mittlere Baubeamte Hessens hat sich in den ver
gangenen 60 Jahren vom Bauaufseher in des Wortes rein
ster Bedeutung, wie ihn das private Bauunternehmen zur
Beaufsichtigung der Lohnarbeiter heute noch führt, zum
modernen mittleren Techniker, wie ihn Bauunternehmen
und Industrie als unentbehrliche Hilfskraft schätzt, und
vielfach in leitender Stellung beschäftigt, innerlich ent
wickelt. Nach außen ist er der staatliche Bauaufseher ge
blieben, trotzdem für ihn schon seit fünf Jahren, und nur
von ihm selbst, zu seiner Besserstellung nach außen hin
betrieben, eine den heutigen Anforderungen entsprechende
Prüfungsordnung erlassen ist.
Der Technikerstand ist im allgemeinen stets genügsam
und gibt auf äußerlichen Zierat für seine Person nicht ge-
württembergischen und badischen Bauverwaltungen ein
geführten Titel „Bausekretär“ (und ähnlich klingende Be
zeichnungen), abgestimmt auf „Technischer Sekretär“, ge
griffen und sind damit auf Titel gekommen, die wegen
ihrer fremdsprachlichen Herleitung bei der oberen Bau
behörde Bedenken hervorgerufen haben. Dadurch ist die
Titelfrage auf den toten Punkt gelangt. In neuerer Zeit
hat nun auch die Stadt Mainz ihren mittleren Baubeamten
den Titel Bausekretär verliehen und die Kreisverwaltung
Gießen den „Kreisbausekretär“ erfunden und angewendet.
Die staatliche Bauverwaltung würde daher mit der Er
füllung eines dahin zielenden Wunsches keine Neuerung
mehr ins Land bringen.
Sei dem wie ihm sei, die hier erhobenen Bedenken
können unmöglich die Sache auf die Dauer aufhalten,
wenn nicht ein ganzer Beamtenstand in seiner Entwick
lung Schaden nehmen soll. So wie die Verhältnisse jetzt
in Hessen liegen, ist für den mittleren Baubeamten jedes
Abb. 3
Kathedrale
von
Lincoln
rade viel, trotzdem wird er allmählich dazu gedrängt,
auch für seine Leistungen diejenige Anerkennung zu be
anspruchen, die andere Beamtenklassen stets Zug um Zug
zu reklamieren pflegen und die diesen in der Regel auch
nicht Vorbehalten bleibt.
Daß für den mittleren Baubeamten der Amtstitel Bau
aufseher, trotz seines gutdeutschen Klanges, ein durchaus
verfehlter ist, wird hoffentlich bald an maßgebender Stelle
restlos eingesehen werden und baldige Veranlassung
geben, hier Wandel zu schaffen, wie dies von den Betrof
fenen schon im Jahre 1907 in einer Eingabe vorgetragen
wurde. Es muß anerkannt werden, daß seit dieser Zeit
mehrfach erhobene mündliche Vorstellungen wohlwollen
des Verständnis fanden, daß aber die Wahl des Titels ge
wisse Schwierigkeiten zu bereiten scheint.
Eine Organisation des hessischen Bauwesens in den
80er Jahren des vorigen Jahrhunderts brachte hier neue
Titel für den mittleren Techniker des Wasser- und Straßen
baufachs, wie Dammeister und Straßenmeister. Im An
schluß an das Herkömmliche schien es daher naheliegend,
für die bei ihrem alten Titel verbliebenen Beamten der
Hochbauverwaltung den historischen Titel Baumeister in
Anspruch zu nehmen. Wenn es auch, trotz des anerkann
ten gesetzlichen Schutzes des Titels Baumeister, den ein
zelnen Bundesstaaten seither freistand, diesen Titel zu ver
leihen, so konnte es in unserem Falle doch nicht dazu
kommen, daß derselbe den mittleren Baubeamten zuer
kannt wurde, mit Rücksicht auf den für die akademischen
Baubeamten in ausgiebige Anwendung gekommenen Titels
Regierungsbaumeister. Auf der Suche nach weiter vor
zuschlagenden Titeln haben die mittleren Baubeamten
nunmehr auf den hierzulande üblichen Titel „Technischer
Revisor“ und den bei den benachbarten preußischen,
Vorwärtsstreben und Vorwärtskommen so gut wie voll
ständig unterbunden. Den Schaden hiervon hat letzten
Endes der Staat zu tragen, wenn er dauernd unterläßt,
seinen technischen Beamten durch erträgliche und an
regende Dienstverhältnisse die Freudigkeit an ihrem Beruf
zu erhalten und zu mehren. Dem Staatsbeamten, der wie
der Baubeamte seinem Dienst in der breiten Oeffentlichkeit
obliegt, hängt ein unzweckmäßiger Titel wie ein Bleige
wicht an und ein Großherzoglicher Hochbauaufseher
läuft bei der Ausübung seiner Tätigkeit z. B. auf einem
Domanialhof Gefahr, von dem Aufseher der Polacken
als Kollege behandelt zu werden. Der Titel ist und
bleibt nun einmal der Schutzschild des Beamten bei der
Ausübung seines Dienstes, wie er auch den Gradmesser
für seine gesellschaftliche Stellung abgibt, nur daß hier
noch mehr die Persönlichkeit korrigierend eingreifen kann.
Wer dauernd einen ungünstig wirkenden Titel zu tra
gen verurteilt ist, wie der mittlere Baubeamte in Hessen,
der nicht einmal während der ganzen Dienstzeit durch
eine gehobene Bezeichnung abgelöst wird, wie diese sonst
fast bei allen Beamtenklassen vorgesehen ist, der kommt
sich mit der Zeit wie in einer Strafklasse vor, umsomehr
als ihm bei jeder Gelegenheit die Last einer solchen Bürde
drückend fühlbar wird.
Wenn z. B. bei den Erhebungen für die verabschiedete
Besoldungsvorlage der Gehalt des Bauaufsehers im niede
ren Dienst anderer Staaten in Parallele gestellt wird mit
dem Gehalt des mittleren Baubeamten Hessens, der heute
für seine Ausbildung acht Jahre zu verwenden hat, der
aber noch die gleiche Amtsbezeichnung verbunden mit
einem überaus rückständigen Gehalt führen muß, so wirkt
das selbstverständlich nur hemmend auf seine Gehaltsauf
besserung. Und wenn der mittlere Baubeamte den Titel