23. Mal 1914
BAUZEITUNG
Vereinigung von Läden und Wohnungen in demselben
Gebäude bringt einen Mißklang in die Architektur, weil
die Schaufenster große Oeffnungen im Erdgeschoß ver
langen, die Wohnungen aber normale Fensterbreiten, wie
sie durch die behagliche Einrichtung von Wohnzimmern
bedingt werden. So schweben schwere Pfeiler der Ober
geschosse über den großen Schaufensteröffnungen des
Untergeschosses, und wenn die Last auch durch kräftige
Träger abgefangen wb'd, so empfindet do:h das Auge den
unlogischen Aufbau dieser Architektur. Und dieses Miß
verhältnis wi r d häufig noch dadurch verstärkt, daß d e
oberen Pfeiler durch vorspringende Säulen und Pilaste r
betont werden; das ist eine sehr schwere, architektonische
Sünde — eine Säule da-f niem-ls über einer Oeffnung
stehen, da sie sich hier als zweckloses Zierwerk offenbart.
Es wird immer am leichtesten sein, die Architektur
einer Front gefällig und harmonisch durchzubilden, wenn
sie einer wirklich gesunden Konstruktion entspricht. Jede
vernünftige Konstruktion wird aber die Lasten so ver
teilen, daß der Aufbau nicht als gewagtes Spiel erscheint.
Deshalb werden die Tragpfeiler der Geschosse auch a i
der Front senkrecht übereinander stehen, damit die ganze
Last — auch für das Auge sichtbar — durch die Trag
pfeiler des Erdgeschosses auf die Fundamente übertragen
wird. Daraus ergiebt sich, daß nicht Tragepfeiler über
den großen Schaufensteröffnungen des Erdgeschosses
stehen sollen. Der Uebelstand wird sofort beseitigt, wenn
man, wie man dies bei neueren Geschäftsgebäuden im In
nern von Großstädten sehen kann, auch die Oberge
schosse für Warengeschäfte einrichtet, so daß den Schau
fenstern des Erdgeschosses breite Lichtöffnungen der
Obergeschosse entsprechen. Ergibt sich dann die Not
wendigkeit, im vierten oder fünften Stockwerke Büro
räume oder Wohnungen einzurichten, so vermag man
durch leichte Zwischenpfosten eine Teilung zu schaffen,
welche die Wirkung der breiten Frontfenster nicht wesent
lich beeinträchtigt. In England und Amerika, wo man
in der City nur Gebäude findet, die ausschließlich Oe-
schäftszwecken dienen, also Kaufhäuser und Bürogebäude,
haben es die Architekten minder schwer als bei uns. ln
Deutschland beginnt sich jetzt erst in einzelnen Groß
städten, namentlich in Berlin, eine City zu entwickeln, die
Geschäftshaus Wiirttemberger Kunstgewerbchaus
Stuttgart
Architekt: Albert Eitel-Stuttgart
ausschließlich geschäftlichen Zwecken dient. Sonst aber
haben wir es überall mit der Kombination des Wohn- und
Geschäftshauses zu tun.
Hier gibt es nun zwei Möglichkeiten einer verständi
gen Lösung. Man geht entweder von den großen Front
öffnungen der.Läden aus und vereinigt in den entsprechen
den Oeffnungen der Obergeschosse mehrere Fenster zu
einer in der Oeffnung zusammengefügten Gruppe, oder
man geht von den Fenstern der Obergeschosse aus, setzt
logisch die Tragepfeiler auf breite Pfeiler des Erdgeschos
ses und läßt die Schaufenster zurücktreten, so daß ihre
Anordnung von den Frontpfeilern nicht beeinflußt wird,
'm enteren Falle erfolgt die Vereinigung der Etagenfen
ster innerhalb der weiten Frontöffnung durch schmale
etwas zurücktretende Zwischenpfosten, die am besten
aus Eisen oder Bronze hergestellt werden, damit sie leicht
erscheinen und mit dem Sprossenwerk der Fenster z i-
sammengehen. Im letzteren Falle stehen die breiten Pfei
ler der Obergeschosse völlig logisch auf Pfeilern oder
Säulen des Erdgeschosses, und es bildet sich vor den zu
rückgesetzten Schaufenstern eine überdeckte Kolonnade,
die dem Publikum, selbst bei ungünstiger Witterung, eine
ruhige Betrachtung der ausgestellten Erzeugnisse ge-
tattet. Derartige Kolonnaden, in denen der Beschauer
durch den lebhaften Verkehr auf den Bürgersteigen nicht
bedrängt wird, findet man bisweilen vor großen Waren
geschäften in einigen Großstädten, und es ist auch schon
mehrfach der Vorschlag aufgetaucht, ganze Geschäfts
straßen in dieser Weise anzulegen, da man hierdurch einen
doppelten Bürgersteig erhält — einen für die Straßen
passanten und einen zweiten unter der Kolonnade, der dem
Publikum auch bei Regenwetter Schutz bietet und sicher
ebenso sehr den Interessen der Kaufleute, wie denen des
kaufenden Publikums dienen würde.
DieBedeutung der großen Schaufenster für den Waren
handel wird allerdings kein Architekt unterschätzen. Das
Erfordernis der übersichtlichen und geschmackvollen An
ordnung schöner Probestücke im Schaufenster ist allge
mein anerkannt, aber das Schaufenster kann auch noch
durch besondere Mittel auf Gefühl und Einbildungskraft
des Käufers wirken, ihn beeinflussen und bestechen; zu
diesen Mitteln gehört z. B. die Farbenharmonie,