Architekten: Storz & Lang-Stuttgart
30. Mai 1914
BAUZEITUNG
chitektur bringt die Bestimmung der Gebäude deutlich
zum Ausdruck — und wo dies nicht zutrifft, da ist es eben
nicht die rechte Architektur. Was soll denn nun die Ar
chitektur einer Ladenfront verkörpern? Die Waren sind
ja im Schaufenster ausgestellt, sie zeigen uns (sofern wir
das nicht vom Firmenschild herunterlesen), ob ein Buch
oder Möbelhändler, ein Goldarbeiter oder ein Apotheker
in dem Laden haust. Die Architektur muß also etwas Be
sonderes betonen — sie kann die Vornehmheit und den
Erfolg des geschäftlichen Unternehmens zum Ausdruck
bringen — sie kann selbstvertrauende Würde und hervor
ragende Leistungsfähigkeit betonen. Darum soll der
architektonische Rahmen des Ladens nicht den Nachbar
niederschreien; das verträgt sich nicht mit bürgerlicher
Wohlanständigkeit und den Grundsätzen des soliden
Kaufmanns. Vielmehr muß der Architekt davon ausgehen,
daß edle Waren in einem vornehmen, einfachen Rahmen
mehr gewinnen, als durch Prunk, und daß ordinäre Er
zeugnisse, die von einem prahlerischen Luxus umgeben
sind, besonders abstoßend wirken.
Nun ist es sehr schwer, die Architektur der Laden
front in einem Mietsgebäude einem bestimmten Flandels-
geschäfte anzupassen, da ja doch die Mieter wechseln;
aber jedenfalls ist es möglich, die Läden für eine bestimmte
Klasse von Handelsgeschäften oder Gewerbetreibenden
anzulegen, wie man heute schon gewissen Läden durch
die Kacltel- und Marmorbekleidung der Wände ein Ge
präge verleiht, wie es von den Schlächtern verlangt wird,
während andere Geschäfte von vornherein für Zigarren
handlungen, Bäckereien, Apothekern usw. eingerichtet
werden. Erst wenn man sich klar darüber ist, für welche
Klasse von Handelsgeschäften der Ladenbau geschaffen
werden soll, kann derselbe richtig angelegt und die Front
architektur verständig entworfen werden. Nur muß man
sich den Begriff „Klasse von Handelsgeschäften“ nicht
zu eng denken; denn es gibt gewisse Kategorien, die ohne
jede Verwandtschaft mit einander doch annähernd die
selben Ansprüche hinsichtlich des Raumbedürfnisses und
die Anordnung der Waren zu stellen pflegen, sodaß man
ohne nachteilige Beeinflussung der Frontarchitektur mit
verschiedenen Warenklassen rechnen kann. Natürlich
hängen die Forderungen, die an die Schaufenster und
den Ladeneingang gestellt werden, von der Art der Er
zeugnisse ab. Ein Goldarbeiter braucht z. B. ein Schau
fenster von geringer Tiefe und einen Ladeneingang von
geringer Breite; es kommt nicht vor, daß eine größere
Menschenmenge in diesen Laden hineinströmt. Ein Kon
fektionsgeschäft erfordert Schaufenster von großer Breite
und Tiefe, da es ganze Figuren und Gruppen aufnehmen
soll. Ein Kolonialwarengeschäft verlangt wegen des
großen Andranges am Morgen und vor dem Abendessen
breite Türen und weite Räume vor den Ladentischen; ein
tiefes Hineinbauen der Schaufenster in den Ladenraum,
wie dies z. B. bei den Konfektionsgeschäften üblich ist,
wäre hier sehr unpraktisch. So beeinflußt der Zweck des
Geschäftshaus „Hansabau“„Stuttgartj
Architekten: Storz & Lang-Stuttgart
Ladens außerordentlich die Gestaltung der Ladenfront.
Aber auch die Architektur wird durch die Art des
Geschäftes beeinflußt. In dem einen Falle ist Schlichtheit
und Zurückhaltung geboten, in dem andern ein gewisser
Prunk, der vielleicht durch Bekleidungen aus poliertem
Marmor und Granit, Wappen und Emblemen aus Bronze,
reich ornamentierten Kandelabern, geätzten oder orna
mentierten Einfassungen auf den Scheiben usw. zum Aus
druck gebracht werden kann. Wichtiger als jeder
Schmuck sind allerdings genügend große Wandflächen
über den Schaufenstern und auf den Pfeilern, um Firmen
schilder und Aufschriften anbringen zu können. So wird
man am besten der Neigung entgegen wirken, auch die
Fenster, Baikone und Erker des Hauses mit Firmenschil
dern zu bedecken.
Im übrigen muß der Architekt auch den Charakter
der ganzen Straße berücksichtigen. Ein prächtiges, großes
Schaufenster in einer Straße mit stillen, alten Häusern ist
sehr unschön. In einer schmalen Straße, wo eine Wir-
Hansabau Stuttgart
Grundrisse