1./15. Juni 1916
Staatsmann würde als Steuerpolitiker nach einem ver
lustreichen Kriege den Verkehr des eigenen Landes eher
zu verbilligen als zu verteuern suchen. Wie wohlfeil reist,
schreibt und telephoniert man in Amerika, und wie teuer
bei uns! Nach dem Kriege werden sich auf allen Welt
märkten Deutschland und Amerika als die beiden stärksten
Wettbewerber gegenüberstehen, und nun will uns Helffe-
rich Brief-, Fernsprech- und Oeldverkehr noch verteuern?
Ja, der Eisenbahnminister v. Breitenbach erklärte jüngst
im preußischen Abgeordnetenhause, wir werden auch um
Steuern, die Personenverkehr auf den Eisenbahnen be
lasten, „nicht herumkommen“? Das schlechte englische
Beispiel kann verkehrsfeindliche Steuern bei uns nicht ent
schuldigen. England ist ein alterndes Staatswesen; es
will nach dem Kriege weniger neue Märkte erobern, als
alte behaupten.
von Viehzüchtern, Viehhändlern, Oroßschlächtern, Kon
servenfabrikanten geflossen ist. Hier wie anderwärts be
deutet der durch die Kriegsverhältnisse hervorgerufene
„Kapitalbildungsprozeß“ einen Vampyr an der Produk
tion. Wo liegt der Nutzen für die Volksgesamtheit, wenn
Bierbrauereien, von der Kriegskonjunktur begünstigt, er
heblich mehr Dividende ausschütten konnten als im Frie
den? Auch den Bergwerksgesellschaften sind die Preis
steigerungsmöglichkeiten, die die Verwirrung der Markt
verhältnisse im Kriege mit sich brachten, sehr zustatten
gekommen. Die Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft erzielte
im Jahre 1915 einen Reingewinn von 11,3 Millionen Mark.
Nach Abzug der (reichlichen) Ausgaben und der Ab
schreibungen von 3,9 Millionen Mark verblieb ein Rein
gewinn von 4,2 Millionen Mark, gegen 3,6 Millionen im
Jahre 1914, daraus konnten 26 v. H. Dividende auf die
Wiederaufbau des
Gasthauses Lehnert
in Kyschienen.
Architekt B. D. A.
Alfred Kraemer
Soldau.
Wenn von „produktiven Kräften“ die Rede ist, die
vor neuen Steuerlasten bewahrt werden müßten, so denkt
man dabei in der Regel noch in erster Linie an Vermögen
und Einkommen der „Besitzenden“. Immer wieder wird
auch jetzt betont, daß direkte Steuern nur insoweit zur
Deckung der Kriegskosten herangezogen werden dürften,
wie dadurch der „Kapitalbildungsprozeß“ nicht gehemmt
werde. Mir scheint diese Furcht vor einer Hemmung des
„Kapitalbildungsprozesses“ sehr kleinmütig. Man über
lege: 500 Millionen Mark sollen die neuen Steuern ein-
bringen, aber die Kriegskredite, die vom Reichstag bisher
für die gewaltigen Ausgaben bewilligt wurden, bedingen
schon einen Zinsendienst von zwei Milliarden Mark. Wer
mit offenen Augen um sich sieht, muß auf Schritt und Tritt
wahrnehmen, wie der Krieg eine gemeinschädliche Zu
sammenballung von Kauf- und Anlagekräften an wenigen
Stellen begünstigt. Und zwar nicht nur in den eigent
lichen Kriegsindustrien. Es wird nach dem Kriege nicht
mehr, sondern weniger Vieh bei uns geben als vorher,
trotzdem oder gerade weil riesig viel Geld in die Taschen
Stammaktien verteilt werden. Glaubt jemand, daß solcher
„Kapitalbildungsprozeß“ in Industrien, die längst keines
neuen Anlagekapitals mehr bedürfen, nach dem Kriege
günstig auf den gesamten Wirtschaftsorganismus wirken
werde? Im Gegenteil: einer Vertrustung nach amerikani
schem Vorbilde wird dadurch Vorschub geleistet werden.
Wohin die im Kriege zusammengerafften Gewinne sich
vorzugsweise wenden, das beweisen die rasch ansteigen
den Preise von Rittergütern und Jagdgebieten. Man kann
die Kriegsgewinnsteuer viel ergiebiger gestalten als sie in
Gestalt der Regierungsvorlage zu werden verspricht, und
man kann außer dieser einmaligen Abgabe gleich eine
dauernde allgemeine Besitzbelastung einführen, ohne
irgendwie die produktiven Kräfte in unserem Wirtschafts
leben empfindlich anzutasten. Man braucht nur den
ernsten Willen zu hegen, das Vermögen erst von der
Grenze an zu belasten, wo es angefangen hat, mehr Güter
zu verwüsten als zu schaffen. Nun sollen die Bundes
staaten und die Gemeinden die Quellen der direkten
Steuern schon so sehr in Anspruch nehmen, daß das Reich