Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1915/16)

-5 Juni 1915 
BAUZEITUNG 
19 
blicklich von den Juristen heiß umstritten. Der Syndikus 
des Bankhauses Sal. Oppenheim jr. & Cie. in Köln, Rechts 
anwalt Heinrich Seyffert, vertritt in der letzten Nummer 
des „Bankarchiv“ von neuem den Standpunkt, daß die 
einem einberufenen Angestellten fortgewährten Bezüge 
auch dann nicht steuerpflichtig sind, wenn der Dienst 
vertrag nicht durch Kündigung aufgehoben wurde. 
Rechtsanwalt Seyffert betrachtet die an einberufene An 
gestellte freiwillig gezahlten Beträge als Schenkungen, 
die nicht der Steuerpflicht unterlägen. Von anderer Seite, 
so besonders in der Zeitschrift „Steuerarchiv“, wird dem 
gegenüber darauf hingewiesen, daß die fraglichen Bezüge 
infolge des Anstellungsvertrages gewährt würden. Aus 
diesem Grunde könne keine Rede von einer Schenkung 
sein und die Bezüge des Angestellten seien steuerpflichtig. 
Gegenüber diesen Einwendungen präzisiert nun Rechts 
anwalt Seyffert seinen Standpunkt, der auch von Autori 
täten auf dem Gebiete des Steuerwesens geteilt wird, noch 
mals ausführlich. Wir fassen diese Ausführungen, da sie 
von allgem. Interesse sind, nachstehend kurz zusammen. 
Aus der Fassung des §616 BGB. ergibt sich, daß 
das Gesetz davon ausgeht, daß der Angestellte des An 
spruches auf eine Vergütung verlustig wird, wenn er für 
längere Zeit an der Dienstleistung verhindert wird. 
§616 Satz 1 stellt eine Ausnahme von dieser in den Vor 
schriften über den Dienstvertrag selbst nicht besonders 
ausgesprochenen Regel dar, indem er bestimmt, daß der 
zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruches nicht da 
durch verlustig wird, daß er für eine verhältnismäßig 
nicht erhebliche Zeit an der Dienstleistung verhindert 
wird. Es handelt sich also nicht um ein Recht des Dienst 
herrn, die Gehaltszahlung zu verweigern, das etwa als 
Einrede gegen den an und für sich begründeten Anspruch 
des Angestellten geltend zu machen wäre, vielmehr steht 
dem Angestellten, der für längere Zeit an der Dienst 
leistung verhindert ist, überhaupt kein Anspruch zu. Ge 
währt ihm der Dienstherr trotzdem Bezüge irgend 
welcher Art, so leistet er damit etwas, was außerhalb 
seiner Pflichten und der Rechte des Angestellten liegt. In 
diesem Sinne habe ich daher die Gehaltszahlungen an ein 
berufene Angestellte als Schenkungen bezeichnet, wobei 
hier nicht zu erörtern ist, ob eine solche Schenkung einer 
sittlichen Pflicht im Sinne des § 534 BGB. entspricht. 
Zwischen dem Dienstherrn und dem einberufenen 
Angestellten, dem tatsächlich und wohl in der Regel 
widerruflich ein Teil seiner Bezüge fortgewährt wird, ist 
nicht vereinbart, daß der Angestellte wegen dieser Fort 
zahlung der Bezüge verpflichtet ist, den Vertrag aufrecnt 
zu erhalten und daher insbesondere nicht etwa von dem 
ihm infolge seiner Einberufung zustehenden, ihm während 
der Dauer des Krieges verbleibenden Kündigungsrecht 
Gebrauch zu machen. Allerdings wird der Dienstherr 
vielfach erwarten, daß ein einberufener Angestellter, der 
seine Bezüge ganz oder zum Teil weiter erhält, nach sei 
ner Entlassung aus dem Heeresdienst die frühere Tätig 
keit bei dem Dienstherrn wieder aufnimmt. Einen Rechts 
anspruch darauf, daß der Angestellte den Dienstvertrag 
nicht inzwischen durch ordentliche oder außerordentliche 
Kündigung aufhebt, hat aber der Dienstherr nicht und 
Tann ihn auch nicht erwerben, wenn er nicht selbst eine 
rechtlich bindende Verpflichtung zur Gewährung der 
fraglichen Bezüge eingeht. Hiernach stehen keine gegen 
seitigen Leistungen auf Grund des Dienstvertrages in 
Frage, wenn der Dienstherr das bisherige Gehalt ganz 
oder zum Teil unter dem ausdrücklichen oder still 
schweigenden Vorbehalt des Widerrufes fortzahlt. Der 
artige Zahlungen haben vielmehr die Natur von Unter 
stützungen, denen rechtlich keine Gegenleistung des 
Empfängers gegenübersteht. 
Hieraus ergibt sich für die steuerliche Beurteilung 
folgendes: Die fraglichen Bezüge können nicht als Gegen 
leistung für die Tätigkeit des Angestellten im Sinne des 
Artikel 21 Z. 2 Abs. 1 der Ausführungsanweisung zum 
Einkommensteuergesetz angesehen werden. Der Rechts 
grund der Steuerpflichtigkeit von Gratifikationen und 
sonstigen, in Anerkennung der Leistungen eines An 
gestellten herkömmlich gewährten Nebenbezügen, trifft 
also hier nicht zu; denn die Steuerpflicht derartiger 
Nebeneinnahmen hängt nach der ständigen Recht 
sprechung davon ab, daß sie dem Steuerpflichtigen für 
seine Tätigkeit gewährt werden. Auch von einer Her 
kömmlichkeit, die als Grund der Steuerpflicht der Grati 
fikationen gefordert wird, kann bei den fraglichen Be 
zügen nicht die Rede sein, da ihre Gewährung in allen 
Geschäftszweigen verschieden gehandhabt wird und viel 
fach sogar in den einzelnen Betrieben nicht auf festen 
Grundsätzen beruht. Die Bezüge können i n - 
folgedessennuralsUnterstützungenan- 
gesehenwerden, dieman gelsei nerOegen- 
leistung auch dann steuerfrei sind, wenn 
sie sich tatsächlich wiederholen. Die 
steuerliche Beurteilung folgt daher denselben Grund 
sätzen, die für das Ruhegeld eines Privatangestellten gel 
ten, das ohne Rechtspflicht gewährt wird und deshalb 
steuerfrei ist. Sollte in einem einzelnen Falle zwischen 
dem Dienstherrn und dem Angestellten eine Vereinbarung 
des Inhalts getroffen worden sein, daß sich der Dienst 
herr zu gewissen Zahlungen, der Angestellte zur Auf 
rechterhaltung des Vertrages, insbesondere zum Wieder 
eintritt nach Entlassung aus dem Heeresdienst verpflichtet, 
dann würden die fraglichen Zahlungen auch steuerpflich 
tig sein. Derartige Vereinbarungen können nicht ohne 
weiteres vermutet werden, es ist auch kaum anzunehmen, 
daß sich die Dienstherren zur Fortzahlung des Gehaltes 
während der ganzen Kriegsdauer rechtlich verpflichten 
wollen, ebenso wenig wie die Angestellten aus diesem 
Anlaß eine möglicherweise auf lange Zeit hinaus wirkende 
rechtliche Bindung über die Verwertung ihrer Arbeits 
kraft nach dem Kriege werden treffen wollen. 
Die Frage, ob derartige Aufwendungen 
eines Dienstherrn den steuerpflichtigen Be 
trag seines Einkommens verkürzen, ist nicht 
darnach zu beurteilen, ob er zur Leistung der fraglichen 
Aufwendungen verpflichtet ist oder nicht, sondern dar 
nach, ob die fraglichen Aufwendungen sich als Werb 
ungskosten im Sinne des § 8 I. des Einkommensteuer 
gesetzes darstellen. Bei einem größeren gewerblichen 
Betrieb wird dies aber in der Regel anzunehmen sein, 
denn wenn bei den fraglichen Aufwendungen auch die 
Unterstützungsbedürftigkeit der Angestellten berücksichtigt 
wird — was ja auch bei den Teurungszulagen geschieht 
— so stehen die Aufwendungen doch in einem inneren 
Zusammenhang zu dem gewerblichen Unternehmen und 
und suchen es durch die Erhaltung der Anhänglichkeit 
und Arbeitsfreudigkeit der Angestellten (der einberufenen 
und der tätig bleibenden) zu fördern. Auf diese Weise 
dienen die Zahlungen an einberufene Angestellte im Sinne 
des § 8 I des Einkommensteuergesetzes der Sicherung 
und Erhaltung des gewerblichen Ertrages des Unter 
nehmens. Es kann keinemZweifel unterliegen, daß 
dergleichen Zahlungen, soweit sie ihrer Natur nach 
überhaupt abzugsfähig sind in vollem Umfange, ohne 
Untersuchung, wie weit sie rechtlich begründet waren, 
als Unkosten eines gewerblichen Betriebes anzusehen 
sind und den steuerpflichtigen Ertrag des Unter 
nehmens verkürzen. 
Rechtsanwalt Seyffert vertritt also den Standpunkt, daß 
freiwillige Gehaltsvergütungen an Kriegsteil 
nehmervöllig steuerfrei sind. Der Angestellte braucht 
sie nicht zu versteuern, weil es sich um Schenkungen 
handelt, der Prinzipal aber kann sie unter Unkosten ver 
buchen, braucht sie also ebenfalls nicht zu versteuern. 
Dieser Standpunkt entspricht durchaus dem öffentlichen 
Rechtsbewußtsein.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.