-5 Juni 1915
BAUZEITUNG
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blicklich von den Juristen heiß umstritten. Der Syndikus
des Bankhauses Sal. Oppenheim jr. & Cie. in Köln, Rechts
anwalt Heinrich Seyffert, vertritt in der letzten Nummer
des „Bankarchiv“ von neuem den Standpunkt, daß die
einem einberufenen Angestellten fortgewährten Bezüge
auch dann nicht steuerpflichtig sind, wenn der Dienst
vertrag nicht durch Kündigung aufgehoben wurde.
Rechtsanwalt Seyffert betrachtet die an einberufene An
gestellte freiwillig gezahlten Beträge als Schenkungen,
die nicht der Steuerpflicht unterlägen. Von anderer Seite,
so besonders in der Zeitschrift „Steuerarchiv“, wird dem
gegenüber darauf hingewiesen, daß die fraglichen Bezüge
infolge des Anstellungsvertrages gewährt würden. Aus
diesem Grunde könne keine Rede von einer Schenkung
sein und die Bezüge des Angestellten seien steuerpflichtig.
Gegenüber diesen Einwendungen präzisiert nun Rechts
anwalt Seyffert seinen Standpunkt, der auch von Autori
täten auf dem Gebiete des Steuerwesens geteilt wird, noch
mals ausführlich. Wir fassen diese Ausführungen, da sie
von allgem. Interesse sind, nachstehend kurz zusammen.
Aus der Fassung des §616 BGB. ergibt sich, daß
das Gesetz davon ausgeht, daß der Angestellte des An
spruches auf eine Vergütung verlustig wird, wenn er für
längere Zeit an der Dienstleistung verhindert wird.
§616 Satz 1 stellt eine Ausnahme von dieser in den Vor
schriften über den Dienstvertrag selbst nicht besonders
ausgesprochenen Regel dar, indem er bestimmt, daß der
zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruches nicht da
durch verlustig wird, daß er für eine verhältnismäßig
nicht erhebliche Zeit an der Dienstleistung verhindert
wird. Es handelt sich also nicht um ein Recht des Dienst
herrn, die Gehaltszahlung zu verweigern, das etwa als
Einrede gegen den an und für sich begründeten Anspruch
des Angestellten geltend zu machen wäre, vielmehr steht
dem Angestellten, der für längere Zeit an der Dienst
leistung verhindert ist, überhaupt kein Anspruch zu. Ge
währt ihm der Dienstherr trotzdem Bezüge irgend
welcher Art, so leistet er damit etwas, was außerhalb
seiner Pflichten und der Rechte des Angestellten liegt. In
diesem Sinne habe ich daher die Gehaltszahlungen an ein
berufene Angestellte als Schenkungen bezeichnet, wobei
hier nicht zu erörtern ist, ob eine solche Schenkung einer
sittlichen Pflicht im Sinne des § 534 BGB. entspricht.
Zwischen dem Dienstherrn und dem einberufenen
Angestellten, dem tatsächlich und wohl in der Regel
widerruflich ein Teil seiner Bezüge fortgewährt wird, ist
nicht vereinbart, daß der Angestellte wegen dieser Fort
zahlung der Bezüge verpflichtet ist, den Vertrag aufrecnt
zu erhalten und daher insbesondere nicht etwa von dem
ihm infolge seiner Einberufung zustehenden, ihm während
der Dauer des Krieges verbleibenden Kündigungsrecht
Gebrauch zu machen. Allerdings wird der Dienstherr
vielfach erwarten, daß ein einberufener Angestellter, der
seine Bezüge ganz oder zum Teil weiter erhält, nach sei
ner Entlassung aus dem Heeresdienst die frühere Tätig
keit bei dem Dienstherrn wieder aufnimmt. Einen Rechts
anspruch darauf, daß der Angestellte den Dienstvertrag
nicht inzwischen durch ordentliche oder außerordentliche
Kündigung aufhebt, hat aber der Dienstherr nicht und
Tann ihn auch nicht erwerben, wenn er nicht selbst eine
rechtlich bindende Verpflichtung zur Gewährung der
fraglichen Bezüge eingeht. Hiernach stehen keine gegen
seitigen Leistungen auf Grund des Dienstvertrages in
Frage, wenn der Dienstherr das bisherige Gehalt ganz
oder zum Teil unter dem ausdrücklichen oder still
schweigenden Vorbehalt des Widerrufes fortzahlt. Der
artige Zahlungen haben vielmehr die Natur von Unter
stützungen, denen rechtlich keine Gegenleistung des
Empfängers gegenübersteht.
Hieraus ergibt sich für die steuerliche Beurteilung
folgendes: Die fraglichen Bezüge können nicht als Gegen
leistung für die Tätigkeit des Angestellten im Sinne des
Artikel 21 Z. 2 Abs. 1 der Ausführungsanweisung zum
Einkommensteuergesetz angesehen werden. Der Rechts
grund der Steuerpflichtigkeit von Gratifikationen und
sonstigen, in Anerkennung der Leistungen eines An
gestellten herkömmlich gewährten Nebenbezügen, trifft
also hier nicht zu; denn die Steuerpflicht derartiger
Nebeneinnahmen hängt nach der ständigen Recht
sprechung davon ab, daß sie dem Steuerpflichtigen für
seine Tätigkeit gewährt werden. Auch von einer Her
kömmlichkeit, die als Grund der Steuerpflicht der Grati
fikationen gefordert wird, kann bei den fraglichen Be
zügen nicht die Rede sein, da ihre Gewährung in allen
Geschäftszweigen verschieden gehandhabt wird und viel
fach sogar in den einzelnen Betrieben nicht auf festen
Grundsätzen beruht. Die Bezüge können i n -
folgedessennuralsUnterstützungenan-
gesehenwerden, dieman gelsei nerOegen-
leistung auch dann steuerfrei sind, wenn
sie sich tatsächlich wiederholen. Die
steuerliche Beurteilung folgt daher denselben Grund
sätzen, die für das Ruhegeld eines Privatangestellten gel
ten, das ohne Rechtspflicht gewährt wird und deshalb
steuerfrei ist. Sollte in einem einzelnen Falle zwischen
dem Dienstherrn und dem Angestellten eine Vereinbarung
des Inhalts getroffen worden sein, daß sich der Dienst
herr zu gewissen Zahlungen, der Angestellte zur Auf
rechterhaltung des Vertrages, insbesondere zum Wieder
eintritt nach Entlassung aus dem Heeresdienst verpflichtet,
dann würden die fraglichen Zahlungen auch steuerpflich
tig sein. Derartige Vereinbarungen können nicht ohne
weiteres vermutet werden, es ist auch kaum anzunehmen,
daß sich die Dienstherren zur Fortzahlung des Gehaltes
während der ganzen Kriegsdauer rechtlich verpflichten
wollen, ebenso wenig wie die Angestellten aus diesem
Anlaß eine möglicherweise auf lange Zeit hinaus wirkende
rechtliche Bindung über die Verwertung ihrer Arbeits
kraft nach dem Kriege werden treffen wollen.
Die Frage, ob derartige Aufwendungen
eines Dienstherrn den steuerpflichtigen Be
trag seines Einkommens verkürzen, ist nicht
darnach zu beurteilen, ob er zur Leistung der fraglichen
Aufwendungen verpflichtet ist oder nicht, sondern dar
nach, ob die fraglichen Aufwendungen sich als Werb
ungskosten im Sinne des § 8 I. des Einkommensteuer
gesetzes darstellen. Bei einem größeren gewerblichen
Betrieb wird dies aber in der Regel anzunehmen sein,
denn wenn bei den fraglichen Aufwendungen auch die
Unterstützungsbedürftigkeit der Angestellten berücksichtigt
wird — was ja auch bei den Teurungszulagen geschieht
— so stehen die Aufwendungen doch in einem inneren
Zusammenhang zu dem gewerblichen Unternehmen und
und suchen es durch die Erhaltung der Anhänglichkeit
und Arbeitsfreudigkeit der Angestellten (der einberufenen
und der tätig bleibenden) zu fördern. Auf diese Weise
dienen die Zahlungen an einberufene Angestellte im Sinne
des § 8 I des Einkommensteuergesetzes der Sicherung
und Erhaltung des gewerblichen Ertrages des Unter
nehmens. Es kann keinemZweifel unterliegen, daß
dergleichen Zahlungen, soweit sie ihrer Natur nach
überhaupt abzugsfähig sind in vollem Umfange, ohne
Untersuchung, wie weit sie rechtlich begründet waren,
als Unkosten eines gewerblichen Betriebes anzusehen
sind und den steuerpflichtigen Ertrag des Unter
nehmens verkürzen.
Rechtsanwalt Seyffert vertritt also den Standpunkt, daß
freiwillige Gehaltsvergütungen an Kriegsteil
nehmervöllig steuerfrei sind. Der Angestellte braucht
sie nicht zu versteuern, weil es sich um Schenkungen
handelt, der Prinzipal aber kann sie unter Unkosten ver
buchen, braucht sie also ebenfalls nicht zu versteuern.
Dieser Standpunkt entspricht durchaus dem öffentlichen
Rechtsbewußtsein.