1./15. Januar 1916
BAUZEITUNG
7
Europas grösster Bahnhof vollendet.
(Die Schlußsteinlegung des Leipziger Hauptbahnhofes.)
Am 4. Dezember 1915 erfolgte die Schlußsteinlegung des
Leipziger Hauptbahnhofes, des größten Bahnhofes Europas, in
feierlicher Weise. Damit ist nach ISjähriger Bauzeit mitten im
Weltkriege ein Werk deutscher Baukunst vollendet worden, das
mit seinen gewaltigen Bahnhofsanlagen, die einen Flächenraum
von 80 000 qm einnehmen, von größtem Einfluß auf die Gestal
tung und Abwicklung des gesamten mitteldeutschen Reisever
kehrs ist. Im Jahre 1897 wurden auf dem Gelände der ehe
maligen Thüringer, Magdeburger und Dresdener Bahnhöfe die
Bauarbeiten zu der Bahnhofsanlage in Angriff genommen. Mit
dem Bau des eigentlichen Bahnhofsgebäudes nach den Plänen
der Architekten Lossow und Kühne wurde im Jahre 1908 be
gonnen. Bereits am 1. Mai 1912 konnte die sog. preußische
Seite, der westliche Teil, dem Verkehr übergeben werden. Am
15. Mai 1915 sollte die östliche, die sächsische Hälfte, fertig
gestellt sein. Infolge des Krieges verzögerte sich jedoch die
Vollendung dieses Bahnhofsteiles bis zum 1. Oktober 1915. An
diesem Tage konnte jedoch der neue Bahnhof in allen seinen
Teilen dem Verkehr übergeben werden. Der Umfang dieses
Riesenverkehrs erhellt daraus, daß in den neuen Bahnhof nun
mehr die Fernzüge aller für Leipzig in Betracht kommenden
preußischen und sächsischen Linien einmünden; nur für einen
kleineren Teil der Orts- und Vorortszüge bleiben noch, der im
Jahre 1847 erbaute Bayerische und der 1874 erbaute Eilenburger
Bahnhof bestehen. Für den gesamten, in die Kopfstation des
Bahnhofes aufgenommenen Verkehr dienen 26 Personenbahn
steiggeleise, auf denen gleichzeitig 30 ein- und ausfahrende Züge
Aufstellung finden können. Zwischen den Geleisen befinden sich
27 Bahnsteige, die abwechselnd dem Personen-, Eisenbahn-, so
wie dem Postgepäck dienen. Die Qepäckbahnsteige sind durch
zahlreiche Aufzüge mit den unter den Geleisen angeordneten
Quer- und Längstunnels für die Gepäckbeförderung verbunden,
welche nach den im Empfangsgebäude gelegenen Abfertigungs
stellen führen. Die Vermittelung zwischen den Eisenbahnsteigen
und dem Empfangsgebäude bildet ein 24 m breiter Querbahnsteig
mit einer Wölbung von 34 m.
Das Empfangsgebäude hat eine Länge von 300 m; als seine
Hauptteile treten die beiden großen, allein je 1700 qm Grund
fläche umfassenden Einzelhallen der preußischen und sächsischen
Verwaltung mit den Kartenschaltern und Handgepäck-Auf
bewahrungsstellen hervor, aus denen je eine 10 m breite Frei
treppe auf den Querbahnsteig heraufführt. Das Empfangs
gebäude, in dem sich auch die großen Wartesäle, Wirtschafts
räume und dgl. befinden, bedeckt allein eine Fläche von rund
16 000 qm. Die Bahnsteiganlagen hinter dem Gebäude sind auf
eine Länge von 240 m und in einer Fläche von rund 66 000 qm
überdacht. Die Qeleisenetze des Hauptpersonenbahnhofes mit
anschließendem Qüterbahnhofe weißen eine gesamte Qeleise-
länge von 150 Kilometer und 920 Stück Weichen auf. Nach
Wiederaufnahme des Friedensfahrplans werden täglich etwa 500
Züge auf den neuen Bahnhofsanlagen abzufertigen sein.
Zur Abwicklung des Güterverkehrs sind im übrigen be
sondere Bahnhofsanlagen außerhalb des Weichbildes der Stadt
geschaffen worden. Ebenso hat die Reichspostverwaltung für
ihre Zwecke einen besonderen Postübergabebahnhof errichtet,
wo auf 29 nebeneinanderliegenden Geleisen gleichzeitig rund 100
Postwagen zugleich behandelt werden können. Noch vor völ
liger Fertigstellung des Hauptbahnhofes war die sächsische
Staatseisenbahnverwaltung an die Planung einer besonderen
Bahnanlage herangetreten, die die äußersten Punkte der Stadt
mit dem Inneren und später die Vororte miteinander verbinden
soll. Zunächst soll. diese Bahn zwischen Hauptbahnhof und
Bayerischem Bahnhof als Untergrundbahn angelegt werden. Von
dieser ist der im Gebiete des Hauptbahnhofes gelegene Teil fer
tiggestellt. An der weiteren Bauausführung wird mit rund 1200
Arbeitern rüstig gearbeitet.
Zum Schlüsse sei noch erwähnt, daß die Qesamtbaukosten
der Leipziger Bahnhofsanlagen 135 Millionen Mark betragen,
wovon 53 auf Preußen, 60 auf Sachsen, 5 auf die Reichspost und
70 auf die Stadt Leipzig fallen.
Erpressimgs versuch eines Ge wer k-
schaftsbeamten.
Urteil des Reichsgerichts vom 10. Dezember 1915.
sk. Leipzig. (Nachdr. verb.) Der Maurer S. in Marien
werder (Westpreußen) war aus der dortigen Ortsgruppe
des Bauarbeiterverbandes mitte März 1915 wegen Nicht
zahlung des Beitrages ausgeschlossen worden. Die von
ihm nachgesuchte Wiederaufnahme wollte ihm der zu
ständige Gewerkschaftsbeamte Maurer G. nur bewilligen,
wenn S. eine Busse von 30 M. an die Verbandskasse
zahle. Als S. nicht darauf eingehen wollte, drohte ihm G.
er werde ihn als „Nichtorganisierten“ aus seiner Stellung
bringen. G. hat auch diese Drohung wahrgemacht, indem
er den Arbeitgeber des S. durch Androhung einer Arbeits
niederlegung der „Organisierten“ zwang, den S. zu ent
lassen. Wegen versuchter Erpressung, begangen gegen
über dem S., hat das Landgericht Graudenz am 27.
August 1915 den G. zu drei Monaten Gefängnis verurteilt,
weil er den S. durch die unerlaubte Drohung des Boy
kotts rechtswidrig zur Zahlung der Buße hat veranlassen
wollen. — G. Revision wurde jetzt vom Reichsgericht
als unbegründet verworfen.
Vereinsmitteilungen
Württ. Baubeamtenverein. Danksagung. Für die
prächtige Originalradierung „Münster in Ulm“, die mir
anläßlich meines 50jährigen Dienstjubiläums vom Aus
schuß des württ. ßaubeamtenvereins übersendet wurde,
sage ich allen Ausschußmitgliedern herzlichen Dank.
Kanzleirat Palm.
Kleine Mitteilungen
Karlsruhe. Baurat, Prof. Nestle, ein geborener Stutt
garter, ist im Alter von 61 Jahren gestorben.
Stuttgart. Die Direktion der K. Baugewerkschule
beabsichtigt den infolge Verwundung oder Erkrankung
aus dem Heer entlassenen, beurlaubten oder noch in ärzt
licher Behandlung befindlichen früheren Schülern der K.
Baugewerkschule Gelegenheit zu geben, ihre Zeit nutz
bringend zur Weiterbildung auf technischem Gebiet, so
wie zur Auffrischung des früher Gelernten zu verwenden.
Nähere Auskunft erteilt die Direktion der K. Baugewerk
schule Stuttgart, Kanzleistraße 28.
Stuttgart. Dem Württ. General-Major von Bailer,
General des Ingenieur- und Pionierkorps des General
gouvernements in Brüssel, hat in Anerkennung seiner
Verdienste um das Festungswesen der Senat der Techn.
Hochschule die Würde eines Doktor-Ingenieurs ehren
halber verliehen.
Karlsruhe, ln der Hauptversammlung des Bundes
deutscher Architekten, die Mitte Dezember stattfand, wurde
bekannt gegeben, daß auf eine Eingabe an den General
gouverneur von Belgien, Exz.von Bissing, eine zustimmende
Antwort eingelaufen sei. Die Eingabe befürwortete, der
Verwaltung einen künstlerischen Beirat für die Fragen
des Wiederaufbaus zuzuteilen. Ueber Kriegergräber
wurden die Meinungen besonders lange ausgetauscht, über
die darüber gefaßte Entschließung gedenken wir noch