Der. 1918.
BAUZEITUNG
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Die Ausführung von Notstandsarbeiten nach
dem Selbstkostenverfahren
von
Stadtbaurat Dr. Ing. E. Maier und Regierungsbaumeister
Dr. Ing. K. Späth, Stuttgart.
Infolge der plötzlich veränderten politischen Lage
unseres Vaterlandes sehen sich die staatlichen und in
sonderheit die städt. Verwaltungen vor die vordringliche
Aufgabe gestellt, der durch die rasche Demobilmachung
zu erwartenden Arbeitslosigkeit durch Schaffung hinreichen
der Arbeitsgelegenheit rechtzeitig vorzubeugen. Es steht
außer Zweifel, daß es gerade die großen und größeren
Städte sind, in welche sich der Hauptstrom der Arbeits
losen jeglicher Art auf der Suche nach Arbeit ergießen
wird. Neben den frei werdenden Arbeitern der Rüstungs
industrie werden viele kleine Handwerker in der ersten Zeit
der Uebergangswirtschaft ohne Beschäftigung sein, sei
es aus Mangel an Rohstoffen, sei es aus Mangel an Auf
trägen infolge des Darniederliegens von Handel und Ge
werbe. Es gilt also für die einzelnen Verwaltungen, in
beschleunigtem Maße die erforderliche Arbeitsgelegen
heit zu schaffen. Viele während des Krieges zurückge
stellten Arbeiten und Projekte müssen daher zur als
baldigen Ausführung bestimmt werden. Ein entsprechen
der Erfolg in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird
jedoch nur dann erreicht werden, wenn die Vergebung
der Bauarbeiten so geregelt wird, daß möglichst viele
ungelernte Arbeiter, denn um solche wird es sich in der
Hauptsache handeln, Beschäftigung finden. Es bedarf
keiner weiteren Ausführungen, daß an eine freie Vergebung
der Notstandsarbeiten an einen Unternehmer nach dem
bisher geübten Akkordverfahren im Hinblick auf die vor
liegenden besonderen Verhältnisse nicht gedacht werden
kann. Auch ist der Unternehmer bei der Unsicherheit
der Löhne keineswegs in der Lage, bindende Angebote
für größere und langdauernde Arbeiten abzugeben. Es
ist. daher die Durchführung der Notstandsarbeiten so zu
regeln, daß einesteils die Beschäftigung einer größtmög
lichen Anzahl Arbeitsloser gesichert wird und andern-
teils das Interesse sowohl der Bauverwaltung wie des
Unternehmers genügend gewahrt wird. Eine derartige
Regelung wurde vor kurzem anläßlich der Vergebung
der Erdarbeiten — es handelt sich vorerst um 160000
cbm Aushub — für idie Neckarverlegung in Untertürkheim
getroffen und in einer Vereinbarung zwischen der Bau
verwaltung und dem Unnternehmer zusammengefaßl, deren
wesentlicher Inhalt mit Rücksicht auf das Interesse, das
diese Frage in Fachkreisen allgemein beanspruchen dürfte,
im folgenden mitgeteilt sein soll:
§ 1.
Der Unternehmer hat sämtliche, ihm von der Bauverwaltung
bezw. vom städt. Arbeitsamt Stuttgart zugewiesenen Arbeitskräfte,
gelernte und ungelernte, ohne Racksicht auf die körperliche Leistungs
fähigkeit in dem Umfange auf der Baustelle zu beschäftigen, als es
die ungehinderte Ausführung der Arbeiten überhaupt zulässt.
Im Falle des späteren Nachlassens der allgemeinen Arbeitslosig
keit geschieht das Abstossen der untauglichen Arbeitskräfte auf An
trag des Unternehmers nur im Einverständnis der Bauverwaltnng.
Der Unternehmer hat den Arbeitern auskömmliche Löhne bezw.
die von der Bauverwaltung vorzuschreibenden Löhne zu bezahlen.
§ 2.
Die Bauverwaltung ersetzt dem Unternehmer gegen Nachweis
ohne jeglichen Verwalfungszuschlag die folgenden Auslagen:
a) sämtliche Löhne und Gehälter der auf der Baustelle beschäf
tigten Arbeiter und Angestellten, deren Entlohnung ausschliess
lich durch den Unternehmer geschieht, der der Bauverwaltung
in regelmässigen Zeitabständen auf Verlangen auch jederzeit
die Originallisten über die Entlohnungen zwecks Anerkennung
und Verrechnung vorzulegen hat.
b. ) sämtliche auf der Baustelle anfallenden gesetzlichen und üb
lichen Privat-Versicherungen u. ä.;
c. ) sämtliche auf der Baustelle zur Verwendung kommenden
Bau- u. Betriebsstoffe, vor deren Anschaffung, soweit möglich,
die Einwilligung der Bauverwaltung einzuholen ist;
d) sämtliche zur Baustelle gehörigen Einrichtungen, Büros, Hütten,
Werkstätten, Holz für Betrieb und Profilierung u. ä.
Soweit bei § 2 c) und d) gebrauchte, im Eigentum des Un
ternehmers befindliche Gegenstände in Betracht kommen, wird
deren Wert durch vorherige Schätzung im gegenseitigen Be
nehmen bestimmt, im Streitfälle entscheidet entgültig der in
Ziff. 7 genannte unparteiische Sachverständige.
e) Die auf Kosten der Bauverwaltung gern. Ziff. c) und d) zu be
schaffenden Gegenstände hat der Unternehmer im Einverständ
nis mit der Bauverwaltung anzuschaffen und sie auf deren
Verlangen nach Beendigung der Bauarbeiten zu einem in bei
derseitigem Einverständnis festgestellten Preis zurückzuneh
men. Im Streitfall entscheidet auch hier der in Ziffer 7 ge
nannte Sachverständige. Soweit die Gegenstände vom Un
ternehmer aus seinen Beständen geliefert waren, kann der
Unternehmer Rückgabe nach Beendigung des Geschäfts ver
langen.
§3.
Der Unternehmer stellt alles Kleingerät in der erforderlichen
genügenden Menge. Unter Kleingerät wird das Handwerks
zeug verstanden, das der Arbeiter beim Wechsel einer Bau
stelle mitzubringen pflegt, also Pickel, Schaufel, Meissel,
Hammer u. a. mehr, dagegen nicht Schubkarren.
Als Entschädigung für die Anschaffung und Abnützung des
Kleingeräts erhält der Unternehmer . .«/ 0 aus der Summe der auf
der Baustelle anfallenden Löhne der Arbeiter und Vorarbeiter.
Die Gehälter der Bauführer, Werkmeister und sonstiger An
gestellte des Unternehmers, die mit Handhabung des Klein
geräts nichts zu tun haben, bleiben in der für die Entschä
digung maßgebenden Lohnsumme unberücksichtigt. Die lau
fende Unterhaltung des Kleingeräts bezahlt die Bauverwaltung.
Beifuhr des Kleingeräts zur und von der Baustelle geht
zu Lasten der Bauverwaltung.
§4.
Der Unternehmer hat das gesammte Großgeräte, wie Schub
karren, Rollbahnmaterial, Maschinen u. a. in dem erforder
lichen Umfange zu stellen, soweit die Bauverwaltung nicht
selbst eigene Großgeräte mit verwendet.
Als Entschädigung für die Gestellung, Abnützung und Ab
schreibung der im Eigentum des Unternehmers befindlichen
Großgeräte erhält der Unternehmer einen für die ersten 3
Monate vom Baubeginn an gleichbleibenden festen Zinssatz
von je °/o aus dem geschätzten Wert der einzelnen Gegen
stände. Dieser Zinssatz wird nach Ablauf der ersten 3 Monate
für jeden folg, angef. Monat ebenfalls auf ®/ 0 festgesetzt.
Der Schätzungswert der einzelnen Großgeräte wird im
gegenseitigen Einvernehmen von Fall zu Fall festgesetzt.
Im Streitfall entscheidet wiederum der unter Ziffer 7 genannte
unparteiische Sachverständige.
Sämtliche Ausbesserungen des Großgeräts werden, auch
soweit sie ausserhalb der Baustelle vorgenommen werden,
gegen Nachweis der tatsächlichen Auslagen des Unternehmers
ohne Verdienstruschlag durch die Bauverwaltung bezahlt.
Dasselbe gilt bezüglich aller der für die Großgeräte erfor
derlichen Materialien u. a. Wird durch die Ausbesserungen
ein erheblicher Mehrwert des Großgeräts bei Aufhören des
Geschäfts erzielt, so wird dieser Mehrwert durch den un
parteiischen Sachverständigen festgesetzt und vom Unter
nehmer der Bauverwaltung vergütet.
Bei- und Abfuhr des Gerätes zur Baustelle ab Standort
und zurück zum Lagerplatz geht zu Lasten der Bauverwaltung.
Die Miete beginnt mit dem Tag des Abgangs vom Standort
und endigt mit dem Tag des Eintreffens auf dem Lagerplatz,
Evtl. Reparaturzeit nach Beendigung des Geschäfts zählt nicht
zur Mietezeit.