Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1917/18)

1./15. März 1917. 
BAUZEITUNG 
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unten hin alle der handarbeitenden Bevölkerungsklasse 
angehörenden Personen (Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, 
Lehrlinge, Dienstboten usw.), nach oben hin die Selb 
ständigen von der Versicherungspflicht ausgeschlossen 
sind. Innerhalb dieser Grenzen sind in umfassender 
Ausdehnung der Versicherungspflicht alle Angestellten 
unterworfen, soweit nicht durch die gesetzliche Höchst 
gehaltsgrenze oder sonstige Umstände Befreiung eintritt. 
Dieser bereits in der Begründung zum Angestelltenver 
sicherungsgesetz zum Ausdruck gekommenen Auffassung 
haben sich Literatur und Rechtsprechung angeschlossen 
(vergleiche Begründung Seite 93, die Kommentare zum 
Versicherungsgesetz für Angestellte: Mentzel-Schultz- 
Sitzler Einleitung Seite 7, Manes § 1, Anmerkung 7; 
Hagen § 1, Anmerkung 45, Beschluß des Oberschieds 
gerichts vom 16. Juni 1914 zu B. 223 13). 
Darüber, daß die Angestellten nicht zu den Selb 
ständigen gehören, kann kein Zweifel bestehen. Es kommt 
also darauf an, ob sie nach der Art der Beschäftigung der 
handarbeitenden Bevölkerungsklasse zuzurechnen sind. 
Nach den tatsächlichen Feststellungen werden die 
beiden Poliere bei der Arbeitgeberin als Poliere beschäf 
tigt. Als solche haben sie 20—50 Arbeiter unter sich. 
Mit der selbständigen Leitung der Bauten bezw. mit den 
selbständigen Ausführungen von Aenderungs- und Repa 
raturarbeiten werden sie nicht betraut, sondern arbeiten 
in allen Fällen nur unter einem Bauleiter. Die Poliere 
weisen auf der Baustelle ihren Leuten nach den vom Bau 
führer vorher erhaltenen Anordnungen ihre Arbeit zu, 
geben das Zeichen zum Beginn und zur Beendigung der 
Arbeit, und haben dafür zu sorgen, daß die Arbeiter die 
Arbeitsordnung einhalten, ihre Pflichten gegenüber dem 
Baugeschäft erfüllen und mit dem Material vorsichtig und 
sparsam umgehen. Außerdem haben sie ein Kontrollrecht 
über die Tätigkeit der Arbeiter und dürfen selbständig — 
wenn auch nicht endgültig — darüber befinden, ob die 
Arbeit den an sich zu stellenden Anforderungen genügt; 
etwaige Unregelmäßigkeiten müssen sie anzeigen, ihre 
Leute können sie selbständig annehmen und entlassen. 
Ferner obliegt ihnen auch die Verwaltung der Bau 
materialien. Sie führen über den Ab- und Zugang eine 
Wochenliste und sind auch für den vollständigen Bestand 
und ihren brauchbaren Zustand verantwortlich. Mit der 
Beschaffung der Materialien haben sie jedoch nichts zu 
tun. Die Bauzeichen können die Poliere lesen und danach 
ihre Anordnungen treffen. Auch traf sie zugleich mit dem 
Bauführer die Verantwortung, daß die Mauern richtig 
angelegt, die Ständer, Säulen, Schienen usw. genau gesetzt 
werden, daß überhaupt der Bau fachmännisch ausgeführt 
wird. Endlich sind sie auch für die Einhaltung der Vor 
sichtsmaßregeln beim Gerüstbau sowie für die Einhaltung 
der gesetzlichen bau- und straßenpolizeilichen Vorschrif 
ten (z. B. über Materiallagerung, An- und Abfuhr, Rein 
haltung der Straße, nächtliche Beleuchtung) sowie für die 
Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften verantwort 
lich. Lohnlisten haben die Poliere nicht zu führen, 
ebenso haben sie auch nichts mit der Anzahlung des Loh 
nes zu tun. Im übrigen arbeiten die Poliere bei den 
Maurerarbeiten selbst körperlich mit, und zwar entfällt 
der weitaus größte Teil (etwa neun Zehntel) auf ihre 
eigene körperliche Mitarbeit. Sie erhalten seit einiger 
Zeit Wochenlohn, eine besondere Kündigungsfrist ist mit 
ihnen nicht vereinbart. 
Hiernach muß man die Poliere noch der hand 
arbeitenden Bevölkerungsklasse zurechnen. Zwar stehen 
ihnen Anordnungs- und Aufsichtsbefugnisse gegenüber 
einer zuweilen nicht unerheblichen Anzahl von Arbeitern 
zu, auch tragen sie ein gewisses Maß von Verantwortung, 
gleichwohl fehlt ihnen aber die eine immerhin größere 
-Selbständigkeit bedingende Stellung eines Werkmeisters 
oder eines werkmeisterähnlichen Angestellten, denn sie 
unterstehen selbst wieder dem Bauführer, der allein die 
für den Fortgang der Arbeiten auf der Baustelle erforder 
lichen Anordnungen trifft und in erster Linie für die rich 
tige Ausführung des Baues verantwortlich ist. Die Poliere 
haben lediglich die von dem Bauführer erhaltenen An 
weisungen an ihre Leute weiterzugeben und für Ordnung 
auf der Baustelle zu sorgen. Dazu entfällt der weitaus 
überwiegende Teil ihrer Arbeitszeit auf ihre eigene körper 
liche Mitarbeit, welche somit für die Beurteilung ihrer Ge 
samtstellung ausschlaggebend ist. Nach allem kennzeich 
net sich dieselbe nicht als eine werkmeisterähnlich ge 
hobene, sondern lediglich als die eines Vorarbeiters. Es 
war somit, wie geschehen, zu entscheiden. 
Wirtschaft!. Zusammenschluss des 
gesamten deutschen Baugewerbes 
Die beiden großen Standesorganisationen des deutschen 
Baugewerbes: der Deutsche Arbeitgeberbund für 
das Baugewerbe und derlnnungsverband Deut 
scher Baugewerksmeister, welchen in den zahl 
reichen ihnen angeschlossenen Unterverbänden und Inn 
ungen der weitaus größte Teil der baugewerblichen Betriebe 
in allen Teilen des Reiches angehört, haben beschlossen, 
da sie in ihrer Betätigung auf wirtschaftlichem und wirt 
schaftspolitischem Gebiete durch gewisse rechtliche und 
organisatorische Hemmnisse beschränkt sind, zur besseren 
Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des deutschen 
Baugewerbes eine neue, das ganze Reich umfassende Or 
ganisation ins Leben zu rufen. Unter den Aufgaben, 
welche dieser Organisation gestellt sind, sind besonders 
wichtig: die Verbesserung und Vereinheitlichung des Ver 
dingungswesens im Baugewerbe, Schaffung von Einrich 
tungen zum Schutze angemessener Preise und Lieferungs 
bedingungen für Bauausführungen. Daneben wird ihr im 
Hinblick auf den in letzter Zeit beschleunigt fortschreitenden 
Zusammenschluss der Baustoffproduzenten in Syndikaten 
der Schutz der Interessen des Baugewerbes als verarbei 
tender Industrie gegenüber einseitiger Machtpolitik dieser 
Syndikate obliegen. Die geplante neue Organisation, deren 
Gründung wahrscheinlich bereits in nächster Zeit erfolgen 
wird soll den Namen: Deutscher Wirtschaftsbund 
für das Baugewerbe führen. Sie wird ihren Sitz in 
Berlin haben und sich in Bezirks- und diesen ange 
schlossene Orts-Wirtschaftsverbände gliedern. 
Kleine Mitteilungen 
Wohnungsgesetz und Baugewerbe. Zu dem neuen 
Entwurf eines preußischen Wohnungsgesetzes hat der 
Innungs-Verband Deutscher Baugewerksmeister eine aus 
führliche Eingabe an das Abgeordnetenhaus und an die 
Staatsregierung gerichtet. Es werden darin eine Reihe 
von Aenderungsvorschlägen insbesondere auch zur Rege 
lung der Wohnungsaufsicht gemacht. Auch wird die Ein 
führung der Rentenform zur Abtragung von Anliegenbei 
trägen vorgeschlagen. 
Grundsätzliche und eingehende Darlegungen sind ferner 
der Frage der Förderung der gemeinnützigen Baugenossen 
schaften gewidmet. Die durch den Krieg entstandenen 
äußerst schwierigen Verhältnisse auf dem privatwirtschaft 
lichen Baumarkt und im städtischen Haus- und Grund 
besitz werden dabei ebenso untersucht wie Fragen des 
Kleinwohnungswesens im Allgemeinen und der Kleinwoh 
nungssiedlungen für Kriegsbeschädigte im Besonderen. 
In Uebereinstimmung mit den Beschlüssen auf seinen 
früheren Haupttagungen tritt der Innungs-Verband schließ 
lich für eine volle Gleichberechtigung der privatwirtschaft 
lichen Unternehmungen der Wohnungsproduktion mit den 
gemeinnützigen Baugenossenschaften ein und zwar sowohl 
inbezug auf die Hergabe billiger Gelder aus öffentlichen 
Mitteln, Ueberlassung von Bauland zu niedrigen Preisen, 
wie auch inbezug auf Vergünstigungen in steuerlicher 
Hinsicht und bei Stempelgebühren.
	        
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