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BÄÜZEITÜNO
Nr. 35/39
seit Alters her gepflegt. Auch der Hühnerzucht ist in
Frankreich mehr Aufmerksamkeit gewidmet als bei uns;
wurden doch in den beschriebenen Anwesen 500 Hühner
gehalten, von denen jetzt natürlich kein Stück mehr vor
handen ist.
Der das Rechteck der Anlage abschliessende Küchen
garten ist von einer 2 mtr. hohen Mauer gegen die Nach
bargrundstücke abgegrenzt, so daß das Ganze in sich
abgeschlossen ist. Das Gemäuer der Baulichkeiten be
steht aus schlecht behauenen Kalksteinen, vielfach sogar
aus unbehauenen. Die Dächer sind mit Schiefer abge
deckt.
In sanitärer Beziehung sieht es auf den franz. Gehöften
traurig aus. Der Dung liegt in ungeregelten Haufen auf
dem Hofe herum. Die Aborte befinden sich hinter einem
Bretterverschlag in irgend einer Ecke und verpesten, da
gemauerte Gruben fehlen, die ganze Umgebung. Das
Wasser wird aus sehr tiefen Brunnen mittels Eimer herauf
gekurbelt und meistens für Trinkwasser nicht zu gebrau
chen. Die Gebäude befinden sich in baufälligem Zustande,
woran die seit 2 1 /s Jahren bestehende militärische Beset
zung des Gebietes zum Teil mit Schuld sein dürfte, doch
ist ein guter Teil dieser Tatsache auf die Achtlosigkeit
des Besitzers zurückzuführen. Man baut schlecht und
überläßt das Weitere dem Schicksal; daher die Menge
durch schlechte Unterhaltung zusammengebrochener Ge
bäude.
Daucher, Leutnant in einem Armierungsbataillon.
der Völker mehr denn je vor Augen gerückt worden sein..
Was heute als Folge dieses Geschehenen wohl Jedem
klar sein wird, ist, die in der Februar 1917 Nummer der
Bauzeitung „Der Weltkrieg und das Spielproblem deut
scher Kunst“ ausgesprochene Tatsache, daß der Krieg den
Abschlußstrich zu einem Abschnitt unseres Kunstlebens
darstellt.
Die letzten Jahre vor dem Kriege brachten uns bei
nahe jedes Jahr eine andere Auffassung, eine andere Stil
richtung. Wie der Wirbelwind brausten die Blütengedanken
einer Darmstädter Künstlerkolonnie durch die deutschen
Lande. Jeder wußte, es kommt, es muß was Neues nun
kommen und versuchte nach seiner Art, unabhängig von
Andern seine Gedanken nachzuleben und zu verarbeiten.
Den Einsichtigen war es jedoch bald klar, daß die von
den meisten Kunstbeflissenen betriebene Materialvergewal
tigung kein gutes Ende nehmen könne. Die Folge zeigt
es auch. Sie ließ Konstruktion und Material die erste
Stelle einräumen wobei dann die ausschmückende Kunst
mit ihrem Drum und Dran sehr not litt. Die letztere war
ein Modekind geworden. Sie wurde in maßloser Weise
vergewaltigt und als selbstverständliche Beigabe kaum
noch gewürdigt. Sie wurde nach der Schablone fabri
ziert und erlebte so ihre verfehltesten Anwendungen.
Es wurde mit den Jahren vielleicht etwas besser.
Nun kam der Krieg. Alle die draußen im Felde waren
haben in müßigen Stunden Zeit genug dies alles festzu
stellen und hoffen nun nach dem Frieden es anders zu
Die kommende Kunst.
Die Rassen stehen sich heute im Weltkrieg gegen
über. Von einigen führenden Köpfen werden sie geleitet
und folgen als Söhne ihres Staates dessen Lenkern. Das
früher gewohnte tägliche Leben hat aufgehört. Aus dem
seitherigen Kreis mit seinen Anschauungen und Begriffen
sind die Kunstbeflissenen aller Gebiete gerissen worden.
Sie erleben draußen im Felde, fern von allem seither Be
wunderten und Gehegten eine geistige Wiedergeburt, ein
Neusehen ihres bisher Geschaffenen und Erlebten.
Fern von Büchern steht der Künstler im Felde vor
realen Begriffen. Sein Auge mißt und vergleicht. Vielen
war es möglich die Wohnstätten von Reich und Arm aller
zentraleuropäischen Völker zu sehen, ihre Auffassung vom
Leben, ihre Sitten, ihre Lebensbedingungen und nicht zu
letzt ihre Kunstwerke zu beobachten. Der Gang der Dinge,
der dauernde Wechsel des Standorts des Soldaten brachte
beinahe mit Naturnotwendigkeit ein schärferes Hinsehen,
ein tieferes Vergleichen, ein Suchen nach den Ursachen
mit sich.
Jedem muss der Unterschied im Denken und Schaffen
machen und ihre Arbeit von anderen Grundsätzen und Er
fahrungen leiten zu lassen.
Wie wird nun die kommende Kunst sich gestalten?
Welche Richtlinien sollen uns nun den Weg zu einer schö
nen deutschen Kunst weisen? Die Gefahr liegt nahe, daß
Manche sich berufen fühlen werden fremde Formen an
zuwenden. Der Eine kennt den Baustil der Vlämen und
hat deren schöne alte Kunst studiert. Der Andere die fla
chen Dächer der Franzosen, jener sah die Häuser Süd
ungarns und Serbiens und wieder Andere die russischen
Lande usw. Was würde das geben! Es wäre sicher ein
Unglück. Hoffen wir, daß Material und Konstruktion mehr
denn je in den Vordergrund gerückt werden, daß wir bei
unserem kommenden Schaffen vermeiden ausländische For
men oder frühere Stile nachzumimen oder gar fremdes
Material zu verwenden, daß wir in Wahrheit bodenständig
arbeiten. Dann werden wir einer neuen deutschen Kunst
die Wege ebnen.
Mehr denn je müssen wir uns einer intensiven Arbeit
hingeben und unser Schaffen nicht nach Schablonen, son
dern dem tatsächlichen Zweck unterordnen. Dann kaun
es nicht mehr verkommen, daß so üble Resultate für Jahr