Full text: Süd- und Mitteldeutsche Bauzeitung (1919/20)

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BAUZEITUNG 
Nr. 33/34 
lichkeiten, vorläufig zurückgestellt werden mußte. Der 
Theaterneubau dagegen wurde mit den nach Kriegsaus 
bruch noch zur Verfügung stehenden Arbeitskräften ener 
gisch weiter betrieben, so daß die Einweihung der Bau 
anlage am 11. Juni 1915 erfolgen konnte. 
lieber die Einweihung und über die Bauanlage selbst 
schrieb damals der „Schwäbische Merkur” eine Kritik im 
Abendblatt vom 12. Juni 1915 unter Anderem: 
„Der neue Theater- und Saalbau der Tübinger Mu 
seumsgesellschaft ist heute unter Teilnahme weitester 
Kreise der Tübinger Bürgerschaft der Öffentlichkeit über 
geben worden. Der neue Saalbau, als Bauwerk eine vor 
treffliche Schöpfung des Tübinger Stadtbaumeisters Uaug, 
ist für unsere Universitätsstadt zweifellos eine bedeutende 
Errungenschaft. Wir haben im alten Museumsfestsaal 
manche schöne und frohe Stunde erlebt, aber ein Festsaal 
war er eigentlich nur dem Namen nach; im übrigen machte 
er stets den Eindruck eines schwäbischen Notbehelfes; für 
in seiner vornehm schlichten Profilierung auch der Pros 
zeniumsrahmen, der den Uebergang vom Festsaal zur sehr 
geräumigen (200 qm großen) Bühne vermittelt und dem 
ein versenkbares Orchester zur Aufnahme von etwa 30 
bis 40 Personen vorgelagert ist. Bühne und Saalarchitek 
tur sind gut aufeinander abgestimmt, so daß bei Kongres 
sen und großen Veranstaltungen der große Bühnenraum 
in den Saal mit einbezogen werden kann. Aehnlichen 
Zwecken können auch der dem Festsaal seitlich vorge 
lagerte, sehr weiträumige Wandelgang (der auch die 
durchaus zweckmäßig angeordneten reichlichen Kleider 
ablagen birgt) und die auf der gegenüberliegenden Seite 
angegliederte Gartenterrasse dienstbar gemacht werden. 
Es läßt sich auf diese Weise eine Saalbreite von 27—28 m 
ermöglichen. Bei Theatervorstellungen läßt sich der Zu 
schauerraum durch einen transportablen Aufbau amphi 
theatralisch ansteigend gestalten. Er umfaßt dann 700 
Sitzplätze, zu denen etwa 400 Galerieplätze kommen, zu- 
Oberer kleiner alter Festsaal mit Durchblick in den neuen oberen kleinen Festsaal. 
Theaterzwecke war er vollends fast eine Unmöglichkeit. 
Man muß daher der Tübinger Museumsgesellschaft und 
den beteiligten städtischen und akademischen Kreisen 
dankbar sein, daß sie eine durchgreifende Umgestaltung 
tatkräftig in die Hand genommen haben. 
Wenn der Kern der Schönheit eines Bauwesens in 
seinen Proportionen liegt, dann gebührt dem neuen Saal 
bau des Tübinger Stadtbaumeisters volles Lob. Bei aller 
Weiträumigkeit des Hauptsaales und einem Flächeninhalt 
von 19,50 :24 m ist die Raumwirkung überaus fein und 
behaglich. Die Stellung der vierkantigen Pfeiler auf den 
Galerien wirkt in ihrer Einfachheit monumental und ruhig, 
die Ornamentierung ist von vornehmer Unaufdringlich 
keit. Wohltuend wie die Formensprache ist auch die 
Farbengebung, die auf einen feinen Akkord von Weiß, 
Grau und Goldgelb abgestimmt ist. Sehr wirksam ist bei 
Tagesbeleuchtung das durch runde Fenster über den Ga 
lerien einfallende hohe Seitenlicht. Die Galerie, besonders 
die Mittelgalerie, ist bei ihrer auf alle Seitenstützen ver 
zichtenden Spannweite von 16,80 m auch in konstruktiver 
Beziehung bemerkenswert. Von sehr guter Wirkung ist 
sammen also 1100 Zuschauersitzplätze ohne Stehplätze, 
die alle fast gleich gut die Bühne beherrschen. 
Sehr geistreich ist die Art, in der der Architekt den 
neuen Festsaal und seine Galerie mit dem alten kleinen 
Museumssaal und mit einem gleich großen neuen Saal im 
oberen Stockwerk in Verbindung gebracht hat. Diese bei 
den oberen Säle können durch Herausnahme von Zwi 
schenwänden bei großen Veranstaltungen, Konzerte, Ora 
torien an den Zuschauerraum angegliedert werden. Einen 
großen Fortschritt gegen früher, den namentlich die auf 
tretenden Künstler würdigen werden, bedeuten die aufs 
Zweckmäßigste eingerichteten geräumigen Künstlergarde 
roben. Alles in allem; Tübingen hat jetzt einen Theater- 
und Festsaalbau, auf den es stolz sein und mit dem es sich 
auch größeren Städten getrost an die Seite stellen kann. 
Auch die neue Fassade nach der Grabenstraße zu trägt 
den Charakter künstlerischer Vornehmheit und schlichter 
Selbstsicherheit. Mit großer Befriedigung wurde allseitig 
festgestellt, daß dem Baumeister die Akustik des Hauses 
aufs beste gelungen ist, ein Moment, den man bekanntlich 
immer mit einigem Bangen entgegensieht. Sehr erfreulich
	        
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