Full text: Süd- und Mitteldeutsche Bauzeitung (1919/20)

1./15. Okt. 1919. 
BAUZE1TUNO 
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der Stadt Stuttgart wurden im Jahre 1913 190 000 cbm 
Fäkalien abgeführt, hierunter 19 000 aus solchen Gebäu 
den, die mit Wasserspülung versehen sind und die wegen 
ihrer Verwässerung zur eigentlichen Düngung nicht mehr 
in Frage kommen. Dieser Anfall entspricht einer Ein 
wohnerzahl von 260 000. Es verbleiben sonach über 
40 000 Einwohner, deren Abfallstoffe wohl nicht von der 
hiezu besonders eingerichteten Entleerungsanstalt abge 
führt, aber immerhin auf andere Weise zur Düngung ver 
wendet werden. Hiebei handelt es sich um Bewohner 
aus den Vororten und an der Peripherie der Stadt ge 
legener Gebäude. 
Chemische Untersuchungen haben ergeben, daß 1000 
Liter Fäkalien an wichtigen Pflanzennährstoffen enthalten: 
4,2 kg Stickstoff, 2,10 kg Phosphorsäure und 1,69 kg 
Kali, so daß 171 000 cbm Fäkalien, die zur Düngung in 
Frage kamen, an Pflanzennährstoffen enthalten: 718 200 
kg Stickstoff, 359 100 kg Phosphorsäure und rund 289 000 
kg Kali. 
Unter Zugrundelegung der Friedenspreise 
für die angeführten Pflanzennährstoffe berechnet sich der 
Wert der allein in Stuttgart abgeführten Pflanzennähr 
stoffe auf rund 4,3 Millionen Mark. Heute dürfte sich der 
Wert auf über 10 Millionen Mark berechnen. Trotz die 
ses Wertes soll aus „hygienischen“ Gründen eine 
andere Art der Beseitigung der Abfallstoffe eingeführt 
werden. Es ist dies die Abschwemmung der Fäkalien 
in den Kanälen nach einer Kläranlage (Schwemmkanali 
sation), bei der die Pflanzennährstoffe wieder in Gestalt 
eines Schlammes nutzbringende Verwendung finden kön 
nen. Ein weiterer Grund, mit hohen Kosten neue Kanäle 
mit einer Kläranlage herzustellen, wird wohl darin liegen, 
daß allgemein das Entleerungs- und Abfuhrsystem nicht 
mehr als der Neuzeit entsprechend, insbesondere für eine 
Großstadt, angesehen werden kann. Schon der Umstand, 
daß der Durchschnittsgroßstädter einen Reiz in seinem 
Geruchsnerv empfindet, wenn er auch nur einen Latrinen 
abfuhrwagen von weitem sieht, hat viel dazu beigetragen, 
die Ansicht zu verbreiten, das Abfuhrsystem bedeute ein 
hygienisches Uebel. Außerdem liegt noch ein Grund 
darin, daß es vor dem Kriege sehr schwierig war, die 
Latrine überhaupt noch unterzubringen und bei der Kon 
kurrenz des auf den Markt gebrachten in- und auslän 
dischen Kunstdüngers Preise zu fordern, die die Selbst 
kosten halbwegs deckten. 
Was nun die Gewinnung oder die Verwendung des 
Klärschlammes als Düngemittel betrifft, so liegen anschei 
nend gute Resultate von chemischen Untersuchungen vor; 
es wird sogar behauptet, daß der Klärschlamm in Bezug 
auf Düngerwert die Latrine übertreffe. 
Es soll nicht bezweifelt werden, daß die chemischen 
Untersuchungen dann gute Ergebnisse zeitigen, wenn 
große Mengen Urfäkalien zugeführt werden, in dem 
Augenblick aber, wenn nur noch stark verdünnte Latrine 
abfließt, aus dem dann mit dem übrigen Schmutzwasser 
der Schlamm gewonnen wird, wird der Düngerwert na 
turgemäß zurückgehen. Uebrigens lehrt die Praxis ,daß 
die Landwirte die Latrine bei weitem dem Klärschlamm 
vorziehen. Zudem dürfte die Verbringung des Schlam 
mes auf die Felder mindestens ebenso umständlich und 
kostspielig sein, wie dies bei der Latrine der Fall ist. Von 
diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, ist die Verwen 
dung des Kunstdüngers einfacher und daher billiger. 
Die Gründe, die eine Stadtverwaltung zur Ab 
schwemmung menschlicher Abfallstoffe veranlassen 
könnte, sind nur zumteil zu würdigen. Das Schlagwort 
„hygienisch“ dürfte wohl nur bedingt auf die Abschwem 
mung Anwendung finden, denn es ist eine Schwemmkana 
lisation nur als hygienisch einwandfrei zu bezeichnen, 
wenn eine glatte und reichliche Durchspülung der Kanäle 
die Reinhaltung derselben und die Vermeidung von 
Schlammablagerungen innerhalb des Kanalnetzes gewähr 
leistet. Andererseits aber kann auch ein Latrinenentlee 
rungsbetrieb derart gestaltet werden, daß Geruchsbelästi 
gungen auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Dies 
kann in erster Linie dadurch geschehen, wenn größere 
Tonnen (Abfuhrfässer) verwendet werden, das allerdings 
eine Aenderung des gesamten Abfuhrbetriebs zur Folge 
haben müßte. Außerdem könne man damit erreichen, 
daß mit einer kleinen Anzahl Wagen die Stadtstraßen be 
fahren werden und für das mehr oder weniger in 
seinen Oeruchsnerven empfindliche Publikum nicht meh 1 ' 
in dem Maße auffallen, wie es früher der Fall war. Viel 
leicht hat aber auch die Kriegszeit dazu beigetragen, hy 
gienische Momente weniger streng zu nehmen. 
Der weitere Grund über den Absatz des Latrinen 
düngers und der Konkurrenz durch in- und ausländische 
Kunstdünger dürfte wohl für Jahre hinaus in Wegfall 
kommen, außer dann, wenn gerade das Stickstoffsyndikat 
eine solche Konkurrenz darstellen würde. Andererseits 
aber würde bei besserer Ausnützung der in den Groß 
städten anfallenden natürlichen Düngemittel dem Stick 
stoffsyndikat eine Konkurrenz geschaffen, die unter Um 
ständen einen wesentlichen Einfluß auf die Preisgestaltung 
auszuüben vermag. 
Es mag der Beibehaltung des seitherigen Entlee 
rungsabfuhrbetriebs entgegenzuhalten sein, daß eine 
solche Einrichtung nie rentabel gestaltet werden könnte. 
Die wesentlichsten Betriebsunkosten sind auf die 
Fuhrkosten zurückzuführen, und es müßte in erster Linie 
hier der Hebel angesetzt werden. Dies ist nur dadurch 
erreichbar, daß man Kraftwagen einführt oder besondere 
Rohr- oder Kanalleitungen erstellt und nur soviele Ge 
spanne beschäftigt, die unbedingt zur direkten Beiführ der 
Latrine auf die Felder benötigt werden. Wenn gesagt 
werden will, der Kraftwagenbetrieb rentiere sich nicht, 
so stehen dem praktische Erfahrungen gegenüber, denn 
es ist wohl kein anderer Betrieb denkbar, bei dem ein 
Kraftwagen außer den kurzen Füllungs- und Entleerungs 
zeiten immer auf der Fahrt ist. 
Ein weiterer Mangel ist der, daß etwa 80 Prozent 
Wasser mit der Latrine abzuführen und mit der Bahn zu 
befördern sind. Würden hier Vorkehrungen getroffen, 
die nutzlosen Bestandteile zu beseitigen, wie es bei dem 
Kolazitverfahren erreicht worden ist, so würde sicherlich 
das ganze System auf einer anderen Grundlage aufgebaut 
werden können und erhebliche Betriebskosten (Fracht) 
erspart bleiben. Den Landwirten wäre ebenfalls die Mög 
lichkeit gegeben, in weniger umständlicher Weise dife 
Düngemittel auf die Felder zu verbringen. 
Es würde dadurch zu erreichen sein, daß 
L die natürlichen Düngemittel restlos der landbautrei 
benden Bevölkerung zugeführt und 
2. dem Stickstoffsyndikat in der Preisgestaltung Schran 
ken gesetzt werden könnten. 
Bedingung wäre aber in erster Linie, daß nicht von 
einem Abbau, sondern einem Ausbau einer schon be 
stehenden Latrinenentleerungsanstalt gesprochen würde, 
und daß über diese Fragen nicht Laien sondern in erster 
Linie Techniker und Chemiker, in Verbindung mit maß 
gebenden landwirtschaftlichen Kreisen entscheiden. 
Rauschenberger, städt. Bauamtswerkmeistcr. 
Wettbewerbe. 
Stuttgart. Zur Erlangung von Vorentwürfen für den 
Bau eines Kindererholungsheims in B e r g, Gemeinde 
Hemigkofen am Bodensee war von der Stadtgemeinde ein 
öffentlicher Wettbewerb unter sämtlichen reichsdeutschen 
Architekten, die zur Zeit des Ausschreibens in Württem-
	        
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