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BAUZE1TUNQ
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wäre, die großen unausgebauten Wasserkräfte, unterliegen
nach dem Friedensvertrag von St. Germain wie alle öster
reichischen Besitztitel überhaupt) dem Generalpfandrecht
der Entente, auf welches dieselbe in nächster Zeit nicht
verzichten wird. , ‘ \
Der Weltmarkt jst Qester rfikh beute infolge des kata
strophalen Tiefstandes der KcVfreiÄÄhrung fast gänzlich
verschlossen. Welche Ware man auch heute in
größerem Umfange einkaufen, w^fln man überall 4000
Kronen bezahlen muß, wo früher 100 Kronen ausgereicht
hätten. Die natürliche Folge davon ist, daß hier alles sehr
teuer ist.
Aber auch zu den höchsten Preisen sind manche
Waren und Gebrauchsartikel gar nicht, andere nur in
primitivster Kriegserzeugung erhältlich. Die Kosten der
Lebenshaltung sind daher riesig hohe. Die werktägig ,
arbeitende Bevölkerung begegnet diesem Uebelstande
durch immer neue und höhere Lohnforderungen. Die im
staatlichen, kommunalen und privaten Angestelltenver
hältnis stehenden Kreise sind hierin in weit weniger gün
stiger Lage. Wenn ein ungelernter Hilfsarbeiter einen
Stundenlohn von 6—10 Kronen, also einen Monatsver
dienst von ca. 1800 Kronen zu verzeichnen hat, wird man
das Monatsgehalt eines Baumeisters von 800—1600 Kro
nen nicht hoch nennen können.
Ein akademisch gebildeter Ingenieur mit Abschluß
prüfung in den besten Jahren stehend erhält nach dem
in Kraft befindlichen sog. Kollektivvertrag, der auf die
Zahl der Familienmitglieder, die vom Familienhaupte zu
unterhalten sind, Rücksicht nimmt, einschließlich der Bau
platz- und Auswärtszulagen bei einer vierköpfigen Familie
im Monat rund 1800 Kronen.
Die wenig beneidenswerte Lage solcher Existenzen
wird sofort klar, wenn man die Preise der täglichen Ge
brauchs- und Bedarfsartikel in Betracht zieht.
So kosten z. B. die auf Grund der Lebensmittelkarten
erhältlichen Nahrungsmittel: 1 kg Brot ca. 4,0 Kr, 1 kg
Zucker 50 Kr., 1 kg Mehl 11—12 Kr., ein Paar Schuhe je
nach Qualität 600—1000 Kr., ein einigermaßen tragbarer
Herrenanzug 3000—4000 Kr. usw.
So liegen die Verhältnisse heute; an eine Besserung
ist für die nächste Zeit nicht zu denken. Der Mangel an
Rohmaterialien, der Tiefstand des Geldmarktes, die viel
fach wahrzunehmende Arbeitsunlust, das fast allgemeine
Mißtrauen in die Zukunft, teilweise auch starke Fesse
lungen durch die jetzige Gesetzgebung hindern und unter
drücken beinahe jede Regung des Wiederaufbaues.
Wie steht es nun mit der Zukunft ?
Hierauf ist die Antwort im wesentlichen bereits ge
geben. Friedensvertrag, Valuta, Besitz eigener Rohstoffe
und Ernährungsprodukte sind Begriffe, die bezüglich ihrer
Wirkung und ihres Vorhandenseins im vorstehenden wohl
genügend erörtert worden sind.
Die Konsolidierung der Verhältnisse müßte aber
durch wirksame Hilfe von außen möglich sein, könnte hier
eingewendet werden, denn die Arbeitskraft eines hoch
stehenden Kulturvolkes kann doch nicht unausgenützt
bleiben, die Weltwirtschaft kann hierauf nicht verzichten
und hat daher ein Interesse daran, diese großen Arbeits
energien in den wirtschaftlichen Kreislauf einzubeziehen.
Die Reisen der österreichischen Staatsfunktionäre
nach Paris und Prag haben nun aber mit aller Deutlich
keit bewiesen, daß vorerst auf eine Hilfe Europas nicht
zu rechnen ist.
Die Entente hat wohl im Laufe des letzten Jahres
durch ihr französisches Oberhaupt dem armen Lande alle
möglichen Versprechungen gemacht, gehalten wurden
diese Versprechungen aber nur in verschwindend ge
ringem Umfange. Hierin hat auch der neuerliche Bittgang
nach Paris nichts geändert.
Die ehemaligen Staatsgenossen, die Tschechen und
vor allem auch die Südslaven aber sehen zuerst und vor
allem auf ihre eigenen Vorteile und haben daher für den
in den Agonie liegenden Nachbar nichts übrig.
Vielleicht ist da oder dort der gute Wille vorhanden,
Hilfe zu leisten, die Möglichkeit hiezu aber nicht gegeben.
Es kann angenommen werden, daß alle am Kriege be
teiligten europäischen Staaten z. Zt. überreichlich mit der
Ordnung der eigenen Angelegenheiten beschäftigt sind,
für einen anderen daher nichts übrig haben. Die Neutra
len aber sind zu klein und zu schwach.
Der einzige Staat, der rasche wirksame Hilfe leisten
könnte (die Vereinigten Staaten von Nordamerika), hält
sich zurück. Wohl unterhält er in Wien einige Volks
küchen, er sendet auch ab und zu einige Almosen, doch
darüber hinaus geht es nicht.
Der amerikanische Geschäftsmann hat eben begriffen,
daß hier außer der Ausnützung der Arbeitskräfte nichts
zu holen ist. Nach Lage der Verhältnisse aber werden
diese Arbeitskräfte ungerufen zu ihm kommen und vor
seiner eigenen Türe um eine Dienerstelle bitten. Denn auf
die Dauer berechnet wird der Betrieb dort, an der Oe-
winnungstelle der Rohprodukte, sich billiger stellen als
hier, da die Zufuhren die etwaigen Lohndifferenzen auf
wiegen würden.
Außer Frage dürfte es ferner stehen, daß die soziali
sierenden Bestrebungen der gegenwärtigen Gewalthaber
Oesterreichs den Amerikanern nicht gefallen, und daß sie
daher etwaige Kapitalanlagen als bedroht ansehen.
Nicht gering ist die Zahl derer, die in dem durch die
Entente z. Zt. allerdings unmöglich gemachten Anschlüsse
an Deutschland die Rettungsmöglichkeit erblicken. Würde
dieser staatliche Anschluß tatsächlich zustande kommen,
so könnte er keineswegs die Umwandlung der Verhält
nisse in dem Sinne bringen, in dem man es sich hier viel
fach erträumt. Die nackten Lebensmöglichkeiten dürften
aber dann ohne Frage dennoch gegeben sein.
So sehr eine staatliche Verschmelzung der heutigen
Reichsdeutschen mit dem jetzigen Deutschösterreich im
völkischen Sinne zu begrüßen wäre, ebenso sehr muß man,
und zwar mit allem Nachdruck, darauf hinweisen, daß die
Verwirklichung dieser Bestrebungen, wenigstens für die
erste Zeit, für beide Teile schwere Enttäuschungen bringen
würde. Die speziell österreichische Mentalität — nennen
wir es einmal Gemütlichkeit — würde vom deutschen
Mutterland große Opfer fordern; andererseits gefällt man
sich hier zu sehr im Rufe: Hilf! hilf! hilf! und denkt offen
bar recht wenig daran, daß Selbsthilfe die beste, bei der
Unzulänglichkeit der eigenen Kräfte aber der Wille zur
Selbsthilfe geradezu die Grundbedingung für den Erfolg
eines fremden Hilfswerkes ist. Von vielen hierzulande
müßten daher die deutschen Leistungen als ungenügend
empfunden werden, da man viel mehr erwartet hatte, mehr
erwartet hatte, als gegeben werden kann.
Noch eine weitere Frage, die die Lage der Techniker
hier auf lange Zeit hinaus ungünstig beeinflussen wird,
soll nicht vergessen werden; es ist dies der eigene Ueber-
schuß an solchen Kräften. ß
Obwohl das deutsche Element im alten Kaiserstaate
Oesterreich nur eine starke Minderheit darstellte, waren
aus seiner Mitte doch der Großteil der Beamten und Offi
ziere entnommen worden, da die übrigen Nationalitäten
als nicht genügend zuverlässig galten.
Die Zerreißung des bisherigen Staatsgebildes brachte
es nun mit sich, daß der größte Teil der Staatsdiener
deutscher Zunge aus den abgetrennten Gebieten vertrieben
wurde und genötigt war, hier Zuflucht zu suchen. Die
elementarsten Grundsätze der Menschlichkeit und des
Rechtes zwangen den Staat Renners, diese Armen auf
zunehmen und so gut es gehen wollte unterzubringen.
Dadurch ist nun wohl eine fast durchgängige Ueber-
füllung nicht nur beinahe aller Staats-, Bezirks- und Ge