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STUTTGART
Süd- und mitteldeutsche
BTTÜM
Heue folge der Bauzeilung für Württemberg, Baden, fressen,
CIsaB-Oothringen.
Gegründet als Württembergisehe Bauzeilung im lahre 1904.
1./I5. April 1920
Inhalt: Zur Stellung des Technikers. — Das Holz als Baustoff. — Würtfembergische
Technikerwoche. — Neuerungen und Verbesserungen an Zement- und Schlacken
steinmaschinen. — Rundschau. — Wettbewerb. — Vereinsmitteilungen. — Bücher.
Alle Rechte Vorbehalten.
Zur Stellung des Technikers.
Von cand. rer. pol. Dr. Ing. Karl Maller,
Langenau bei Ulm,
Schon mehr als ein Jahrzehnt führen wir Techniker
Klage darüber, daß wir uns im öffentlichen Leben, neben
anderen Berufsständen gleicher Vorbildung, nicht als
gleichberechtigt durchsetzen könnten und überall der
Jurist die Führung übernommen hätte. Inzwischen kam
der verheerende Weltkrieg, der Gelegenheit genug gab,
die ungeheuer wertvollen, zum Teil geradezu gigantischen
Leistungen deutscher Technik aller Welt, besonders aber
auch größeren Kreisen des eigenen Volkes anschaulich
vor Augen zu führen. Mit Recht erhebt sich seither in
immer stärkerem Maße die Forderung, endlich die not
wendige, sozial durchaus vertretbare Gleichberechtigung
mit den übrigen Ständen gleicher Vorbildung durchzu
führen. Ziehen wir heute aber die Bilanz all dieser vielen
Bemühungen, so kommen wir zu dem bedauerlichen Er
gebnis, daß eigentlich doch recht wenig Positives erreicht
ist! Wo es sich um wichtige Entscheidungen handelt, hat
der Techniker, von wenigen Fällen abgesehen, heute kaum
mehr Einfluß als früher. Die Stellung des Techniker
standes in Staat und Gemeinde ist im wesentlichen die
selbe untergeordnete, juristisch bevormundete geblieben.
Wie kommt dies? Die Gründe sind mannigfache, doch
dürften die Hauptursachen der Hemmung aller dieser Be
strebungen nach Gleichstellung einerseits in der bedauer
lichen Zersplitterung der technischen Berufsgruppen unter
sich, andererseits in dem unbestreitbaren Mangel politi
scher Kenntnisse und Betätigung gelegen sein. Hier liegt
zweifellos die Schuld auf unserer Seite.
Nun nützt uns aber eine Feststellung und resignierte
Betrachtung dieser recht beklagenswerten Zustände gar
nichts, wohl aber eine zielbewußte, energische Tat, diese
hemmenden Uebelstände sofort und gründlich zu besei
tigen. Die Gewerkschaften liefern uns täglich den anschau
lichsten Beweis, daß heute nur noch die streng organi
sierte Masse, nicht aber der Einzelne, etwas zu erreichen
vermag. Engster Zusammenschluß, und zwar m i t den
aus der .Mittelschule hervorgegangenen Technikern ist
hier die erste Vorbedingung. Dem Techniker muß in
Zukunft im öffentlichen Leben diejenige Stellung einge
räumt werden, die ihm auf Grund seiner anerkannten
Leistungen und umfassenden Vorbildung gebührt. Dieses
Ziel kann aber restlos nur durch regste Anteilnahme an
der Lösung der wichtigsten sozialen Aufgaben, d. h.
durch tätige Anteilnahme am politischen
Leben in Staat und Gemeinde erreicht und auf die
Dauer behauptet werden! Damit legen wir die Hand auf
die offene Wunde unseres Standes, deren Vorhandensein
wir nicht leugnen wollen. Ist das krasse Mißverhältnis
zwischen der überaus großen Zahl deutscher Techniker
und ihrer berufsmäßigen Vertretung im Land- und Reichs
tag nicht ein überaus klägliches? Hier offenbart sich deut
lich genug unser Mangel an politischer Bildung, der uns
Deutschen leider eigen ist und nicht wenig zu unserem
Unterliegen beigetragen hat.
Um aber nutzbringende — nicht Parteipolitik — Poli
tik treiben zu können, ist die Kenntnis der Zusammen
hänge staatsrechtlich-politischer und wirtschaftlicher
Fragenkomplexe, d. h. staatswissenschaftliche Vorbildung,
unbedingteVoraus Setzung. Es steht nun aber
durchaus nichts im Wege, uns diese Kenntnisse, wenig
stens in ihren notwendigen Orundzügen, zu verschaffen.
Im wesentlichen sind es nämlich nur diese, welchen die
Juristen ihren Vorsprung im öffentlichen Leben ver
danken. Die dringliche Notwendigkeit der Erweiterung
unserer bisher zu einseitigen Fachausbildung in den Ge
bieten der Staatswissenschaften wurde erfreulicherweise
endlich auch von den Behörden anerkannt und unterstützt.
Dank der Initiative weitschauender Männer wie Prof.
Dr. Ing. Weyrauch, Staatsrat v. Bach u. a. wurde die
allgemeine Abteilung unserer Technischen Hochschule
bereits entsprechend ausgebaut und soll dies in noch weit
gehenderem Maße werden. Auch an den techn. Mittel
schulen wird nun Nationalökonomie vorgetragen. Dies
kommt aber lediglich den heranwachsenden Generationen
zugute, nicht aber den schon in der Praxis stehenden Tech
nikern. Aber gerade für diese ist es im derzeitigen Augen
blicke nicht nur Standes-, sondern auch nationale
Pflicht, die angedeuteten Lücken unserer einseitigen Vor
bildung so schnell als möglich gründlichst auszufüllen.
Dies ist durch Einrichtung staatswissenschaftlicher Unter
richtskurse, nach AH der Volkshochschulkurse, sehr leicht
möglich, wie dies die in Tübingen mit Unterstützung der
Universität, in Uhn vom Verfasser eingerichteten Kurse
für die Lokomotivbeamtenverbände gezeigt haben. Für
uns Techniker kommen als Lehrfächer besonders die
Orundzüge der Nationalökonomie, Finanzpolitik, allge
meine Staatslehre und Politik, sowie des Staatsrechts in
Betracht. Hierbei hat sich das Verfahren, an jeden Vor
trag eine ausgedehnte • Besprechung des vorgetragenen
Stoffes anzuschließen, als äußerst fördernd erwiesen. Zu
diesen Unterrichtskursen sollten sich überall, die Tech
niker aller Berufsgruppen, möglichst auch andere
Kreise, zusammenschließen, denn alle haben eine staats
bürgerliche Bildung gleich dringend notwendig. Den un
sinnigen, akademischen Standesdünkel müssen wir beiseite
lassen und uns stets vor Augen halten, daß nicht etwa
eine akademische Vorbildung eo ipso zum Führer quali
fiziere. Dies wäre eine grobe Verkennung der Wirklich