Full text: Süd- und Mitteldeutsche Bauzeitung (1919/20)

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BAUZE1TUNQ 
Nr. 33/34 
der Dietmannser Ach ist nur ein Drittel bis ein Viertel der 
Haidgauer Ach, letztere hat ein viel größeres Einzugs 
gebiet in der breiten vom Roßberger Endmoränenstrang 
bei Mennisweiler zwischen Ziegelbach und Haidgau sich 
durchziehenden, westlich vom Tertiär und zwar Obersüß 
wassermolasse begrenzten Mulde. Gegen die Westseite 
des Rieds liegt der Schwindelsee, die einzige nicht zuge 
wachsene, nur unter Gefahr zu betretende offene Stelle 
des Rieds. Weiterhin wird das Ried durch die 1855/56 
erbaute Staatsstraße, welche die alte Postverbindung Bi- 
berach—Wurzach—Leutkirch aufnahm, durchschnitten. 
Zu ihrer Konsolidierung ist längs derselben ein kleiner 
Kanal ausgehoben, der die dem Ried im Norden und 
Westen zufließenden Wasser abführt. Aus dieser Be 
schreibung des Rieds läßt sich schon vieles auf die Ent 
stehung desselben schließen. Nachdem der Rhein 
gletscher mit viermaligem Vorstoße und Zurückweichen 
unzählige Moränehügel mit dazwischenliegenden Seen 
zurückgelassen und bei der vierten und letzten Vergletsche 
rung (der Würm-Eiszeit) die Oberflächengestaltung end 
gültig vollendet hat, ist durch die Schmelzwasser des nach 
Süden sich zurückziehenden Gletschers der Wurzacher 
See entstanden, im Norden von der Endmoräne, im Westen 
und Süden durch eine Rückzugs-, sog. Interstadial-Moräne 
und am Osten durch Deckenschotter begrenzt. Der Was 
serstand dieses Sees erreichte eine Höhe, die dem zum 
Durchbrechen der niedersten Moränebarre an der Süd 
ostecke des Rieds erforderlichen Wasserdruck entsprach. 
Jedenfalls war der Wasserstand des Rieds ziemlich höher 
als jetzt, was die Kiesablagerungen ringsum beweisen. 
Die schlammigen Wasser des nach Süden gegen den Bo 
densee sich zurückziehenden Gletschers lagerten auf dem 
Boden des Sees eine undurchflüssige Schicht ab, die das 
Versickern des Wassers verhinderte. 
Der lettige Untergrund von hellgrauer Farbe und sehr 
kalkhaltiger Beschaffenheit, vielfach Wiesenkalk, anderswo 
Seekreide genannt, oder diesem ähnlich, wird überall im 
Ried nach Ausstechen des Torfs angetroffen. Er ist we 
gen seines starken Kalkgehaltes für kalkarme, d. h. moorige 
Böden von größtem Wert, wie später bei der Siedlung 
noch näher gezeigt wird. 
Unter diesem alten Seegrund lagert eine 30—50 Meter 
mächtige Grundmorän;. deren Eiegendes die oben 
Süßwassermolasse ist als oberste Abteilung des schwäbi 
schen Tertiärs. Ihme Schichten haben ein schwaches An 
steigen gegen Nordosten, d. h. gegen die vor der Kreide 
zeit gehobene schwäbische Alb. Die Tiefstelle des baye 
risch-schwäbischen Tertiärbeckens dürfte ziemlich süd 
licher, gegen den Bodensee, gelegen sein. Zu bemerken 
ist, daß in verschiedenen Rieden in diesem lettigen Unter 
grund, der vielfach zu weißgebrannten Ziegeln verarbeitet 
wird, sich des öfteren zahlreiche Land- und Wasser 
schnecken, wie Succinea, Valvata, Limnäen, auch Muscheln, 
wie Cyclas, Sphärium finden lassen. 
Dieser 8 km lange, 3—4 km breite, sehr seichte See 
mit einer Wassertiefe von höchstens 6 m in der Mitte ver 
landete nun in ganz ähnlicher Weise, wie wir es heute 
noch beim Federsee bei Buchau beobachten können. Nach 
Zurückweichen des Rheingletschers und Eintritt einer 
höheren Temperatur war der See auf den Zufluß von Me- 
teorwasscr aus dem Einzugsgebiet angewiesen. Bei dem 
anfänglich noch Nährstoff, insbesondere Kalk haltenden 
Wasser begannen vom Ufer her sich Gräser, Schilf, Bin 
sen, Moose in immer größerer Anzahl anzusiedeln. Mit 
Abnahme der Nährstoffhaltigkeit gegen das Riedinnere 
überwiegen schließlich die Moose, hauptsächlich die 
eigentlichen Torfmoose oder Sphagnumarten. Die all 
jährlich rbsterbenden Pflanzen sinken in die Tiefe und bil 
den unseren Torf. Auf dieser Pflanzendecke konnten sich 
nach und nach andere Pflanzen, auch Gesträuche und 
Bäume entwickeln, bis durch diesen alljährlichen Vege 
tationsprozeß der jetzige, uns vor Augen tretende Zustand 
sich vollendete. 
Um im einzelnen auf die reiche R i e d f 1 o r a einzu 
gehen, so werden gefunden; 
Seggen (Carex) 4 Arten; Moosbeeren (vaccinium) 
3 Arten, Sumpf-Rosmarin (Andromeda), Wollgras (Erio- 
phorum) - - zwei Arten —, Fieberklee (Menyanthes), 
Scheuchzerie, Melampyrum, Trichophorum, Sumpfveil 
chen (Viola palustris), Heide (Calluna), Lysimachia u. a., 
und an Bäumen: Pinus montana (Moosforche), Betula hu- 
milis (Moosbirke), am Rand noch Erle (Ainus). Die For 
scher, die sich mit der oberschwäbischen Riedflora be 
schäftigt und namentlich neue Arten von Moosen gefun 
den, sind Ducke-Wolfegg, schon 1840, dann Geßler-Wurz- 
ach, Lehrer Häckler-Bonlanden, Med.-Rat Dr. Holler- 
Memmingen und in letzter Zeit ganz besonders Reallehrer 
Bertsch-Raver sburg. 
In zoologischer Beziehung ist zu erwähnen, daß 
dort Rebe, Füchse (auch einmal ein weißer Fuchs), Hasen 
in ziemlicher Anzahl zur Strecke gebracht wurden. Aus 
den jahrhur derte alten Geweihsammlungen der Schlösser 
Wurzach, Zeil, Wolfegg ist zu schließen, daß in das Ried 
auch Hochwild gewechselt hat. Dem Weidmann beson 
ders willkommen ist das zahlreiche Birkwild (Tetrao te- 
trix), das in manchen Jahren in größeren Flügen von 50 
bis 100 Stück anzutreffen ist und sich namentlich zur Balz 
zeit (April) bemerkbar macht. Im kalten Winter von 1897 
wagte sich das sonst sehr scheue Wild bis in den Schloß 
park von Wurzach, wo verschiedene Hähne geschossen 
wurden. Die reichlich vorhandene Aetzung in Moos 
beeren und Birkenknospen ist der Hauptanziehungspunkt 
für sie. Ein seltenes Vorkommen ist der Rackeihahn, eine 
Bastardierung von Birkhahn und Auerhenne. Solche wur 
den laut Bericht von Domänendirektor Waldraff vom Jahr 
1885 mehrere geschossen und dem Privatkabinett des da 
maligen Königs übergeben. Auch verschiedene seltene 
dorther stammende Sumpf- und Wasservögel wie Strich 
enten, Möven aus dem Brutgebiet des nahen Rohrsees 
finden sich in Sammlungen. Landschildkröten zeigten sich 
vei schiedentlich am Rande des Rieds. Die Kreuzotter, 
dunkle Varietät, hat fast alljährlich von sich reden gemacht. 
Fische, wie Karpfen, Hechte, Weißfische sind in den Ried- 
gewässeru selten; sie stehen sich erst unterhalb Wurzach 
in der Ach ein. Die Forelle und Aesche tritt erst nach 
Vereinigung mit der vom Schwarzen Grat kommenden 
Leutkircher Eschach in 8 km Entfernung auf. An Mu 
scheln und Schnecken ist nicht viel zu finden. Ueber be 
sonders Vorkommnisse aus der Insektenwelt konnte nichts 
festgestellt werden. 
In mineralogischer Beziehung ist zu erwäh 
nen, daß sich bis jetzt nicht wie in anderen Rieden Dopp- 
lerit, Ozokerit und ähnliches vorgefunden hat. In einzel- 
unteren Torfschichten trocknet der Torf so stark aus, daß 
er mit dem Drehstahl bearbeitet werden kann. An einer 
Stelle der Umgebung ergab sich auch Vivianit in kleinen 
Mengen. 
Für die Altertumsforscher hat das Wurzacher 
Ried noch kein Resultat geliefert, weder Pfahlbaureste, 
noch fossile Knochen oder Skelette. Die Undurchdring 
lichkeit der Wälder, wie sie Tacitus und andere schildern, 
wird wohl die Ursache sein; Stämme bis zu 1 m Mächtig 
keit von Eichen, Tannen wurden vereinzelt ausgegraben. 
Nach dieser allgemeinen Beschreibung des Rieds läßt 
sich erkennen, welche gewaltige Torfmasse in demselben 
vorhanden ist. Bei einer erbohrten Tiefe des Torfbeckens 
in der Mitte von 9 m, an anderen Stellen von 4—7 m, mit 
Auskeilung auf Null gegen den Rand beträgt der Inhalt 
desselben bei einer als Durchschnitt anzunehmenden Tiefe 
von nur 3 m für 1700 ha (gleich 5400 Mcfrgen) 51 Millio 
nen cbm Torfmasse, naß. Aus einem cbm nassem oder 
Rohtorf lassen sich mindestens 100 kg, aber auch 150 kg 
trockenen Torfes gewinnen; somit ist der Torfvorrat auf
	        
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