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BAUZE1TUNQ
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der Dietmannser Ach ist nur ein Drittel bis ein Viertel der
Haidgauer Ach, letztere hat ein viel größeres Einzugs
gebiet in der breiten vom Roßberger Endmoränenstrang
bei Mennisweiler zwischen Ziegelbach und Haidgau sich
durchziehenden, westlich vom Tertiär und zwar Obersüß
wassermolasse begrenzten Mulde. Gegen die Westseite
des Rieds liegt der Schwindelsee, die einzige nicht zuge
wachsene, nur unter Gefahr zu betretende offene Stelle
des Rieds. Weiterhin wird das Ried durch die 1855/56
erbaute Staatsstraße, welche die alte Postverbindung Bi-
berach—Wurzach—Leutkirch aufnahm, durchschnitten.
Zu ihrer Konsolidierung ist längs derselben ein kleiner
Kanal ausgehoben, der die dem Ried im Norden und
Westen zufließenden Wasser abführt. Aus dieser Be
schreibung des Rieds läßt sich schon vieles auf die Ent
stehung desselben schließen. Nachdem der Rhein
gletscher mit viermaligem Vorstoße und Zurückweichen
unzählige Moränehügel mit dazwischenliegenden Seen
zurückgelassen und bei der vierten und letzten Vergletsche
rung (der Würm-Eiszeit) die Oberflächengestaltung end
gültig vollendet hat, ist durch die Schmelzwasser des nach
Süden sich zurückziehenden Gletschers der Wurzacher
See entstanden, im Norden von der Endmoräne, im Westen
und Süden durch eine Rückzugs-, sog. Interstadial-Moräne
und am Osten durch Deckenschotter begrenzt. Der Was
serstand dieses Sees erreichte eine Höhe, die dem zum
Durchbrechen der niedersten Moränebarre an der Süd
ostecke des Rieds erforderlichen Wasserdruck entsprach.
Jedenfalls war der Wasserstand des Rieds ziemlich höher
als jetzt, was die Kiesablagerungen ringsum beweisen.
Die schlammigen Wasser des nach Süden gegen den Bo
densee sich zurückziehenden Gletschers lagerten auf dem
Boden des Sees eine undurchflüssige Schicht ab, die das
Versickern des Wassers verhinderte.
Der lettige Untergrund von hellgrauer Farbe und sehr
kalkhaltiger Beschaffenheit, vielfach Wiesenkalk, anderswo
Seekreide genannt, oder diesem ähnlich, wird überall im
Ried nach Ausstechen des Torfs angetroffen. Er ist we
gen seines starken Kalkgehaltes für kalkarme, d. h. moorige
Böden von größtem Wert, wie später bei der Siedlung
noch näher gezeigt wird.
Unter diesem alten Seegrund lagert eine 30—50 Meter
mächtige Grundmorän;. deren Eiegendes die oben
Süßwassermolasse ist als oberste Abteilung des schwäbi
schen Tertiärs. Ihme Schichten haben ein schwaches An
steigen gegen Nordosten, d. h. gegen die vor der Kreide
zeit gehobene schwäbische Alb. Die Tiefstelle des baye
risch-schwäbischen Tertiärbeckens dürfte ziemlich süd
licher, gegen den Bodensee, gelegen sein. Zu bemerken
ist, daß in verschiedenen Rieden in diesem lettigen Unter
grund, der vielfach zu weißgebrannten Ziegeln verarbeitet
wird, sich des öfteren zahlreiche Land- und Wasser
schnecken, wie Succinea, Valvata, Limnäen, auch Muscheln,
wie Cyclas, Sphärium finden lassen.
Dieser 8 km lange, 3—4 km breite, sehr seichte See
mit einer Wassertiefe von höchstens 6 m in der Mitte ver
landete nun in ganz ähnlicher Weise, wie wir es heute
noch beim Federsee bei Buchau beobachten können. Nach
Zurückweichen des Rheingletschers und Eintritt einer
höheren Temperatur war der See auf den Zufluß von Me-
teorwasscr aus dem Einzugsgebiet angewiesen. Bei dem
anfänglich noch Nährstoff, insbesondere Kalk haltenden
Wasser begannen vom Ufer her sich Gräser, Schilf, Bin
sen, Moose in immer größerer Anzahl anzusiedeln. Mit
Abnahme der Nährstoffhaltigkeit gegen das Riedinnere
überwiegen schließlich die Moose, hauptsächlich die
eigentlichen Torfmoose oder Sphagnumarten. Die all
jährlich rbsterbenden Pflanzen sinken in die Tiefe und bil
den unseren Torf. Auf dieser Pflanzendecke konnten sich
nach und nach andere Pflanzen, auch Gesträuche und
Bäume entwickeln, bis durch diesen alljährlichen Vege
tationsprozeß der jetzige, uns vor Augen tretende Zustand
sich vollendete.
Um im einzelnen auf die reiche R i e d f 1 o r a einzu
gehen, so werden gefunden;
Seggen (Carex) 4 Arten; Moosbeeren (vaccinium)
3 Arten, Sumpf-Rosmarin (Andromeda), Wollgras (Erio-
phorum) - - zwei Arten —, Fieberklee (Menyanthes),
Scheuchzerie, Melampyrum, Trichophorum, Sumpfveil
chen (Viola palustris), Heide (Calluna), Lysimachia u. a.,
und an Bäumen: Pinus montana (Moosforche), Betula hu-
milis (Moosbirke), am Rand noch Erle (Ainus). Die For
scher, die sich mit der oberschwäbischen Riedflora be
schäftigt und namentlich neue Arten von Moosen gefun
den, sind Ducke-Wolfegg, schon 1840, dann Geßler-Wurz-
ach, Lehrer Häckler-Bonlanden, Med.-Rat Dr. Holler-
Memmingen und in letzter Zeit ganz besonders Reallehrer
Bertsch-Raver sburg.
In zoologischer Beziehung ist zu erwähnen, daß
dort Rebe, Füchse (auch einmal ein weißer Fuchs), Hasen
in ziemlicher Anzahl zur Strecke gebracht wurden. Aus
den jahrhur derte alten Geweihsammlungen der Schlösser
Wurzach, Zeil, Wolfegg ist zu schließen, daß in das Ried
auch Hochwild gewechselt hat. Dem Weidmann beson
ders willkommen ist das zahlreiche Birkwild (Tetrao te-
trix), das in manchen Jahren in größeren Flügen von 50
bis 100 Stück anzutreffen ist und sich namentlich zur Balz
zeit (April) bemerkbar macht. Im kalten Winter von 1897
wagte sich das sonst sehr scheue Wild bis in den Schloß
park von Wurzach, wo verschiedene Hähne geschossen
wurden. Die reichlich vorhandene Aetzung in Moos
beeren und Birkenknospen ist der Hauptanziehungspunkt
für sie. Ein seltenes Vorkommen ist der Rackeihahn, eine
Bastardierung von Birkhahn und Auerhenne. Solche wur
den laut Bericht von Domänendirektor Waldraff vom Jahr
1885 mehrere geschossen und dem Privatkabinett des da
maligen Königs übergeben. Auch verschiedene seltene
dorther stammende Sumpf- und Wasservögel wie Strich
enten, Möven aus dem Brutgebiet des nahen Rohrsees
finden sich in Sammlungen. Landschildkröten zeigten sich
vei schiedentlich am Rande des Rieds. Die Kreuzotter,
dunkle Varietät, hat fast alljährlich von sich reden gemacht.
Fische, wie Karpfen, Hechte, Weißfische sind in den Ried-
gewässeru selten; sie stehen sich erst unterhalb Wurzach
in der Ach ein. Die Forelle und Aesche tritt erst nach
Vereinigung mit der vom Schwarzen Grat kommenden
Leutkircher Eschach in 8 km Entfernung auf. An Mu
scheln und Schnecken ist nicht viel zu finden. Ueber be
sonders Vorkommnisse aus der Insektenwelt konnte nichts
festgestellt werden.
In mineralogischer Beziehung ist zu erwäh
nen, daß sich bis jetzt nicht wie in anderen Rieden Dopp-
lerit, Ozokerit und ähnliches vorgefunden hat. In einzel-
unteren Torfschichten trocknet der Torf so stark aus, daß
er mit dem Drehstahl bearbeitet werden kann. An einer
Stelle der Umgebung ergab sich auch Vivianit in kleinen
Mengen.
Für die Altertumsforscher hat das Wurzacher
Ried noch kein Resultat geliefert, weder Pfahlbaureste,
noch fossile Knochen oder Skelette. Die Undurchdring
lichkeit der Wälder, wie sie Tacitus und andere schildern,
wird wohl die Ursache sein; Stämme bis zu 1 m Mächtig
keit von Eichen, Tannen wurden vereinzelt ausgegraben.
Nach dieser allgemeinen Beschreibung des Rieds läßt
sich erkennen, welche gewaltige Torfmasse in demselben
vorhanden ist. Bei einer erbohrten Tiefe des Torfbeckens
in der Mitte von 9 m, an anderen Stellen von 4—7 m, mit
Auskeilung auf Null gegen den Rand beträgt der Inhalt
desselben bei einer als Durchschnitt anzunehmenden Tiefe
von nur 3 m für 1700 ha (gleich 5400 Mcfrgen) 51 Millio
nen cbm Torfmasse, naß. Aus einem cbm nassem oder
Rohtorf lassen sich mindestens 100 kg, aber auch 150 kg
trockenen Torfes gewinnen; somit ist der Torfvorrat auf