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BAUZEITUNG
Nr. 5/6
Aus der Friedenszeit ließen sich ähnliche Schädi
gungen am Gemeinwohl aus der Tatsache ableiten, daß
der Techniker, insbesondere in Staats- und Oemeindebe-
trieben immer erst an zweiter und dritter Stelle zum Wort
kommt. Technische Fragen dürfen nur durch Techniker
vorgetragen werden!
Eine ungeheure Trümmerstätte liegt jetzt vor uns.
Millionen wertvollen Volksvermögens sind ohne Not ver
loren gegangen.
Ein neues und größeres Gebäude für das deutsche
Wirtschafts- und Volksleben muß errichtet werden, stark
und massig, Mauer auf Mauer, Pfeiler auf Pfeiler — von
unten auf — festgefügt, ohne äußeres Blendwerk und
innere Spielereien. Sonne, Licht und Luft soll reichlich
in alle Räume fluten, die besten Baustoffe müssen verwen
det werden, eine breite und bequeme Freitreppe soll zum
Eingang, ein Haupttreppe für Floch und Nieder, Arm
und Reich zu den Stockwerken im Innern führen, beson
dere Eingänge und Hintertreppen, die die Bewohner von
einander absondern und gegeneinander entfremden, sind
im Bauprogramm des „Volkshauses“ gestrichen.
Alle Berufsstände, Männer und Frauen, müssen Hand
anlegen, denn die Zeit drängt. Der innere Feind droht,
die letzten für den Aufbau brauchbaren Ueberreste des
alten Baues zu zerstören, der äußere Feind belegt Arbeits
kräfte und Rohstoffe mit Beschlag, wenn nicht bald mit
dem Bau begonnen und auf der Trümmerstätte Ordnung
geschaffen wird, denn der Gegner will Bürgschaften für
seine maßlosen Forderungen. Bei längerem Zuwarten
und weiterer Untätigkeit und innerem Streit läuft Deutsch
land Gefahr, eine Ausbeute^ und Auswanderer-Kolonie
für seine Feinde zu werden.
Darum frisch an die Arbeit! Techniker mit voran zur
ersten Beratung, Planung und Organisation der ersten
Arbeiten. Der Bau muß rasch vorwärts schreiten, und
Gefahren, die in der Kürze der Bauzeit, dem inneren und
äußeren Druck liegen, muß rechtzeitig begegnet werden.
Der Baugrund und die Fundamente sind gut, sie
sind: das deutsche Volk und die in ihm wohnenden Kräfte!
Techniker heraus! Organisiert und reformiert Euch
den Forderungen der neuen Zeit entsprechend. Beseitigt
veraltete Einrichtungen und Unsitten im Beruf und Stand!
Weg mit den vielen, kleinen Vereinchen: geprüfter
und ungeprüfter, unterer, mittlerer und höherer Techniker,
die in einseitiger Vereinsmeierei und Standespolitik, auf
der Jagd nach Titeln und bei Vorträgen über prähisto
rische Funde und ausgegrabene griechische Tempel Zeit
und Kräfte vergeudeten und sich gegenseitig bekämpften.
Weg mit dieser deutschen Unsitte!
Gründet einen großen Bund sämtlicher geistig tätiger
Techniker auf dem Boden der freien demokratischen
Staatsverfassung und verschafft durch praktische Arbeit
an Hand eines klar und fest umrissenen Programms dem
Techniker den ihm gebührenden Einfluß auf unser Volks
und Wirtschaftsleben. Nehmt die politischen Gewerk
schaften und Organisationen der Arbeiter zum Beispiel
und lernt an ihren Erfolgen.
Weg mit der unbilligen und hemmenden Bevormun
dung durch technisch nicht Vorgebildete, durch Fürsten,
Militärs, Laien usf. Der Krieg hat tausendfältig gezeigt,
welche Schäden am Volkskörper und am Volksvermögen
entstehen, wenn Nichttechniker über technische Fragen zu
entscheiden haben.
Verschafft Euch Sitz und Stimme in den Kollegien,
in Gemeinde und Staat, Plätze an aussichtsreicher Stelle
auf den politischen Wahlvorschlägen zu den Landes- und
Nationalversammlungen. Unter den 396 Mitgliedern des
Reichstages befand sich nur ein Techniker (Bergrat Got-
hein). Und wie sieht es in den neuesten Mitgliederlisten
der Landesversammlungen aus?
Vorbedingung hierzu ist jedoch: Planmäßige Ver
tiefung politischen Verständnisses, staatsbürgerliche Er
ziehung eurer Mitglieder, Kenntnisse in Rechts- und Ver
waltungskunde, ihr Erwerb fällt dem Techniker leichter
als dem Juristen und dem Verwaltungsmann das Durch
dringen der Technik.
Haltet in eurem Verein entsprechende Kurse und Er
örterungs-Abende und reformiert die Ausbildung und
Schulung des Nachwuchses — Hand in Hand mit den
Lehrkörpern der Bau- und techn. Fachschulen. Aus der
Praxis müssen ihnen Richtlinien gegeben werden.
Tragt Aufklärung in die Volkskreise über die Bedeu
tung und den Wert technischer Arbeit für unser Volks
und Wirtschaftsleben, für die Erhaltung unserer Kultur.
Heraus aus den Schreib- und Zeichenstuben, besucht
politische und volkswirtschaftliche Versammlungen, schult
euch zu Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, greifet
selbst zum Wort, arbeitet und werbet mit!
Meidet bei der Beeinflussung des Arbeiters doktrinäre
und Gefühlsgründe! Nur klare Erkenntnis der Tatsachen
und Sinn für die Wirklichkeit führt zum Erfolge.
Tretet offen und mutig politischen Parteien
bei, die für euren Beruf und Stand die beste Gewähr für
neuen Aufbau und Entwicklung bieten, Parteien, in denen
Ihr auch den Bauhandwerker und Bauarbeiter vorfindet.
Der Krieg hat die private Bautätigkeit, das Bauhand
werk und die Bauindustrie lahmgelegt und schwer ge
schädigt. Dazu droht diesen Betrieben durch die alles
gleichmachende Politik der Sozialdemokratie die Ver
gesellschaftung, sie wird auch vor dem Bauwesen und der
Bauindustrie nicht Halt machen. Sorgt daher in den Ver
einen neben Fachaufklärung für allgemeine, zielbewnßte,
politische Schulung, großzügig und vaterländisch, für
gründliche Orientierung auf allen Gebieten des politL
sehen Lebens.
Weg mit dem trennenden Kasten- und Klassengeist.
Ehrt und würdigt die schwielige Faust des Arbeiters,
nehmt Fühlung mit ihm auf den Baustellen, mit seinem
Denken und seinen Wünschen und gewinnt sein Vertrauen
zurück. Der Techniker ist geeignet, die politische Füh
rung der Bauleute wieder in die Hand zu nehmen, wie
er sie zur Zeit der Zünften und Bauhütten innehatte. Die
Vertrauensstellung des Technikers zwischen Bauherren,
Arbeitgeber und Arbeitnehmer ruft ihn auf die Führer
stellen und sichert ihm eine große Gefolgschaft.
Techniker, Bauhandwerker, Bauarbeiter und Bau
industrie brauchen einander! Seht im tüchtigen Bau
arbeiter den Kameraden, der eure Gedanken verwirklicht,
bei richtiger Behandlung immer noch stolz auf sein Hand
werk ist und dankbar für jede Anerkennung.
Die neue Zeit ist der Technik hold! Eine Reihe Stel
len, die ihr früher verschlossen waren, sind von ihr
bereits besetzt, eine weitere Reihe steht in Aussicht. Die
neue Zeit fordert dafür vom Techniker eine doppelte
Tätigkeit: „Er muß tätig sein im Büro und auf der Bau
stelle, ebenso auch im öffentlichen Leben für das Allge
meinwohl.“ Gemeinde und Staat hat er sein vielseitiges
Wissen und Können zur Verfügung zu stellen. Der Beruf
des Technikers ist nicht erfüllt durch Lösung einer Reihe
von Einzelleistungen, er ist viel mehr für die soziale, poli
tische und volkswirtschaftliche Neuordnung auszuwerten.
An die Spitze des Verbandes der technischen Vereine
hat als geeignete Berufsvertretung eine Technikerkammer
zu treten, • die neben Standes- und Berufsfragen eine
schiedsrichterliche und sachverständige Tätigkeit auszu
üben hat. Den Verbandsmitgliedern hat sie Rat und Schutz
zu gewähren, Unterstützung in der Not durch Errichtung
einer rasch wirkenden Stellenvermittlungszentrale, Be
schaffung von Kredit und dergleichen.
Der Ausschuß des TechnikerWerbandes hat sich aus
beamteten Technikern und solchen aus der freien Berufs