BAUZEITUNG
Nr. 22/23
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Orangen, die wir unseren Eichen und Tannen aufpfropfen,
fallen immer wieder ab, sind Treibhausgewächse, und zum
Wurzelstock unserer Kunst, zum Stock, Pfahl, Pfosten im
vollen Sinn des Wortes, zum Handwerk müssen wir
zurück, wenn yvir eigene, rauschende Baubäume voll ver
edelter Kraft jd den Himmel treiben wollen.
Seit die .deütsche Kunst dem Handwerksmeister ent
wunden wurde'", seit nicht mehr der atmende, lebendige
Boden baute, sondern das tote Schwergewicht gestorbener
Völker, seit in dem Wiedergeburtsstil die Formen- und
Bildwelt des Südens hereinkam und nunmehr der Bau
gelehrte baute, der Vignolakenner, der Palladiosklave, war
es aus mit der deutschen Kunst, denn der gelehrte Bau
meister zwang nun seine abgezogenen Baukunstbegriffe
auch dem Handwerker auf, und wo vorher unmittelbar das
deutsche Kunstblut sprang, da wurde nun in künstlichen
Kanälen der, in seinen Volkstümern edle, aber uns abge
standene Saft und schale Geist aller gestorbenen und leben
den Völker um uns herum hereingeleitet, bis zum heutigen
Tag. Das war Kunst, eine sehr künstliche Kunst, eine oft
große Kunst, aber niemals eine deutsche Kunst, trotz
Winkelmann, Pöppelmann, Klenze, Semper, Leins und wie
die deutschen Kunstdenker und Baugrößen alle heißen,
und trotz der bedeutenden Bücher, die über den „deutschen“
Barock, das deutsche Rokoko und ähnliches geschrieben
werden, womit aber deutsche Züge dieser Kunst keines
wegs abgeleugnet werden sollen! Wenn wir noch die
Wiedergeburt, die sogenannte Renaissance, und den Em
pirestil dazulegen, welcher ureigentlich der Napoleonsstil
ist (und deshalb unsere Biedermeier gab!), haben wir
unsere Baustile vollends beisammen und finden in ihren
Benennungen bezeichnenderweise nicht ein deutsches
Wort, mit Ausnahme eben dieses lächerlich gemeinten
„Biedermeier“.
Der Handwerksmeister, der Zimmermann, kann heute
nicht mehr Baumeister sein und zum Baukünstler kommen,
aber der wurzellose und blutleere Schönheitsbegriff allein
darf auch nicht mehr bauen, deshalb muß der Baukünstler,
muß jeder Bautechniker ohne Ausnahme zum Zimmer
mann kommen- Er muß ein Handwerk lernen.
Es gibt ja wohl Baukünstler, die in ihrem Baugeiste
nichts vermissen lassen, die die Seele des Handwerks und
die urtümlichsten deutschen Baugedanken einfach erfühlen,
wie z. B. Theodor Vischer, der edle und wahrhaft deutsche
Meister und Baudenker. Aber es hat nicht jeder den
schöpferischen und seherischen Geist, der dem großen
Baumeister so gut zueignet wie dem Dichter; die meisten
müssen handwerklich in ihr Stoffgebiet eingeführt werden,
wo das aber nicht geschieht, bleiben sie auch für immer
mehr oder weniger draußen. Ein jeder Baustoff; Holz,
Stein, Eisen, hat sein Eigenleben, seine Seele sozusagen,
und wer das nie bearbeitete, dem bleibt dieses Leben un-
enthüllt. Der Zimmermann kennt den Holzgeruch und
nimmt mit der Zeit etwas von dem rissigen und schlissigen
Geist des Holzes an, und der Steinhauer weiß, daß der
Funke, den er aus dem Stein schlägt, ein ganz besonderer
ist. Man glaube ja nicht, daß diese Erkenntnisse neben
sächlich sind; im Gegenteil, gerade in diesen ganz feinen,
unmeßbaren und unwägbaren Strömen liegt vielleicht das
Rätsel der Kraft und Sicherheit, die wir an den alten
handwerklichen Meistern bewundern, das völlige Fehlen
der Möglichkeit von Geschmacklosigkeiten in einem Bau
werk. Geist und Stoff, Stoff und Geist, so durchdrang und
baute sich das wechselseitig auf, und die unbewußten
Kräfte sind immer die stärksten!
Nicht nur mit schönen, „bodenständigen“ Gedanken
müssen wir zum Handwerk zurück, d. h. mit einzelnen Ge
fühlen und Gefühlchen, sondern mit unseren Händen, mit
unserem ganzen Menschen in die Gründe des Bauens und
in das Gefühlsleben der niedern Bauleute eindringen, wenn
wir die deutsche Baukunst allmählich aus dem fremden
Mummenschwanz, in dem sie seit der Gotik versunken ist,
herausreißen und allendlich wieder zu dem Eigenleben
führen wollen, das sie hatte, ehe sie der Papiergeist über
kam. Wir sind ja auch wohl schon zum Handwerk und
zum vielberühmten Bodenständigen zurückgekehrt, aber
wir müssen das noch viel mehr und grundlegender tun,
wir müssen sozusagen wieder Handwerk werden. Und
durch das Handwerk und mit dem Handwerk fühlen! Wir
müssen dem Zimmermann, Maurer und Steinhauer auch
gesellschaftlich wieder näher treten und den dünkelhaften
Klassengeist, mit dem bisher die Gebildeten über den
Handarbeiter wegsahen, und der als Unterlage bloß
einige Gesellschaftsformen und ein bißchen totes Buch
stabenwissen hat, aufgeben. Wir müssen wissen, daß der
gescheite Arbeiter das alles durchschaut, darüber oft
lächelt und mit seiner Tüchtigkeit, seinem hohen Verdienst
und seiner durch eine gute Presse genährte gute Allge
meinbildung umgekehrt über die armen „Papiertaglöhner“
wegsieht, die über ihm zu stehen glauben. Es wird immer
höhere Techniker, mittlere und Arbeiter geben, aus dem
einfachen Grunde, weil es stets Künstler, handwerklich ar
beitende Techniker und Ausführende gibt. Aber die
scharfe Standestrennung im Bau muß und wird verschwin
den, und der Techniker darf vor allem im Arbeiter nicht
mehr bloß die Maschine sehen, die seelenlos seinen Ge
danken folgt, sondern den lebendigen Bruder im Bau, der
die Gebäude, welche der eine im Bild aufbaut, mit Axt,
Kelle und Schlegel in die Wirklichkeit umsetzt. Wer weiß,
was im Grunde höher zu werten ist? In den Bauhütten
war einst alles gleich, jeder Meister war erst Geselle, und
jeder Geselle konnte sich zum großen Münsterbaumeister
entwickeln und war ein vollwertiges Mitglied der Bau
brüderschaft. Die Zeit der Bauhütten ist vorbei, aber die
Schlange beißt sich in den Schwanz, und die Zeit der ge
sellschaftlichen Ausgleichung oder doch Annäherung im
künftigen deutschen Berufsstaat ist, wenn es auch immer
Adelsmenschen und Unedle geben wird, wieder ge
kommen; wir müssen den Baugesellen als ein volles Mit
glied unseres Berufes ansehen, wissen, daß das stolze Wort
Bauleute ihn so gut umfaßt wie uns, und ihm geistig und
wirtschaftlich wieder ein Führer werden, was das natür
lichste Ding der Welt wäre. Zu alledem geben wir uns
dadurch die Grundlagen, daß wir eine gewisse Zeit bei
ihm lernen, mit ihm arbeiten, und erst wenn alle Bauleute
wieder in den größeren Linien ihres Berufs aus einem
heraus und in eines hinein fühlen und arbeiten, wenn sie
wohl oft getrennt marschieren, aber vereint schlagen, wird
die deutsche Baukunst und der Stand der Bauleute zu den
baulichen und wirtschaftlichen Höhen steigen, die er kraft
seiner Tüchtigkeit und seines ringenden Lebens einzu
nehmen berechtigt ist. Eugen Weiß.
Erleichterungen baupolizeilicher Anforderungen
im Hochbauwesen.
Im Rahmen seiner Bestrebungen hat der Verband
Technischer Vereine Württembergs im
Hinblick auf die mißlichen Verhältnisse im Wohnungs
wesen sich längst mit zur Aufgabe gemacht, die derzeitigen
baupolizeilichen Anforderungen in Bezug auf Vereinfach
ung und Erleichterung einer Prüfung zu unterziehen und
geeignete Vorschläge den maßgebenden staatlichen und
städtischen Stellen zur Berücksichtigung zu unterbreiten.
Die in diesem Sinne von der hiefür eingesetzten Architek
ten- und Bauwerkmeisterkommission mit dem Baupolizei
amt Stuttgart geführten Verhandlungen sichern, dank der
Bemühungen der Ministerialabteilung für
das Hochbauwesen, nicht unwesentliche Er
leichterungen zu, von denen hier näher die Rede sein soll.
Zunächst können sich dieselben freilich nur auf die Be-