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Eiserne Hängbrücken.
I. Technische Entwickelung.
1. Die älteren Constructionen.
Die ersten Hängbrücken bei den Chinesen und Indiern
waren Seilbrücken, welche entweder aus starken, über
Flüsse oder Schluchten gespannten Seilen bestanden, längs
welchen, in daran aufgehängten Körhen, Reisende sammt
Gepäck sich hinüberzogen oder eine aus Baumstämmen
gebildete, auf Seilen ruhende Fahrbahn besassen, welche
von Fussgängern und selbst leichten Fuhrwerken benutzt
werden konnte. Dem Systeme der letzteren gehörten u. a.
die nach Kircherus*) bereits im 17. Jahrhundert im
Gebrauch befindliche Brücke bei Kingtung, welche eine
aus Bretern bestehende, von 20 Ketten getragene Bahn
besass und die i. J. 1741 erbaute Fussgänger-Brücke über
den Fluss Tees bei Winch mit l£jm Spannweite an, deren
Bahn direct auf Ketten lag, welche in die Felsen der
beiden Ufer eingelassen waren. Sollten die Bahnen dieser
Brücken keine zu grossen Steigungen an den Enden er
halten, so durften die Pfeilhöhen ihrer Träger nur sehr
geringe sein, was eine bedeutende Stärke der letzteren
bedingte**).
Um die Bahn bequemer und für den Verkehr von
Fuhrwerken geeignet anlegen, gleichzeitig aber die Stär
ken der Träger relativ vermindern zu können, hing man
nach Berghaus***) in Butan aus Bretern bestehende Bah
nen mittelst Lianenseilen an je zweien, über hohe Uferpfeiler
führenden Ketten auf, während Finlay i. J. 1796 bei
einer Brücke über den Jakobs-Creek eine ebne Fahr
bahn mittelst eiserner Tragstangen an Ketten aufhing
und somit die erste Kettenbrücke mit ausgebildetem Con-
structionssystem ausführte. Die zahlreichen, nach diesem
i. J. 1801 patentirten Systeme ausgeführten Hängbrücken
erhielten c. Vs Pfeilverhältniss, aus einem Stück beste
hende Trag- und Rückhaltketten, welche über Tragpfeiler
geführt und mit den Widerlagpfeilern verankert wurden,
und eine aus Quer- und Längsbalken mit Bohlenbelag
bestehende Brückenbahn, wobei sich die constante Hori-
*) Vgl. dessen China illustrata. Edit. Amstelod. 1667. V.
Cap. 1, S. 215.
**) So beträgt z. B. bei einer Endsteigung der Brücken
bahn von ~ die in ihren Trägern entwickelte Horizontalspan
nung schon das Fünffache ihrer Gesammtlast. Nimmt man
nämlich eine gleichförmig auf die Projection vertheilte Gesammt-
last g des m Brücke, eine Spannweite l und eine Pfeilhöhe f ihrer
parabolischen Träger, also eine Gesammtlast gl der Brücke an,
so ist bekanntlich die grösste Horizontalspannung H = ™ und
die auf den Scheitel bezogene Gleichung der Trägercurve y =
x 2 , woraus deren trigonometrische Tangente Sollen
‘ dx l 2
die Brückenenden, für welche x=-~, also ( \^ — wird, die
2 dx l ’
Steigung ~ erhalten, so wird £.= also =^, mithin nach
Einführung dieses Werthes H = 5gl.
***) Vgl. Baudenkmäler aller Völker der Erde. Brüssel
1869. Bd. I.
zontalspannung der Ketten unter Annahme einer wag
rechten Brückenbahn wesentlich herabmindern liess*). Eine
der grössten dieser Brücken war die i. J. 1809 von John
Tempelmann bei Newbury-Port über den Merri-
mac erbaute Hängbrücke mit 74,37 in Spannweite, welche
zwei, je 4,57 m breite Brückenbahnen mittelst zehn Ketten
— je drei zu deren Seiten und vier in deren Mitte — trägt.
In England gaben die infolge der Continentalsperre von 1807
ab übermässig gestiegenen Preise des ausländischen Eisens und
Holzes i. J. 1811 Veranlassung zur vermehrten Anwendung
• inländischen Eisens, so zum Ersätze der Ankertaue durch
gesellweisste Ankerketten und zur Verwendung dieser letz
teren als Träger von Hängbrücken. Die i. J. 1814 von
Samuel Brown an seiner Kettenschmiede Mill Wall zu
London erbaute Hängbrücke erhielt eine Spannweite von
32 m und Ketten aus hochkantig gestellten Flacheisen.
An Stelle der bi s dahin geraden Rückhaltketten erhielt
die im J. 1815 über den Lehecgh bei Northampton
erbaute Hängbrücke zur Erleichterung der Verankerung
zwei ganze und zwei halbe Kettenbogen von 144,78 m
Gesammtlänge, deren aus Quadrateisen gefertigte Ketten
die Brückenbahn in zwei Fahrwege zunächst der Mitte und
zwei Fusswege zu beiden Seiten scheiden. In demselben Jahre
wurden, gestützt auf die Beobachtung, dass Eisen— zu Draht
ausgezogen — eine beträchtlich grössere Zugfestigkeit an
nehme, zu den Trägern einer Hängbrücke über den S chuyl-
kill bei Philadelphia von 124,36 m Spannweite Draht
seile aus je 6 Drähten von je 1 cm Durchmesser statt
der Ketten verwendet. An Stelle der Kettencurve wurde
bei zwei i. J. 1817 ausgeführten Brücken über den Tweed
das sogenannte Diagonalkettensystem angewandt, bei
welchem die Brückenbahn mittelst schräger, aus Draht
bestehender Spannseile an die Köpfe hoher, auf den
Landpfeilern errichteter, gusseiserner Säulen aufgehängt
war. Die eine derselben, welche wegen mangelnder Ver
tikal- und Horizontalversteifung nach sechsmonatlichem
Bestand eingestürzt war — wodurch das Diagonalketten
system in Misscredit gerieth — wurde nach dem „Systeme
der Kettencurve“ wieder aufgebaut, welches Samuel Brown
i. J. 1818 patentirt wurde und u. a. bereits im folgenden
Jahre hei Erbauung der zur Verbindung von England
und Schottland bestimmten Union-Brücke über den Tweed
bei Norham-Ford mit einer Oeffnung von 136,85 m
Spannweite, 9,14 m Pfeilhöhe und 5,18 m Breite Anwen
dung fand. Die Ketten dieser Brücke bestanden in je
4,57 m langen Gliedern aus 5 cm starken, an den Enden
umgebogenen und zusammengeschweissten Rundeisen, welche
durch kürzere, je 18,67 cm lange, aus 2,7 cm starkem
Quadrateisen geschmiedete Glieder mittelst ovaler, je 6,25
bis 5 cm starker Bolzen verbunden waren. Zwischen
diesen Kuppelbolzen, auf gusseisernen Sätteln, ruhten die
aus 2,5 cm starkem Rundeisen gefertigten Tragstangen,
deren untere gabelförmige Enden mittelst durchgesteckter
Keile die je 7,5 cm hohen Langschienen der Brückenbahn
f 1
*) Im vorliegenden Fall ist nämlich = g, a l so nach
Einführung dieses Werthes in obige Gleichung 11= gl, d. h. die
Horizontalspannung der Ketten beträgt nur noch das Einfache
der gosammten Brückenlast.