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Das Bausystem Tollet und seine Verwendung bei landwirthschaftlichen Bauten.
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Ländern der Erde findet und schon frühzeitig für diese Zwecke be—
rützt wurde. Derselbe findet namentlich Anwendung zu gebranntem
Ztein, Backsteinziegeln, Ornamentziegeln, Thonröhren u. s. w.
Obgleich der gebrannte Stein wegen seiner Festigkeit und Be⸗
tändigkeit, verhältnißmäßigen Billigkeit u. s. w. für die meisteu
Zwecke vollkommen genügt, so besitzt er doch nicht alle gewünschten
Figenschaften, besonders wegen seiner Härte und glasartigen Natur,
welche es unmöglich machen, ihn nachträglich den Bedürfnissen
rutsprechend zu bearbeiten. Es wird also ein leichter Stein ver—
angt, der gewisse Eigenschaften des Holzes besitzt. Die Fabrikate
rus gebrauntem Thon erhalten bekanntlich ihre schließliche Form
m weichen Zustande vor dem Brennen, ehe sie „sich gesetzt“ haben;
iach dem Brennen sind sie glasartig spröde und hart und können
»aher nur auf unsichere Weise weiter bearbeitet werden.
Judessen hat man schon frühzeitig versucht, aus dem Thon
in Baumaterial herzustellen, welches nicht spröde und hart, son—
dern porös ist und die Werkzeuge bei der Bearbeitung nicht viel
nehr als Holz angreift. Schon zu Moses Zeiten wurde in
Egypten ein Baumaterial durch Brenuen von Thon, in welchen
serschnittenes Stroh u. s. w. gemischt war, hergestellt. Die or—
ganischen Stoffe werden durch den Brennprozeß aufgezehrt und es
ntsteht ein Material, welches leicht, porös und dabei ziemlich
ähe ist. Für unsere modernen Ansprüche genügt aber diefe alte
Herstellungsmethode wenig und ist dieselbe daher auch später nicht
mehr in Anwendung gekommen. Neuerdings wird nun nach einem
Verfahren, welches sich Mr. C. C. Gilman in Eldora, Jowa,
m Jahre 1881 patentiren ließ, von der „Gilman Terra Cotta Co.“
in künstlicher Holzstein (Terra Cotta Luniber) hergestellt, welcher
den modernen Verhältnissen besser entspricht und in der Zukunft
gsewiß eine ausgedehnte Auwendung finden wird.
Dieser Holzstein — Terra Cotta Lumber — wird in den
Werken der New-York Terra Cotta Lumber Company zu Perth
Amboy in großen Blöcken hergestellt, welche je nach Bedürfniß
ntsprechend zugeschnitten werden können. Das Material nimmt
eine Mittelstellung zwischen Holz und Stein ein und kann, da
die zur Fabrikation nöthigen Materialien in allen Theilen der
Welt billig vorhanden sind, überall hergestellt werden, so—
daß ihm eine allgemeine, ausgebreitete Anwendung ge—
ichert ist. Das Herstellungsverfahren ist einfach. 1Th. Kaolin—
hon, ohne Sand, wird je nach der gewünschten Porösität mit
bis 3 Th. harziger Sägespähne und einer genügenden Menge
Wasser zu einem gleichmäßigen Brei angemacht, aus welchem mit
Hülfse einer geeigneten Preßmaschine große Platten oder Blöcke
sergestellt werden. Nachdem diese langsam getrocknet sind, kommen
ie in Oefen, wo sie bis zur Weißgluth erhitzt werden, wodurch
die Sägespähne verbranut werden und ein leichter poröser Stein
urückbleibt, der die obengenannten wünschenswerthen Eigenschaften
»csitzt. Das Mahlen und Mischen des Thones findet, wie die
Abbildung Fig. Z3 zeigt, in runden Bütten statt, in welchen Misch—
ind Mahlsteine laufen, welche durch Dampfkraft getrieben werden.
Von hier geht die Masse auf einem Elevatorriemen in den dritten
Stock des Gebändes, wo sie in einen Kompressions-Cylinder ein—
zefüllt wird, der nach dem darunter liegenden Stockwerk durchgeht.
In diesem Cylinder wird die Masse durch einen von oben wir—
enden Kolben zusammengepreßt und dann, in große viereckige
Stücke geformt, in dem unteren Stockwerk abgegeben. Die rohen
Stücke werden dann nach einer kurzen Lufttrocknung in einen
veiten Trockenraum gebracht, der durch Rohren unter dem Boden
zeheizt wird. In kurzer Zeit sind die Stücke vollkommen trocken
ind besitzen schon eine gewisse Härte, so daß sie leicht gehandhabt
verden können. Darauf kommen sie in die Brennöfen, um die
Zägespähne herauszubrennen, wo sie 48 Stunden bleiben und ihre
igenartige Natur erhalten. Die großen Stücke werden dann
derausgenommen und durch Kreissägen in die gewünschten Formen,
Bretter u. s. w. geschnitten und können in beliebiger Weise weiter
mit Stahlwerkzeuͤgen bearbeitet werden, wobei der Staub durch
Luftsaugröhren aus dem Arbeitsraum abgeführt wird. Die An—
age in Perth Amboy liefert mit 8 Mühlen und 6 Brennösen in
18 Stunden 180 Tonnen fertigen Holzstein.
Desr Holzstein ist feuer- und säurensicher, wetterbeständig,
ein schlechter Leiter für Wärme, Schall und Elektrizität, ist halb
o schwer wie Ziegelstein, läßt sich sägen, schneiden, hobelu, nageln,
besitzt eine gewisse Zähigkeit und verbindet sich mit Kalk, Gyps
u. s. w. sehr iunig. Er ist ein guter Filter und kann leicht wasser⸗
dicht gemacht werden, indem man ihn in eine Asphaltlösfung oder
dergl. taucht. Das Material enthält keinen Sand und zeigt daher
eine glasige Natur, sondern ist verhältnißmäßig weich.“ Es besitzt
ußzerdem eine merkwürdige Festigkeit gegen Druck, ist aber sonst
twas bröcklich. Wenn gewünscht, kann es auch glasirt werden.
Aus diesen Eigenschaften ergiebt sich eine große Verwend—
»arkeit des Materials wie zum Schutz von Fußbößen Decken und
zwischenwänden gegen Feuer, wo bis jetzt die theureren und
chwereren Ziegelsteine in Anwendung kommen, ferner für den
vewölbebau, dann als Wärmeschutzmittel für Dampfkessel, Dampf⸗
röhren u. s. w. Außerdem eignet es sich noch für viele andere
Zwecke, wie die praktischen Versuche mit diesem neuen Fabrikations—
artikel in der nächsten Zeit jedeufalls bestätigen werden.
Das Bausystem Tollet und seine Verwendung
bei landwirthschaftlichen Bauten.
Von Baurath Engel.
So verdienstlich das Unternehmen des Architekten Rud.
Bogel ist, durch Beschreibung und, Zeichnungen, aus—
geführter Wirthschaftsgebände die Leser dieses Blattes mit dem
in Frankreich „epochemachenden“ Tollet'schen System bekannt ge—
nacht zu haben (vergl. Nr. 82ÿ10 d. Ihrgs.), ebeuso nothwendig
dürfte es sein, die gleichzeitig vom Refer ausgesprochene Ansicht
u berichtigen, daß die Anwendung jenes Systems hauptsächlich
ür deutsche landwirthschaftliche Bauten zu empfehlen und zur
Verdrängung aller älteren Methoden bei letzteren geeignet sei.
Richtig ist es, daß schon zu Anfang dieses Jahrhunderts
»er Geheime Ober-Baurath Gilly die von dem franzoͤsischen Bau—
neister Philibert Delorme bereits 1561 angewendeten Bohlen—
»ächer, auch zur Anwendung bei mit Stroh, Rohr oder Schin—
deln einzudeckenden Wirthschaftsgebänden, besonders für Scheunen,
stemisen ꝛc. dringend empfahl, weil sie Holz- und Raumersparniß
gewähren, geringen Schub auf die Umfassungswände äußern und
zrößere Spannungsfähigkeit über weite Räume gestatten, als alle
inderen Dächer.
Wenn die Bohlendächer demungeachtet besonders im land—
virthschaftlichen Bauwesen nur wenig Beifall finden, so liegt
ieses hauptsächlich wohl darin, daß sie kostspieliger und schwie—
riger herzustellen sind, als andere Dächer, auch mehr Reparaturen
als diese erfordern. Ein Irrthum ist es aber, wenn der Ver—
asser von Gilly schreibt, er sei ein „Engländer“ gewesen! Der im
dahre 1808 als Geh. Ober-Baurath in Berlin verstorbene Gilly,
745 zu Schwedt a /O. geboren, war ein, besonders durch seine
auwissenschaftlichen Schriften berühmt gewordener Preuße; sein
lassisches „Handbuch der Landbaukunst“ s'erschien 1818 in 4. Auf⸗
age; die „Praktische Anweisung zur Kameral-Bauwissenschaft“
gab er 1801 heraus und in demfelben Jahre schrieb er auch seine
„Anleitung zur Anwendung der Bohlendächer ꝛc.“ Wenn Tollet
die Nachtheile der Bohlendächer dadurch beseitigte, daß er statt der
eicht vergänglichen Holzsparren solche von T-Eisen anwendet,
erner durch die Vereinigung größerer Spitzbögen mit kleinen oder
dorbbögen und auf diese gelegte Holzspaͤrren grade oder ge—
srochene Dachflächen erzielte, endlich bei kleineren Eisensparren—
jebäuden durch direkt zwischen die Sparren gespannte Gewölbe,
»as Dach zu ersetzen vermochte, so sind dieses anzuerkennende Ver—
hesserungen der bogenförmigen Dächer, welche aber noch keines—
veges zu der Annahme berechtigen, daß das System Tollet vor
illen auderen bisher zur Anwendung gelangten Konstruktionen
andwirthschaftlicher Gebäude ausschließlich den Vorzug verdiene!
Indem ich auf das von mir in Nr. 1 Seite 4 d. Jahrgs.
n einem Artikel „Landwirthschaftliche Baukunst“ über Billigkeit
ind Zweckmäßigkeit der Wirthschaftsgebäude Angeführte
erweise, wiederhoͤle ich, daß der inielligente Betrieb der Land—
virthschaft vorzugsweise in möglichst geringen Produktionskosten
esultirt und, da ein wesentlicher Theil der letzteren die Unterhal—
ungskosten der“ Gebäude und die Zinsen nebst Amortisation des
Baukapitals bilde, muß jede Beschraͤnkung des letzteren zur wirk—
amen Erhöhung des Reinertrages einer Gutswirthschaft bei—
ragen; Hauptbedingung bleibt es daher, die Wirthschaftsgebäude
tets möglichst billig herzustellen.
Bei der Wahl der Materialien zum Bau wirklich öko—
iomischer Banten werden stets die oͤbwaltenden Lokalverhält—
uisse und die Benutzung der in möglichster Nähe und deshalb
illig zu erwerbenden Baumaterialien zu berücksichtigen sein; im
inderen Falle würde nicht nur das Betriebskapital geschwächt
verden, sondern auch, da sich die Wirthschaftsverhältnisse im Laufe
er Zeit und ihrer Fortschritte wesentlich ändern, sich nur zu oft
»asjenige Gebäude als unzweckmäßig herausstellen, welches zur
Zeit seines Neubaues für unübertrefflich galt! — Von diefem
Hesichtspunkte aus betrachtet, verlieren die nach System Tollet
iast ausschließlich aus Eisen und Beton errichteten Wirthschafts⸗
zebäude wesentlich an der Möglichkeit durchgehender Anwendbarkeit
m landwirthschaftlichen Bauwesen. Unserer deutschen, fast all—
jemein unter dem Drucke großer Baukapitalien schmachtenden Land—
virthschaft kann nur dadurch wirksame Erleichterung zu Theil
verden, wenn geerntetes Getreide und Heu in offenen Feimen im