Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 43, Bd. 2, 1883)

Die Freie Versammlung Deutscher Baugewerksmeister zu Berlin. 
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Die Freie Versammlung 
Deutscher Baugewerksmeister zu Berlin, 
im Jahre 1879. 
In unserem Artikel in Nr. 26d. J.: „Der Bangewerks— 
meister und die Gewerbefreiheit“ erwähnten wir eines Antrages 
des Herrn Zimmermeister Selle zu der außerordentlichen General— 
Versammlung des Bnudes der Bau-, Maurer- und Zimmermeister 
zu Berlin am 11. September 1882. Wir versprachen damals, 
Juf diesen Antrag eingehend zurückkommen zu wollen, und erfüllen 
hiermit unser Versprechen. 
Zu dem ersten Gegenstande der Tagesordnung jener General— 
Versammlung — „Besprechung über die Tagesordnung der dies— 
jährigen Delegirten-Versammlung zu Leipzig“ — waren von Herrn 
Selle folgende Anträge gestellt: 
Die Generaldersammlung wolle sich zu Punkt 5 der Tages— 
ordnung gegen Einführung der Prüfungspflicht aussprechen. 
Die Generalversammlung wolle beschließen, falls die De⸗ 
legirtenversammlung die Prüfungspflicht annimmt, der 
Delegirte des Bundes ermächtigt sein soll, den Austritt 
des Bundes aus dem Verbande Deutscher Baugewerks— 
—V 
Diese Aunträge wurden in der außerordentlichen Generalver⸗ 
ammlung abgelehnt, und zwar, wie das Organ des Verbandes 
in seiner' Nr. 76 vom 20. September 1882 veröffentlicht, der An⸗ 
trag 1. einstimmig, wogegen ebenfalls einstimmig beschlossen 
wurde, den Delegirten des Bundes dahin zu instruiren, daß der— 
selbe für die Wiedereinführnng der Prüfungspflicht im Baugewerbe 
zu stimmen habe. Der Antrag 2. wird nach Ablehnung des ersten 
Antrages als gefallen erklärt, indessen beantragt Herr Simon — 
nicht etwa geprüfter Baugewerksmeister, aber Mitglied des Vor— 
standes und Direktor einer Aktien-Gesellschaft — zur Vermeidung 
irgend einer irrthümlichen Auffassung, wie folgt: „Die General— 
persammlung beschließt über den Antrag von RSelle zur Tages— 
ordnung überzugehen!“ Auch dieser Antrag wird einstimmig ange— 
omimen. Der Bericht theüt dann noch mit, daß Niemand den 
Antrag Selle vertheidigt habe, dagegen sei er mehrfach, einer ein— 
gehenden Kritik unterzogen und seine Ablehnung empfohlen. 
Hieraus scheint hervorzugehen, daß der Herr Antragsteller 
in der Geueralversammlung nicht anwesend war, weil er sich wahr⸗ 
scheinlich keinen Erfolg von seinem Antrage versprach, welchen er 
aber doch vielleicht glaubte stellen zu müssen, um seinen Stand⸗ 
punkt zu wahren. 
Was nun jener Bericht des Organs des Verbandes aber 
nicht angiebt, ist die Anzahl der Besuͤcher jener außerordent— 
lichen Generalversammlung, welche einstimmig jene Anträge ab— 
dehnten. Dieser Umstand sowohl, als auch hauptsächlich die Vor— 
geschichte der Auträge Selle scheint uns einer näheren Erörterung 
werth zu sein. 
Im Jahre 1879 erließ ein Komité« in der Nr. 48 des 
Organs des Verbandes Deutscher Baugewerksmeister vom 18. Juni 
einẽ Aufforderung zu einer Freien Versammlung Deutscher Bau—⸗ 
gewerksmeister in Berlin am 22. und 23. Juni 1879 mit voll— 
ständig festgestellter Tagesordnung. Am Schlusse dieser Aufforde— 
rung stand fettgedruckt die Bemerkung: 
„Anmeldungen selbstständiger Baugewerksmeister zur Theilnahme 
An den Verhandlungen, sowie etwaige Anträge bitten wir an 
die Mitunkerzeichneten, Baumeister B. Felisch, Berlin, 
Königgrätzerstr. 60, oder Maurermeister R. Schmidt Steglitz 
(bei Verlin), bis zum 20. Juni gelangen zu lassen. 
Das Komité. 
Obgleich keine Namen der Komité-⸗Mitglieder angegeben waren, 
so ging aus dem Schlußsatze doch wohl hervor, daß die Versamm— 
lung vom Vorstande des Verbandes Deutscher Baugewerksmeister 
in Scene gesetzt war. Es ergab sich dies auch aus den Erklä— 
rungen bei Beginn der Versammlung selbst, und aus der Wahl 
des Vorstandes für diese Versammlung ging außerdem hervor, daß 
die weit überwiegende Zahl der Theilunehmer aus Mitgliedern des 
Verbandes bestand, zu denen außerdem Berlin nicht das kleinste 
Kontingent stellte. Wenn die Präsenzliste 204 Baugewerksmeister 
aufwies — wir geben alle diese, wie die vorhergehenden und fol⸗ 
genden Daten nach dem Bericht des Organs des Verbandes in 
Nre 51 vom 29. Juni 1879 — so kann man zuvörderst wohl 
annehmen, daß ein sehr großer Theil der Theilnehmer aus der 
Provinz die Gelegenheit, benutzte, um gleichzeitig die damalige 
Herliner Ausstellung zu besuchen. 
Die Verhandluͤngen wurden durch einen Vortrag eingeleitet 
über das Thema: „Die Entwickelung des Deutschen Baugewerbes 
seit Einführung der Gewerbeordnung von 1869 bis auf die Gegen— 
wart“. Der Bericht des Organs sagt über diesen Vortrag wörtlich: 
KRodner stizirt die hiftorische Entwickelung der qunzen Ge— 
werbe Gesetzgebung Deutschlands und führt schließlich aus, wie 
der plötzliche, unvermittelte Uebergaug zur schrankenlosen Ge— 
werbefreiheit die vielen Uebelstände, an welchen das Gewerbe 
etzt mitleidet, herbeigeführt habe. Umkehr zu geordneten Zuständen, 
hasirend auf korporativer Vereinigung, sei geboten, ohne zünft⸗ 
lerische Anklänge, ohne Arbeitsmonopol. „Freiheit, aber age— 
hpaart mit Ordnung.“ 
Was soll man zu solchen Phrasen sagen? Effekt kann damit 
doch nur bei gedankenloseñ Zuhörern oder eingefleischten Zünftlern 
erreicht werden. Bei vielen Zuhörern haben wir aber auch ein 
bedentliches Kopfschütteln oder selbst ein mitleidiges Lächeln be— 
merkt. Wir sind auf diesen Eingangsvortrag auch nur eingegangen, 
weil wir die Richtung und die Tendenz der Versammlung von 
vornherein charakterisiren wollten. Es war nur darauf abgesehen, 
die öffentliche Meinung und die Behörden glauben zu machen, es 
sei eine Freie Versammlung Deutscher Baugewerks— 
meister, welche hier tagte, während es in Wahrheit doch, mit 
venigen Ausnahmen, nur eine Versammlung von Mitgliedern des 
Verbandes war. Nebenbei beabsichtigte man auch wohl einige 
Werbungen für den Verband anzubahnen, was indessen kaum ge⸗ 
ungen sein dürfte. 
Au einer späteren Stelle des Berichtes heißt es nun ferner 
vörtlich: 
Ein weiterer Antrag, welcher ganz besonders durch Rhein⸗ 
and und Westphalen unterstützt wird, wird mit allen gegen 26 
Stimmen angenommen. Der Antrag lautet: 
„Die Wiedereinführung der obligatorischen Meisterprüfung im 
Baugewerbe, mit Rücksicht auf die Gesetzgebung der, Emanirung 
der Gewerbe-Ordnung vom Jahre 1868 —1869, ist zu beantragen.“ 
Da dieser Bericht an einer sehr bedeutenden Ungenauigkeit 
und Oberflächlichkeit leidet, se werden wir denselben ergänzen, um 
zu zeigen, in welcher Weise man bestrebt ist, unliebsame Vorgänge, 
welche den Zielen der Zünjtler nicht förderlich sein könnten, ein— 
jach zu verschweigen resp. durch eine ungenaue Berichterstattung 
Annahmen hervorzurufen, die in Wirklichkeit nicht vorhanden waren. 
Zu dem Antrage auf Wiedereinführung der obligatorischen 
Meisterprüfung hatte Herr Selle namentliche Abstimmung bean⸗ 
ragt. Es wurde jedoch vom Vorsitzenden die namentliche Ab— 
immung als unzulässig zurückgewiesen und durch Handaufheben 
ie Mindrität gegen den obigen Antrag auf 26 festgestellt. Als 
derr Selle nun beantragte die Gegenprobe vorzunehmen und auch 
diese Stimmen zu zählen, d. h. die für den obigen Antrag Stim⸗ 
II wies der 'Vorsitzende auch diesen Antrag als unzulässig 
urück. 
Durch diese Abstimmung und den oben mitgetheilten Bericht 
st nun der Schein erweckt wörden, als ob von 254 Theilnehmern 
in der Versammlung nur 26 gegen den Antrag, alle Uebrigen 
iber für den Antrag auf Wiedereinführung der obligatorischen 
Meisterprüfung gestimmt hätten. In Wirklichkeit waren bei dieser 
Abstimmung aber' höchstens nur, noch 60 bis 70 Personen im 
Saale anwesend, und befanden sich unter den 26 gegen den An— 
rag Stimmenden eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern des 
Husides, waͤhrend freilich Herr Direktor Simon mit der Majorität 
limmte; nach dieser Abstimmung leerte sich der Saal noch mehr. 
Trotzdem nun der Zweck des Verbandes resp. seines Vor— 
tandes mit der Freien Versammlung im Allgemeinen erreicht war, 
cheint man doch eine Wiederholung gefürchtet zu haben. Im 
Eingange seines Berichtes sagt das Organ: 
Das berufende Komité war zu seiner Genugthuung in der 
Ldage, 254 Baugewerksmeister aus 101 Städten Nord— und Süd⸗ 
Feutschlands, von Königsberg bis an den Rhein, von Kiel bis 
iber den Main, begrüßen zu können.“ 
Während der Verhandlungen wurde vielfach betont, eine 
olche Freie Versammlung alliährlich einzuberufen. 
Am Schlusse sagt der Bericht des Organs: 
„Hieran knüpft sich der Beschluß, auf Autrag des Herrn Mose⸗ 
lel, daß innerhalb eines Jahres womöglich abermals eine 
Freie Versammlung Deutscher Baugewerksmeister stattfinden soll, 
doch wrd dem Komitsé freie Hand gegeben, den ihm geeianet 
erscheinenden Zeitpunkt zu wählen!“ 
Trotz alledem hat das Komité, welches uns freilich unbekannt 
jeblieben ist, sich nicht bewogen gefühlt, eine zweite Freie Ver— 
ammlung Deutscher Baugewerksmeister einzuberufen. Wahrschein⸗ 
ich hat es dem Komité geschienen, als sei der geeignete Zeitpunkt 
dazu noch nicht gekommen. Wir erlauben uns aber dasselbe darauf 
ufmerksam zu machen, daß ja in diesem Jahre wieder eine Aus⸗ 
tellung in Berlin existirt und deshalb der Zeitpunkt jetzt doch 
‚ielleicht der geeignete für eine Wiederholung der Freien Versamm— 
ung Deutscher Baugewerksmeister sein dürfte. Wir erklären sehr 
Jern unsere Bereitwilligkeit dazu, so viel in unseren Kräften steht, 
zu weht zahlreichem Besuche einer solchen Versammlung beitragen 
u wollen. 
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