597 Die Bedeutung des 8 1000. der Gewerbe-Ordnung vom 18. Juni 1881. — Die Luftheizung in den städtischen Schulen Berlins. 598
Die Bedeutung des 8 100 e. der Gewerbe—
Ordnung vom 18. Juli 1881.
Dieser Paragraph, welcher nach dem Vorschlage der Regierung
trotz der lebhaftesten Opposition der liberalen Parteien in die
Innungsnovelle hineingekommen ist, lautet:
„Für den Bezirk einer Innung, deren Thätigkeit auf dem
Gebiete des Lehrlingswesens sich bewährt hat, kann durch die höhere
Berwaltungsbehörde nach Anhöruug der Aufsichtsbehörde bestimmt
werden:
1) daß Streitigkeiten aus den Lehrverhältnissen der im
8 120 a. bezeichneten Art auf Anrufen eines der streitenden Theile
bon der zuständigen Innungsbehörde auch dann zu entscheiden sind,
venn der Arbeitgeber, obwohl er ein in der Innung vertretenes
Gewerbe betreibt und selbst zur Aufnahme in die Innung fähig
sein würde, gleichwohl der Innung nicht angehört;
2) daß und inwieweit die von der Innung erlassenen Vor—
schriften über die Regelung des Lehrlingsverhältnisses, sowie über
die Ausbildung und Prüfung der Lehrlinge auch dann bindend
sind, wenn deren Lehrherr zu den unter Nr. 1 bezeichneten Arbeit—
gebern gehört.
Haben sich hiernach Lehrlinge solcher Gewerbetreibenden,
welche der Innung nicht angehören, einer Prüfung zu unterziehen,
so ist dieselbe von einer Kommission vorzunehmen, deren Mitglieder
zur Hälfie von der Innung, zur Hälfte von der Aufsichtsbehörde
berufen werden.
Die Bestimmungen sind widerruflich.“
Ein Antrag des Abgeordneten Ackermann wollte die ursprüng—
liche Fassung des Regierungsentwurfs wieder herstellen; derselbe
lautete im Absatz 3: „daß Arbeitgeber der unter al. 1. bezeich—
neten Art von einem bestimmten Zeitpunkte an Lehrlinge nicht
mehr annehmen dürfen.“ Dieser Antrag wurde vom Reichstage
abgelehnt.
Ein Bescheid, welchen die Düsseldorfer Regierung unterm
12. Julin d. J. auf eine Eingabe der zünftlerischen Weber zu
Trefeld, betreffend die Einführung des Innungszwanges, erthejlt
hat, ist von der liberalen Tagespresse wegen der scheinbar sehr
bestimmten Ablehnung der zünftlerischen Forderungen vielfach mit
Frende begrüßt worden. Wir geben nun gern zu, daß man sich
darüber freuen kann, wenn ein Organ der Staatsregierung das
Verlangen nach obligatorischen Innungen zurückweist und Ver—
wahrung dagegen einlegt, daß die auf Grund des Gesetzes vom
18. Juli 1881 reorganisirten freien Innungen nur als Agitations—
verbaͤnde und nur als Etappe auf dem Wege zu den Zwangs—
innungen zu betrachten seien. Bedenkt man hierbei aber, daß vor
nicht langer Zeit die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, im Gegen—
satze zu ihrer früheren Haltung, sich deu Bestrebungen der Zwangs—
zünftler geneigt zeigte, indem sie es dem in Hannoper abgehaltenen
Dandwerkertage zum Ruhme anrechnete, daß er „die freien Innungen
als ein geeignetes Mittel, um zu den obligatorischen zu gelangen,
anerkannt“, so wird man um so größere Freude über den obigen
Bescheid der Düsseldorfer Regierung empfinden können, wenn nur
nicht der 8 100 e. vorhanden wäre.
Dieser Paragraph ist aber selbst ohne den Antrag Ackermann
mit dem Wesen der freien Innung durchaus unverträglich. Allem
Anschein nach hat nun die Regierung die Absicht, wie es aus dem
Düsseldorfer Bescheide hervorgeht, an geeignet erachtete Junungen
die Befugnisse dieses Paragräphen zu verleihen, und müßte dies
entschieden zum Ruin der freien Innungen führen.
Wir würden demnach unsere Pflicht verletzen, wenn wir nicht
darauf hinwiesen, daß alle betheiligten Kreise darauf hinzuwirken
haben, die Anwendung des 8 100 e. zu hintertreiben, weil
durch diese Anwendung mit höchster Wahrscheinlichkeit schließlich
die Zwangsinnung erreicht wird, was ja den obigen Anführungen
nach unzweifelhaft der Wuusch gewisser Kreise ist.
Durch Anwendung des 8 100 6. erhalten die Innungen Auf—
sichts- und Jurisdiktionsrechte über Gewerbetreibende, welche außer—
—
mit dem Wesen einer freien Innung durchaus unverträglich und
man kann dieselbe eben nur verstehen, wenn man annimmt, daß
das Endziel Derjenigen, welche diese Gesetzesbestimmung aufftellten
und überhaupt die Neuordnung des Innungsrechts anregten, die
obligatorische Innung, d. h. den Zunftzwang, aber durchaus nicht
die freie Junung wollten. Als der Antrag der Herren von Seydewitz,
Ackermann und“ Genossen am 5. März 1880 abgelehnt wurde,
glaubte die Regierung und die Majorität des Reichstages wohl
jenen Herren durch den 8 1000. ein gewisses Entgegenkommen
zeigen zu müssen. Hiervon hätte. aber wenigstens alle liberalen
Abgeordneten die Empfehlung. des Paragraphen durch den Ab⸗
geordneten Stumm zurückschrecken müssen, daß die in Aussicht ge—
Dmmene Vripilegirung der Innungen wohl niemals praktische
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