Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 43, Bd. 2, 1883)

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35 Baugewerksmeister, Bauschwindel und Gewerbefreiheit. 
Baugewerksmeister, Bauschwindel und 
Gewerbefreiheit. 
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Ebenso war das sogenannte Pfuscherthum vor Einführung 
der Gewerbefreiheit ebenso und vielleicht noch mehr in Blüthe, 
als jetzt. Es gab überall Baugewerksmeister, welche für wenige 
Groschen sogenannte Meisterscheine ausstellten und damit 
die Verantwortung für die von dem Pfuscher ausgeführten Bauten 
übernahmen. Zu verlieren hatten diese Herren nichts, wenn einmal 
die Sache schief ging, aber sie waren und sind natürlich Feinde 
der Gewerbefreiheit und Freunde des Prüfungszwanges, weil ihnen 
ja die Einnahmen für Ausstellung der Meisterscheine verloren ge— 
gangen sind. 
Der Herr Einsender meint, er würde den Ausführungen 
unseres oben angeführten Artikels zustimmen und die Einführung 
der obligatorischen Meisterprüfung im Baugewerbe für überflüssig 
halten können, wenn das Baugewerbe frei von allen schlechten 
Flementen und das Publikum gewöhnt wäre, Jeden allein und 
ausschließlich nach seinen Leistungen zu beurtheilen. 
Glaubt der Herr Einsender wirklich, daß es irgend einen 
Stand giebt, ob mit oder ohne Prüfungszwang, der von schlechten 
Elementen frei sein könnte, und giebt besonders der Prüfungszwang 
eine Garantie, daß sich keine schlechten Elemente unter den ge— 
zrüften Baugewerksmeistern befinden würden? Unsere obigen Aus— 
jührungen duürften etwas Anderes nachweisen. Was aber das 
Vertrauen anlangt, welches sowohl Privatleute als auch Behörden 
dem nicht geprüften Baugewerksmeister in geringerem Grade ent— 
zegenbringen sollen, als dem geprüften, so ist das freilich zur Zeit 
in einigen Orten vielleicht noch der Fall; aber beweist deun nicht 
das ungemein schnelle Gedeihen sehr vieler Baugeschäfte in allen 
Theilen Deutschlands, die von ungeprüften Baugewerksmeistern 
gegründet sind, daß das Publikum nicht mehr vollständig und 
iberall daran gewöhnt ist, nach dem Prüfungs-Zeugniß des Be⸗ 
reffenden sich zu erkundigen, und wird diese Gewöhnung nicht 
mmer mehr schwinden? Daß aber Behörden eines Staates, in 
velchem die Gewerbefreiheit Gesetz ist, geprüfte Bau— 
zewerksmeister bevorzugen sollten, ist uns nicht recht glaublich, 
venigstens wüßten wir nicht, wie eine solche Behörde ihr Ver— 
'ahren dem Gesetze gegenüber verantworten könnte, wenn sie die 
Prüfung allein für die Qualifikation des Betreffenden maßgebend 
ein lassen wollte. 
Es giebt freilich selbst unter den jüngeren Baugewerksmeistern 
Elemente, die sich mit Vorliebe geprüfte Baugewerksmeister 
nennen, auch wenn sie nur auf irgend einer Bauschnle ein soge— 
nanntes, oft sehr fragwürdiges Meister-Examen abgelegt haben. 
Es sind unus auch aus der alten Zeit des Prüfungszwanges Fälle 
»ekannt, in denen uns das damals abgelegte Meister-Examen der 
Betreffenden durchaus keinen Respekt vor den Kenntnissen und 
Fähigkeiten derselben abnöthigen konute. Dagegen kennen wir sehr 
diele jüngere Dee die kein Examen abgelegt haben, 
vor deren Leistungen man jedoch die höchste Achtung haben muß. 
Selbst die Einführung des Prüfungszwanges würde weder 
dem Bauschwindel noch der Bauspekulation auch nur das geringste 
dinderniß bereiten, es würden Beide vielmehr nur wieder unter 
zinen gewissen Schutz gestellt und ihnen die sicherheitspolizeiliche 
Berantwortung wieder abgenommen werden. Wenn aber der Herr 
Einsender gar meint, daß die Bauspekulanten häufig ohne genügende 
Mittel seien, so wissen wir wirklich nicht, wie der Prüfungszwang 
hiergegen helfen soll. Die Bauspekulation kann doch unmöglich 
durch den Prüfungszwang der Baugewerksmeister aus der Welt 
geschafft werden, sie wird im Gegentheil eher dadurch befördert 
werden, da sich, besonders in größeren Städten — und hier kann 
doch nur von einer Bauspekulation in ausgedehntem Sinne die 
Rede sein — immer und überall geprüfte Baugewerksmeister finden 
werden, ebenso wie es früher der Fall war, welche den Bau— 
pekulanten als Deckmantel dienen. Außerdem gehörten früher, 
gehören jetzt und werden stets viele Baugewerksmeister auch zu den 
Zauspekulanten zu zählen sein, sowohl im auten als im schlechten 
Sinne. 
Was es aber heißen soll, es müsse erst reines Haus gemacht 
verden, bevor man an eine gesunde Entwickelung des Baugeloerbes 
denken könne, und hierzu den Prüfungszwang zu empfehlen, ist uns 
»osllkommen unverständlich. Es soll also Prüfungszwang event. 
auch Innungszwang, d. h. also der Zunftzwang, eingeführt werden, 
und dann erwartet man eine gesunde Entwickelung des Bau— 
zewerbes! Von Entwickeln kann doch dann wohl keine Rede mehr 
—V— 
lichen Standpunkt. Vielleicht hängen diese Wünsche zusammen mit der 
in neuerer Zeit so übermäßig ausgebildeten Deutschen Renaissance? 
Wir möchten dann aber auch empfehlen alles Uebrige, was uns 
an dem vollständigen Mittelalter noch fehlt, ebenfalls nicht zu ver— 
gessen, sondern auch den Zopf wieder zu Ansehen zu bringen. 
Hält der Herr Einsender das Publikum für leichtgläubig und 
durch den äußeren Schein bestechlich, so meinen wir,. sei doch erst 
Zu unserem Artikel in Nr. 26 „Der Baugewerksmeister 
und die Gewerbefreiheit“ erhalten wir folgende Zuschrift: 
In Nr. 26 d. Ztg. wird gegen die Innung und deren Be— 
strebungen für Einführung der öbligatorischen Meisterprüfung ge— 
prochen und der jetzige Zustand unseres Gewerbes nicht nur für 
wünschenswerth, sondern auch für besser gehalten. 
Kann man aber von Baugewerksmeistern und von der Ge— 
werbefreiheit, reden, ohne nicht zugleich den Bauschwindel, die ge— 
wissenlosen, leichtsinnigen, Bauspekulanten, mit in den Kreis der 
Betrachtungen zu ziehen? 
Ja, wenn unser Baugewerbe frei von allen schlechten Ele— 
menten und das Publikum gewöhnt wäre, Jeden allein und aus— 
schließlich nach seinen Leistungen zu beurtheilen, d. h. also, wenn 
demjenigen, der keine Meisterprüfung abgelegt hat, sowohl von 
Seite der Behörden, als auch seitens der Privatleute das gleiche 
Vertrauen und die gleiche Beachtung zu Theil würde, wie dem— 
jenigen, der sich einer Meisterprüfung unterzogen — so würde ich 
dem Verfasser des oben angezogenen Artikels beistimmen und die 
Bestrebungen nach Einführung einer obligatorischen Meisterprüfung 
für überfluͤssig erachten! — 
Solange es aber noch eine Masse von Bauausführenden giebt, 
die es weder durch Beruf sind, noch die Kenntnisse und die Fähig— 
keiten besitzen, es zu sein und häufig genug nicht einmal die Mittel 
haben, das durchzuführen, was sie angefangen — solange diese 
Bauspekulanten, die Schmarotzer unseres Bauhandwerks, ein Haus 
nicht als Besitz, sondern nur als Waare, als Bente betrachten 
fönnen, solange also unser Bauhandwerk zum feilen Mittel für 
Beldspekulanten dienen muß — so lange die Behörden den ge— 
prüften Mieister bei Konkurrenzen stets vorziehen und das Publikum 
zu Gunsten des ersteren einen Unterschied zwischen einem ge— 
brüften und ungeprüften Meister macht und solange endlich, als das 
Publikum so leichtgläubig und durch den äußeren Schein bestechlich 
bleibt, wie bisher, gilt es vor Allem, reines Haus zu machen, 
ehe wir an eine gesunde Entwickelung unseres Baugewerbes denken 
tönnen! Wie aber ist dies anders denkbar, als daß Diejenigen, die 
ihr Fach lieb haben und es hoch halten, freudig öffentlich Zeugniß 
ablegen, daß sie der Verantwortung als Bauausführende voll und 
zanz gewachsen sind, daß sie damit das Erkennungszeichen schaffen 
sfür alle Diejenigen, denen es eine heilige Pflicht ist, Front zu 
machen gegen Alles, was mit Schwindel und Schein in unserem 
Fach zusammenhängt!? 
Also die Meisterprüfung soll vor Allem die Kluft dokumen— 
tiren, welche existirt zwischen einem soliden fachmännisch ge— 
bildeten Baugewerksmeister und einem beliebigen Schneider, 
Schuster, Handschuhmacher, dem es plötzlich eingefallen, Bauspekulant 
zu werden; sie soll aber auch den Fachgenossen nach außen hin 
Achtung und diejenige gesellschaftliche Stellung verschaffen, die 
ihnen gebührt. — 
Das Baufach ist somit ein prüfungspflichtiges und kann 
deshalb ohne disziplinarische Einrichtungen nicht bestehen!! — 
Was für Konsequenzen aus dieser Erkenntniß entspringen 
müssen und wie diese etwa zusammenhängen mit Innung, Zunft— 
zwang, staatlicher Aufsicht und Bevormundung, darüber vielleicht 
päter einmal mehr! — R. 6 
Erwiderung der Redaktion. 
Der Herr Einsender ist zunächst der Ansicht, wenigstens 
können wir ihn nicht anders verstehen, daß der Bauschwindel so⸗ 
wohl, als auch die gewissenlosen, leichtsinnigen Spekulanten ein 
Produkt der Gewerbefreiheit seien. Wir wissen nicht, ob dem 
Herrn Einsender die Zeit vor Einführung der Gewerbefreiheit 
getfannt ist; uns ist dieselbe sehr wohl bekannt und ist uns zur 
Henüge erinnerlich, daß zu jener Zeit der Bauschwindel mindestens 
?benso geblüht hat und Bauspekulanten in nicht geringerer Zahl 
vorhanden waren, als heute. Nur waren damaͤls dieselben mehr 
unter der Zahl der Baugewerksmeister zu suchen, als jetzt der 
Fall ist, und das begrüßen wir als einen Fortschritt, als eine 
Hebung des Standes mit Freuden. Die Bauspekulation konnte 
aber auch damals von Leuten ungehindert betrieben werden, welche 
durchaus kein Verständniß vom Baufach hatten; sie benutzten ein— 
fach geprüfte Baugewerksmeister zur Ausführung ihrer Spekulatious— 
bauten, welche für ein sehr geringes Honorar die Ver— 
antwortung für die betreffenden Bauͤten übernahmen. 
Jetzt ist insofern eine Besserung hierin eingetreten, als der Spe— 
fulant der Polizei gegenüber selbst die Verantwortung bragen kann 
und meistentheils auch tragen muß
	        

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