31
j
35 Baugewerksmeister, Bauschwindel und Gewerbefreiheit.
Baugewerksmeister, Bauschwindel und
Gewerbefreiheit.
616
Ebenso war das sogenannte Pfuscherthum vor Einführung
der Gewerbefreiheit ebenso und vielleicht noch mehr in Blüthe,
als jetzt. Es gab überall Baugewerksmeister, welche für wenige
Groschen sogenannte Meisterscheine ausstellten und damit
die Verantwortung für die von dem Pfuscher ausgeführten Bauten
übernahmen. Zu verlieren hatten diese Herren nichts, wenn einmal
die Sache schief ging, aber sie waren und sind natürlich Feinde
der Gewerbefreiheit und Freunde des Prüfungszwanges, weil ihnen
ja die Einnahmen für Ausstellung der Meisterscheine verloren ge—
gangen sind.
Der Herr Einsender meint, er würde den Ausführungen
unseres oben angeführten Artikels zustimmen und die Einführung
der obligatorischen Meisterprüfung im Baugewerbe für überflüssig
halten können, wenn das Baugewerbe frei von allen schlechten
Flementen und das Publikum gewöhnt wäre, Jeden allein und
ausschließlich nach seinen Leistungen zu beurtheilen.
Glaubt der Herr Einsender wirklich, daß es irgend einen
Stand giebt, ob mit oder ohne Prüfungszwang, der von schlechten
Elementen frei sein könnte, und giebt besonders der Prüfungszwang
eine Garantie, daß sich keine schlechten Elemente unter den ge—
zrüften Baugewerksmeistern befinden würden? Unsere obigen Aus—
jührungen duürften etwas Anderes nachweisen. Was aber das
Vertrauen anlangt, welches sowohl Privatleute als auch Behörden
dem nicht geprüften Baugewerksmeister in geringerem Grade ent—
zegenbringen sollen, als dem geprüften, so ist das freilich zur Zeit
in einigen Orten vielleicht noch der Fall; aber beweist deun nicht
das ungemein schnelle Gedeihen sehr vieler Baugeschäfte in allen
Theilen Deutschlands, die von ungeprüften Baugewerksmeistern
gegründet sind, daß das Publikum nicht mehr vollständig und
iberall daran gewöhnt ist, nach dem Prüfungs-Zeugniß des Be⸗
reffenden sich zu erkundigen, und wird diese Gewöhnung nicht
mmer mehr schwinden? Daß aber Behörden eines Staates, in
velchem die Gewerbefreiheit Gesetz ist, geprüfte Bau—
zewerksmeister bevorzugen sollten, ist uns nicht recht glaublich,
venigstens wüßten wir nicht, wie eine solche Behörde ihr Ver—
'ahren dem Gesetze gegenüber verantworten könnte, wenn sie die
Prüfung allein für die Qualifikation des Betreffenden maßgebend
ein lassen wollte.
Es giebt freilich selbst unter den jüngeren Baugewerksmeistern
Elemente, die sich mit Vorliebe geprüfte Baugewerksmeister
nennen, auch wenn sie nur auf irgend einer Bauschnle ein soge—
nanntes, oft sehr fragwürdiges Meister-Examen abgelegt haben.
Es sind unus auch aus der alten Zeit des Prüfungszwanges Fälle
»ekannt, in denen uns das damals abgelegte Meister-Examen der
Betreffenden durchaus keinen Respekt vor den Kenntnissen und
Fähigkeiten derselben abnöthigen konute. Dagegen kennen wir sehr
diele jüngere Dee die kein Examen abgelegt haben,
vor deren Leistungen man jedoch die höchste Achtung haben muß.
Selbst die Einführung des Prüfungszwanges würde weder
dem Bauschwindel noch der Bauspekulation auch nur das geringste
dinderniß bereiten, es würden Beide vielmehr nur wieder unter
zinen gewissen Schutz gestellt und ihnen die sicherheitspolizeiliche
Berantwortung wieder abgenommen werden. Wenn aber der Herr
Einsender gar meint, daß die Bauspekulanten häufig ohne genügende
Mittel seien, so wissen wir wirklich nicht, wie der Prüfungszwang
hiergegen helfen soll. Die Bauspekulation kann doch unmöglich
durch den Prüfungszwang der Baugewerksmeister aus der Welt
geschafft werden, sie wird im Gegentheil eher dadurch befördert
werden, da sich, besonders in größeren Städten — und hier kann
doch nur von einer Bauspekulation in ausgedehntem Sinne die
Rede sein — immer und überall geprüfte Baugewerksmeister finden
werden, ebenso wie es früher der Fall war, welche den Bau—
pekulanten als Deckmantel dienen. Außerdem gehörten früher,
gehören jetzt und werden stets viele Baugewerksmeister auch zu den
Zauspekulanten zu zählen sein, sowohl im auten als im schlechten
Sinne.
Was es aber heißen soll, es müsse erst reines Haus gemacht
verden, bevor man an eine gesunde Entwickelung des Baugeloerbes
denken könne, und hierzu den Prüfungszwang zu empfehlen, ist uns
»osllkommen unverständlich. Es soll also Prüfungszwang event.
auch Innungszwang, d. h. also der Zunftzwang, eingeführt werden,
und dann erwartet man eine gesunde Entwickelung des Bau—
zewerbes! Von Entwickeln kann doch dann wohl keine Rede mehr
—V—
lichen Standpunkt. Vielleicht hängen diese Wünsche zusammen mit der
in neuerer Zeit so übermäßig ausgebildeten Deutschen Renaissance?
Wir möchten dann aber auch empfehlen alles Uebrige, was uns
an dem vollständigen Mittelalter noch fehlt, ebenfalls nicht zu ver—
gessen, sondern auch den Zopf wieder zu Ansehen zu bringen.
Hält der Herr Einsender das Publikum für leichtgläubig und
durch den äußeren Schein bestechlich, so meinen wir,. sei doch erst
Zu unserem Artikel in Nr. 26 „Der Baugewerksmeister
und die Gewerbefreiheit“ erhalten wir folgende Zuschrift:
In Nr. 26 d. Ztg. wird gegen die Innung und deren Be—
strebungen für Einführung der öbligatorischen Meisterprüfung ge—
prochen und der jetzige Zustand unseres Gewerbes nicht nur für
wünschenswerth, sondern auch für besser gehalten.
Kann man aber von Baugewerksmeistern und von der Ge—
werbefreiheit, reden, ohne nicht zugleich den Bauschwindel, die ge—
wissenlosen, leichtsinnigen, Bauspekulanten, mit in den Kreis der
Betrachtungen zu ziehen?
Ja, wenn unser Baugewerbe frei von allen schlechten Ele—
menten und das Publikum gewöhnt wäre, Jeden allein und aus—
schließlich nach seinen Leistungen zu beurtheilen, d. h. also, wenn
demjenigen, der keine Meisterprüfung abgelegt hat, sowohl von
Seite der Behörden, als auch seitens der Privatleute das gleiche
Vertrauen und die gleiche Beachtung zu Theil würde, wie dem—
jenigen, der sich einer Meisterprüfung unterzogen — so würde ich
dem Verfasser des oben angezogenen Artikels beistimmen und die
Bestrebungen nach Einführung einer obligatorischen Meisterprüfung
für überfluͤssig erachten! —
Solange es aber noch eine Masse von Bauausführenden giebt,
die es weder durch Beruf sind, noch die Kenntnisse und die Fähig—
keiten besitzen, es zu sein und häufig genug nicht einmal die Mittel
haben, das durchzuführen, was sie angefangen — solange diese
Bauspekulanten, die Schmarotzer unseres Bauhandwerks, ein Haus
nicht als Besitz, sondern nur als Waare, als Bente betrachten
fönnen, solange also unser Bauhandwerk zum feilen Mittel für
Beldspekulanten dienen muß — so lange die Behörden den ge—
prüften Mieister bei Konkurrenzen stets vorziehen und das Publikum
zu Gunsten des ersteren einen Unterschied zwischen einem ge—
brüften und ungeprüften Meister macht und solange endlich, als das
Publikum so leichtgläubig und durch den äußeren Schein bestechlich
bleibt, wie bisher, gilt es vor Allem, reines Haus zu machen,
ehe wir an eine gesunde Entwickelung unseres Baugewerbes denken
tönnen! Wie aber ist dies anders denkbar, als daß Diejenigen, die
ihr Fach lieb haben und es hoch halten, freudig öffentlich Zeugniß
ablegen, daß sie der Verantwortung als Bauausführende voll und
zanz gewachsen sind, daß sie damit das Erkennungszeichen schaffen
sfür alle Diejenigen, denen es eine heilige Pflicht ist, Front zu
machen gegen Alles, was mit Schwindel und Schein in unserem
Fach zusammenhängt!?
Also die Meisterprüfung soll vor Allem die Kluft dokumen—
tiren, welche existirt zwischen einem soliden fachmännisch ge—
bildeten Baugewerksmeister und einem beliebigen Schneider,
Schuster, Handschuhmacher, dem es plötzlich eingefallen, Bauspekulant
zu werden; sie soll aber auch den Fachgenossen nach außen hin
Achtung und diejenige gesellschaftliche Stellung verschaffen, die
ihnen gebührt. —
Das Baufach ist somit ein prüfungspflichtiges und kann
deshalb ohne disziplinarische Einrichtungen nicht bestehen!! —
Was für Konsequenzen aus dieser Erkenntniß entspringen
müssen und wie diese etwa zusammenhängen mit Innung, Zunft—
zwang, staatlicher Aufsicht und Bevormundung, darüber vielleicht
päter einmal mehr! — R. 6
Erwiderung der Redaktion.
Der Herr Einsender ist zunächst der Ansicht, wenigstens
können wir ihn nicht anders verstehen, daß der Bauschwindel so⸗
wohl, als auch die gewissenlosen, leichtsinnigen Spekulanten ein
Produkt der Gewerbefreiheit seien. Wir wissen nicht, ob dem
Herrn Einsender die Zeit vor Einführung der Gewerbefreiheit
getfannt ist; uns ist dieselbe sehr wohl bekannt und ist uns zur
Henüge erinnerlich, daß zu jener Zeit der Bauschwindel mindestens
?benso geblüht hat und Bauspekulanten in nicht geringerer Zahl
vorhanden waren, als heute. Nur waren damaͤls dieselben mehr
unter der Zahl der Baugewerksmeister zu suchen, als jetzt der
Fall ist, und das begrüßen wir als einen Fortschritt, als eine
Hebung des Standes mit Freuden. Die Bauspekulation konnte
aber auch damals von Leuten ungehindert betrieben werden, welche
durchaus kein Verständniß vom Baufach hatten; sie benutzten ein—
fach geprüfte Baugewerksmeister zur Ausführung ihrer Spekulatious—
bauten, welche für ein sehr geringes Honorar die Ver—
antwortung für die betreffenden Bauͤten übernahmen.
Jetzt ist insofern eine Besserung hierin eingetreten, als der Spe—
fulant der Polizei gegenüber selbst die Verantwortung bragen kann
und meistentheils auch tragen muß