Ueber die civilrechtliche Schadensersatzyflicht des Bauunternehmers. — Berichte aus verschiedenen Städten. 314
Ueber die civilrechtliche Schadensersatzpflicht
des Bauunternehmers.
Von
Dr. Gustav Freudenstein.
Forts.)
Bei dieser Motivirung des reichsgerichtlichen Erkenntnisses
glauben wir ein großes Fragezeichen machen zu müssen. Wir
halten den ganzen 8 330 mit seiner exzeffiven kriminellen Ver—
antwortlichkeit für in der Konstruktion verfehlt und für eine Geißel
des Baugewerbes. Unrichtig ist gleich die Unterstellung, die „all—
zemein anerkaunten Regeln der Baukuͤnst“ seien so bestimmt, daß
über dasjenige, was im einzeluen Falle zu geschehen habe, ein
begründeter Zweifel nicht entstehen könne. Allerdings giebt es
Regeln der Baukunst, bei deunen dies zutrifft; daß man z. B. nicht
mit offenbarer Verletzung der Schwerpunktsgesetze bauen darf, ist
eine einleuchtende Regel Aber die unendliche Vielgestaltigkeit des
Baulebens und, die Freiheit der Praxis des Einzelnen erzeug!
Maßnahmen, über welche die Angehörigen des Baugewerbes oft
sehr getheilter Meinung sind, und welche als anerkaunte Regeln
der Baukunst noch keineswegs betrachtet werden können, oder wo
dies wenigstens in hohem Grade zweifelhaft ist. Schon diese
Thatsache widerspricht der reichsgerichtlichen Idee, daß ein be—
gründeter Zweifel gar nicht entstehen könne, was als auerkannte
Regel der Baukunst zu erachten sei. — Der 8 330 ist ein Kaut—
scchukparagraph schlimmster Art: er droht Strafe, ohne daß seine
Fundamente, die gesetzlichen Merkmale festlägen. Und hierzu tritt
etzt auch noch als weitere Schadeusfolge nach dem oben mitge—
cheilten Reichsgerichtserkenntniß die eivilrechtliche Haftpflicht. Der
aus 8 330 des St.Ges.“B. verurtheilte Angehörige des Bau—
zewerbes muß ohne Weiteres den Schaden ersetzen. Während
sonst im Rechte eine jede Schadensersatzpflicht zu ihrer allerwesent
lichsten Voraussetzung das Moment der Kausalität hat, d. h
die Haudlung (bezw. Unterlassung) und der gestiftete Schader
müssen in ursächlichem Zusammenhange stehen, so wird der—
malen ein Beweis jener Kausalität im Civilprozeß gar nicht mehr
erfordert, sobald nur erwiesen ist, daß gegen die „allgemein an—
erkannten Regeln der Baukunst“ gefehlt wurde, was ja durch die
Verurtheilung aus 8 330 im Strafprozeß festgestellt wird. Auch
die „Berliner Gerichtszeitung“ vom 29. März 1883 bemerkt zu
jenem reichsgerichtlichen Erkenntniß:
„Die Bauunternehmer müssen deshalb gewärtig sein, daß sie
für jeden Schaden haften, der bei Gelegenheit eines Baues vor—
kommt, wenn nachgewiesen werden kaun, daß bei der Leitung oder
Ausführung des Baues gegen die allgemein auerkannten Regeln
der Baukunst gefehlt ist. Die Verbindung zwischen dem Fehler
und dem entstandenen Schaden nimmt dann das Gesetz ohne wei—
teres als vorhanden an.“
Eine ganz ähnliche Bewandtniß, wie mit dem 8 330, hat
es mit dem ebenfalls eine civilrechtliche Schadensersaßzpflicht er—
zeugenden 8 367 Nr. 14 des Strafgesetzbuchs, welcher lautet:
„Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit
Haft wird bestraft: 14) wer Bauten oder Ausbesserungen
von Gebäuden, Brunnen, Brücken, Schleusen oder anderen
Bauwerken vornimmt, ohne die von der Polizei angeordneten
»der sonst erforderlichen Sicherungsmaßregeln zu treffen.“
Zu den „anderen Bauwerken“ gehören auch nach einem Er—
kenntniß des Preuß. Obertribunals vom 9. Juni 1865 die Aus—
schachtungen von Rand- und Lehmgruben nund unter den „Siche⸗
rungsmaßregeln“ sind nicht solche zu verstehen, welche in der
tüchtigen uüd regelrechten Art der Ausführung des Baues selbst
liegen, sondern im Allgemeinen nur solche, welche aus Anlaß eines
Baues zu treffen sind, um das Publikum vor Unfällen zu schützen,
wie z. B. das Anbringen von Planken, Warnungszeichen (Er—
kenntniß des Oberappell.⸗«Gerichts Dresden vom 26. Juli 1875)
Solche Sicherungsmaßregeln kann die Polizei nicht nur in allge—
mein verbindlicher Weise, sondern auch speziell im Einzelfall an—
ordnen; „erforderlich“ ist jede Sicherungsmaßregel, welche nach der
individnellen Sachlage nothwendig ist, um der durch Ausführung
der baulichen Arbeiten drohenden oder möglicher Weise sich er—
eignenden Gefahr zu begegnen.
Dieser 8 367 Nr. 14 des St.Ges.«B. ist nun in Ansehung
der civilrechtlichen Haft- und Entschädigungspflicht in folgendem
Rechtsfalle praktisch geworden:
Auf Anordnung eines Grundstücksbesitzers wurde ein Theil
der auf dem Eigenthum desselben befindlichen Gebäude abgebrochen.
Ein Miether der stehengebliebenen Baulichkeiten, der täglich bei
der Abbruchstelle vorüberging, wurde eines Tages durch einen von
dem abzubrechenden Gebäude herabfallenden Stein verletzt und
mußte deshalb einige Zeit im Krankenbette zubringen. Wegen
Ersatzes des ihm hierdurch entstandenen Schadens nahm er den
Bauherrn in Anspruch, weil derselbe nicht dafür gesorgt hatte,
daß der Weg an der gefährlichen Stelle gesperrt worden. Der
Bauherr aber glaubte, nicht sich, sondern den Baumeister, dem er
den Abbruch übertragen hatte, für diese Nachlässigkeit haftbar;
das Gericht jedoch hat den Bauherrn aus folgenden Gründen nach
dem Klagantrage verurtheilt:
Unter Nr. 14 8 367 des Str.Ges.⸗“B. wird verordnet, daß
ver bei Bauten oder Ausbesserungen von Gebäuden die erforder—
lichen Sicherheitsmaßregeln nicht trifft, bestraft werden soll. Diese
KBorschrift kann nur dahin ausgelegt werden, daß der die Aus—
»esserung anordnende Bauherr mit derjenige ist, welcher auch die
Zicherheitsmaßregeln vornehmen mußz. Besondere Sicherheitsmaß—
regeln, wie Warnungszeichen oder Sperrung des Weges sind bei
eder öffentlichen baulichen Veränderung, namentlich aber beim
Abbruch eines Gebäudes für erforderlich anzusehen und haben die—
elben nicht nur der Baumeister und Bauhandwerker, also der—
enige, welcher den Bau ausführt, sondern auch der Bauherr an—
zuordnen; auch trifft letzteren (mit) die civile Haftbarkeit, welche
aus der kriminellen folgt, falls er diese Pflicht verabsäumt. Wenn
uuch der Verletzte die Gefahr im Allgemeinen gekannt habe, so
olge daraus doch nicht, daß er sich ihrer gerade zur Zeit des
Unfalls bewußt gewesen, und Zweck der Sicherheitsmäßregeln
ei es eben, für die Dauer der Gefahr eine bleibende Mahnung
zu sein. Außerdem sei der Verletzte bei dem Meangel sichtbarer
Vorkehrungen zu dem Schlusse berechtigt gewesen, es sei bei der
Arbeit selbst das zum Schutze Erforderliche vorgesehen, weil weder
der Weg an der gefährdeten Stelle gesperrt, noch Warnungszeichen
aufgestellt gewesen waren. (, Berliner Gerichtszeitung“ vom
30. Juni 1883.)
Schluß folgt.)
Berichte aus verschiedenen Städten.
München. (Ein Beitrag zur Innungsfrage.) Als
Beweis, daß auch unter dem bayrischen Arbeiterstande das Ver—
tändniß für die soziale Frage erwacht sei, mögen die Beschlüsse
dienen, welche in einer von einer Anzahl hiesiger Fachvereine,
darunter jene der Maurer, Zimmerleute, Schreiner, Metallarbeiter
und Maler am 27. April in den Centralsälen abgehaltenen, von
a. 2000 Personen besuchten Bersammlung, gefaßt wurden. Es
am zunächst zur Sprache: die Stellungsnahme der arbei—
enden Klasse zu den Bestrebungen der Innungen, welche
»urch Einschränkung der Produktion die Preise der einzelnen Ar—
tikel erhöhen zu können glauben, dadurch aber lediglich die In—
zustrie im allgemeinen schädigen, indem das Kapital genöthigt
verde, andere Wege aufzusuchen um Zinsen zu gewinnen, ohne
aber der Lage des Arbeiters irgend welche Besserung in Aussicht
zu stellen. Von Seite der Bauhandwerker wurde insbesondere
zeklagt, daß kenntnißlose Bauspekulanten die meisten Unternehmungen
in Händen haben und in allbekannter gewissenlosester Weise auf
die Löhne drücken, insbesondere wird die hierorts leider sehr üb—
liche Frauenarbeit bei Bauten als unmoralisch und verwerflich,
als eine Schande für die heutige Gesellschaft mit vollem Rechte
nezeichnet.
Der Arbeiter kann unter der Aegide der Innungen,
velche noch dazu sehr häufig politische Parteinahmen treiben, und
velche ihn durch Einführung von Arbeitsbüchern, Paßvisa ꝛc.
noralisch niederzudrücken beabfichtigen, sein Heil nicht suchen,
jür ihn besteht die Abhilfe in der Organisation der Arbeiter
in Gewerken nach Muster der Arbeitersyndikatskammern
Frankreichs und der Trades Unions in England.
Durch gewerkliche Organisation könne auch in legislatorischer
Weise ein Druck ausgeübt werden und eine von Hunderttausenden
von Arbeitern an den Reichstag gerichtete Petition um gesetzliche
Normirung eines Minimallohnes und einer Maximalarbeitszeit
werde nicht unbeachtet und erfolglos bleiben; der Anfang einer
olchen Orgauisation liege in dem seit einem Jahre hier gebildeten
Fachvereine, welcher in jeder Beziehung die volle Aufmerksamkeit
ind das Zutrauen des Arbeiters verdienen und wurde zum Beitritt
zu denselben aufgefordert. —
Eine weitere Debatte der Versammlung beschäftigte sich mit
dem Herbergswesen und dem Fremdenverkehr der Neuzeit, und
iachdem über Vagabondage, unzulängliche Arbeitsvermittlung und
auch über den sich hier fuühlbar machenden Nutzen der Fachvereine
zesprochen war, wurde die Gründung einer Zentralherberge
in hiesigem Ort beschlossen und durch sofortige ergebnißreiche
Sammlung für selbe der finanzielle Anfang zur Errichtung der—
elben gemacht.