Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 44, Bd. 3, 1884)

Sin Streifblick auf die Zunftbestrebungen. — Die Grundrißgestaltung der Schulgebäude. 
XI 
Ein Streifblick auf die Zunftbestrebungen. 
So oft man auch einen Gewerbetreibenden nach dem Ge— 
schäftsgang fragen mag, fast ebenso oft wird man hören müssen, 
)aß das Geschäft gerade jetzt nicht gut gehe, und daß dies in den 
und jenen Verhältnissen seinen Grund habe! 
Dieser Grund aber wird immer sehr weit abseits, nie in 
nächster Nähe gesucht werden! Wie Viele wollen nicht die bis— 
serige gewerbliche Gesetzgebung dafür verantwortlich machen, daß 
die Gewerbethätigkeit nicht mehr stille steht, daß sie stetig vorwärts— 
schreitet, daß der Handwerker durch kein Monopol mehr vor der 
Konkurrenz — vor der Konkurrenz der Fabriken — geschützt ist, 
wie ehedem in der paradiesischen Zunftzeit! — Die Behauptungen 
von der guten alten Zeit, dem goldenen Boden und dem verloren— 
zegangenen Paradies, welche das Handwerk einst erlebt haben soll, 
in Wirklichkeit aber wohl nie erlebt hat, sind eitel Wind; denn 
vergleicht man die alten Zunftakten verschiedener deutscher Städte, 
die durch ihre Handwerksthätigkeit berühmt waren, so findet sich 
»on dem Glück und der Zufriedenheit, die man in unserer Zeit 
enen alten Zünften anzudichten beliebt, auch nicht die leiseste 
Spur, — wohl aber fortlaufend Prozesse und Klagen der Zünfte, 
die beim Magistrat und sogar beim Kaiser neue Privilegien für 
das hungernde und nothleidende Handwerk erringen wollten. — 
Wir werden durch diese Akten belehrt, daß Zustände sank— 
iionirt waren, in welchen alle Fachgenossen strengstens darüber 
wachten, daß Keiner einen Bissen mehr erhielt als der Andere, 
ind daß diese gute alte Zunftzeit nichts war, als eine Zeit der 
Anechtschaft; denn der Magistrat knechtete das Handwerk in Person 
»es Obermeisters, dieser alle übrigen Meister und diese wiederum 
die Gesellen und Lehrlinge, welchen nur der eine Trost verblieb, 
daß sie einst — wenn sie jemals Meister würden — es ebenso 
oder noch schlimmer würden machen können. — Neid und Haß, 
Mißgunst und jene Beschränktheit, die jeder Neuerung, jedem 
38 feind ist, fanden ihren geeigneten Boden in der 
Zunft. — 
zelungen wäre, sie wiederzufinden? — Zugegeben, daß die Lehr— 
inge und Gesellen der Zunftzeit besser geschult waren und die 
HYeeister mehr Keuntnisse aufwiesen, als die der Jetzzeit (was immer 
noch zu beweisen wäre), könnte man ernstlich ähnliche Einrichtungen 
zurückwünschen, nach welchen die Grenzen des einzelnen Handwerks 
so enge gezogen waren, daß kein Meister es wagen durfte, sich 
über diese Grenzen hinauszubegeben, ohne der schrecklichen Fuchtel 
des Gesetzes zu verfallen, die ihn wieder in die unerbittliche Zuuft— 
»)rdnung hineinzwängte, etwaige rückfällige Uebertreter aber als 
Rebellen oder Schinder gestäupft und mit Weib und Kind aus der 
Stadt vertreiben konnte!? — 
Die Angehörigen der meisten Gewerbe mußten schon beim 
Fintritt in die Lehre, dann als Geselle und beim Meister- Werden 
zum Handwerk schwören, d. h. sie mußten einen fürchterlichen Eid 
darauf ablegen, daß sie die im Handwerk geübten Techniken und 
etwaige Geschäfts-Vortheile ohne jegliche Ausnahme bei ihrer 
Seele Seligkeit an Niemand, selbst nicht an die leiblichen Eltern 
und Geschwister, verriethen. 
Uebertretungen dieser Zunftsatzungen wurden von den Zänften 
in ebenso schrecklicher als raffinirter Weise geahndet. — 
Daß an manchen Orten einzelne Zunftmeister es durch ihre 
Vettern zu einigem Vermögen und größerem Wohlstand brachten, 
indem sie es beim Magistrat durchsetzten, daß keine weiteren Kon— 
urrenten zugelassen wurden, muß allerdings anerkannt, dagegen 
aber auch hervorgehoben werden, daß das Handwerk im Allgemeinen 
ein fortgesetztes Nothgeschrei nach neuen Privilegien anstellte! 
Welch' glänzende Traditionen der guten alten Zunftzeit!? — 
Wollte man also heute Innungen mit ähnlichen Rechten 
wieder in's Leben rufen, so würde der etwaige Vortheil ebenfalls 
vieder nur Einzelnen zu Gute kommen und das könnte nur durch 
Benachtheiligung Anderer und des Ganzen erkauft werden, was 
iber den einfachen Grundsätzen der Gerechtigkeit ebenso wider— 
präche, wie überhaupt jede Beschränkung, die das Individuum an 
der freien Entwickelung seiner Kräfte hindert. 
Und was endlich die Meisterprüfungen anlangt, so gewähren 
diese, auch wenn sie den heutigen gewerblichen Verhältnissen mög— 
ichst angepaßt würden, weder einen hinlänglichen Antrieb zu 
veiterer allseitiger Ausbildung in einem Gewerbe, noch eine Bürg— 
chaft dafür, daß dieselbe erreicht und der Betreffende sich in dem 
Besitz derjenigen persönlichen Geistes- und Charaktereigenschaften 
»efindet, die ihn befähigen, einer größeren Bauunternehmung selbst- 
tändig vorzustehen. — Der Kampf um das Dasein zwingt schon 
an sich das Individuum dazu, das Gewerbe, das es betreiben 
vill, möglichst allseitig zu erfassen, und daß es in der That an 
üchtigen Kräften nicht fehlt, zeigen am besten die Leistungen 
der Gegenwart. — Jede Prüfung kann doch nur feststellen, 
vas einer einmal geleistet hat, nicht aber, was er im Allgemeinen 
zu leisten pflegt; die beste Prüfung für einen Mann bleibt jeden— 
falls immer das Leben selbst; was also Einer leisten kaun, wird 
— viel besser als aus jeder Prüfuna — aus dem allgemeinen 
Urtheil hervorgehen! — 
Unsere Herren Kunstkritiker, die von ihrem hohen Stand— 
»unkte herab so oft auf das gegenwärtige Haudwerk schimpfen, so 
iel von den verloren gegangenen Techniken und Kunstfertigkeiten 
reden, könnten doch auch endlich einmal anfaungen, die vielen neuen 
Techniken und Gewerbe zu zählen, die zu einem einzigen alten 
dandwerk hinzugekommen sind, und vergleichen, was und wie viel 
gegen früher produzirt wird. — Sie könnten uns auch einmal 
Auskunft geben, war um das Gewerbe in England 
das seit Alters her Gewerbefreiheit besitzt) 
und in Amerika so bedeutende Leistunagen auf— 
zuweisen hat. — 
Wenn auch kein Zünftler die Zustände der alten Innungen 
m Ernst wieder herbeiwünschen dürfte, ein tüchtiges Stück rückwärts 
möchten diese Herren aber trotz alledem gehen; es ist ja auch so 
leicht und bequem, sich gegen das Gute mit Gewalt zu verschließen 
und das Bestehende herabzusetzen! 
Anm. d. Red. Den vorstehenden Artikel, welcher uns aus 
unserem Leserkreise eingesandt ist, empfehlen wir aus vollem Herzen 
de Anfmoörfkfsomfkeit unferer Leser 
Klingt es nicht wie ein Hohn gegen das einfachste Rechts— 
gefühl, wenn man lesen muß, wie intelligenten, ganz ausnehmend 
zjeschickten Arbeitern das Meisterrecht und das Heirathen verweigert 
purden, wie man deren uneheliche Kinder vom Handwerk ausstieß, 
sie dem Elend und womöglich noch durch falsche Denunziation 
»eim Magistrat der Schande preisgab, und das Alles nur aus 
Furcht, daß diese einst zu Ansehen und Macht kommen könnten, 
daß dieser oder jener Fachgenosse Konfurrenz durch diese Leute 
zrleiden könne!? — 
Die einzelnen Handwerkszweige bildeten streng von einander 
zeschiedene Kasten, welche sich im weiteren Verlauf auch durch die 
jußere Kleidung dokumentirten. Es war also kein freier Wille 
der Handwerker, wenn z. B. die Klempner einen braunen Rock 
»hne Tressen und die Bäcker und Müller hellgraue Kleidung 
trugen, es war ihnen dies, ebenso wie der Schnitt der Haare, 
dielmehr genau vorgeschrieben. — 
Im Allgemeinen verbot die Kleiderordnung den Hand— 
werkern, buntfarbige Kleider oder solche von Sammet und Seide 
u tragen. 
Dies mag wohl anch noch der Grund gewesen sein, daß sich 
die Frauen der Handwerker so bescheiden in der Kleidung hielten, 
eine Bescheidenheit, die ihnen in unsrer Zeit immer sehr hoch an— 
gerechnet zu werden pflegt, die ihnen aber sicherlich sehr schwer 
gefallen sein wird. 
Hatte aber diese wohlwollende Gesetzes-Vorschrift nicht den 
zroßen Vortheil, daß man sofort auf den ersten Blick sah, wen 
nan vor sich hatte? und mußte es schließlich nicht noch der 
dandwerker für ein Glück schätzen, daß man ihm nicht das 
Gewerkzeichen auf Wange oder Stirn brannte? 
Es wäre doch jedenfalls für die damaligen „besseren“ Klassen 
ehr vergnüglich gewesen, wenn sie das Handwerk an solchen 
Zeichen auch ohne Paß und Wanderbuch erkannt hätten. 
Ganz besonderer Vorrechte erfreuten sich auch die zünftigen 
dandwerker in den offenen, nicht befestigten Plätzen; denn sie 
jurften auf Treibjagden helfen! 
Wenn sie dabei zu spät kamen oder sonst ihre Schuldigkeit 
nicht thaten, so wurden sie von den Leibjägern durchgepeitscht oder 
mit Hunden gehetzt!? — 
Ob sich wohl unsere Vorfahren, die Handwerker voriger 
Jahrhunderte, über derartige schöne Vorrechte besonders gefreut 
saben mögen? .. 
Haben aber in dieser liebenswürdigen alten Zunftzeit die 
Lehrlinge und Gesellen nicht viel mehr gelernt und die Meister 
nicht mehr gekonnt, und sind sie pekuniaͤr nicht weit besser gestellt 
zewesen, als heute? — und sind nicht so manche Techniken der 
zlücklichen Zünftler verloren gegangen, ohne daß es uns bisher 
Die Grundrißgestaltung der Schulgebäude. 
Illustrirt.) 
Wie alle Arten von öffentlichen Gebäuden, die im Laufe der 
letzten 20 Jahre errichtet worden sind, gegenüber den Ausführungen 
rüherer Zeit ganz wesentliche Veränderungen und Verbesserungen 
owohl in Bezug auf Grundrißgestaltung wie Ausstattung des 
Innern und Aeußern erfahren haben, so sind auch spegziell die 
Fehäude, welche zu Unterrichtszwecken irgend welcher Art bestimmt
	        
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