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Ueber den Hausschwamm.
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Naturwissenschaft und Praxis noch nicht in der wünschenswerthen
Innigkeit angebahnt sei, wo beide neben einander hergehen und
sich nicht befruchten. Er verglich die Naturwissenschaft und die
Industrie mit den beiden Polen einer galvanischen Kette; so lange
zieselben sich nicht berühren, entsteht kein elektrischer Strom; erst
wenn beide in innigsten Kontakt gebracht sind, wird die Kraft
entwickelt, welche den Draht erglühen und das Licht ausstrahlen
äßt. Einer der Punkte, wo ein engerer Kontakt zwischen Wissen—
schaft und Praxis herzustellen sei, bezieht sich auf das Thema,
iber welches er sprechen wolle. Es ist allgemein bekannt, wie
gefährlich der Hausschwamm sei, welchen Schaden er an unseren
GHebäuden anrichtet. Wie groß der Schaden sei, ist leider noch
uicht statistisch festgestellt. Man weiß auch nicht, ob in Breslau,
vie es scheint, die Ausbreitung des Hausschwaumes sich in neuerer
Zeit gesteigert habe. Es ist aber kein Zweifel, daß dem Haus—
chwamm Tausende und Millionen zum Opfer fallen. Thatsache
ssi, daß von Zeit zu Zeit das gesammte Holzwerk, besonders in
ieuen Häusern, vom Hausschwamm zerstört wird. Die Praxis
hat auch Mittel zur Bekäämpfung des Hausschwammes, die manchmal
helfen, manchmal aber auch nicht. Wenn in einem Hause der
dausschwamm wüthet, so wird man gewöhnlich erst aufmerksam,
venn die Balken bereits zerstört sind und dem Gebäude der Ein—
turz droht. Es wird nirgends dafür gesorgt, früher Untersuchungen
anzustellen, wenn die Möglichkeit einer Erstickung des Feindes im
Zeime noch vorhanden ist, und doch ist es nicht schwer, die ersten
Spuren des Hausschwammes zu beobachten. Bemerkt man endlich
den Hausschwamm, so reißt man das zerstörte Holz heraus und
etzt neues ein, ohne gewiß zu sein, ob nicht nach Jahr und Tag
der Schwaum auf's Neue ausbrechen werde. Hier fehlt eben der
nnige Kontakt zwischen Wissenschaft und Praxis. Vielleicht wird
nan schon in wenigen Jahren nicht mehr den Fatalismus be—
zreifen, mit dem die Bauherren die Zerstörung ihres Eigenthums
über sich ergehen ließen, als sei dies Uebel gar nicht abzuwenden.
Es ist aber nothwendig, dort Rath und Hilfe zu suchen, wo sie
allein zu finden ist, nämlich bei der Botanik. Diese ist freilich
heute noch nicht im Stande, einen solchen Rath zu ertheilen, um
die Entstehung des Hausschwammes mit unbedingter Zuverlässigkeit
u verhindern und entstandenen für immer zu beseitigen. Bisher
jat sich von den Botanikern unserer Zeit fast nur der Geheime
Medizinalrath Professor Dr. Göppert mit dieser Frage eingehend
veschäftigt und in öffentlichen Blättern sich meyrsach uͤber dieselbe
iusgesprochen. Die neueste Arbeit über die Lebensgeschichte des
Zausschwammes ist im pflanzenphysiologischen Institut in Breslau
879 entstanden, eine Dissertation von Dr. Schauder, einem Schüler
»es Vortragenden.
Der Hausschwamm ist, wie Redner fortfährt, bekanntlich ein
Schwamm oder Pilz; sein botanischer Name ist Merulius lacry-
mans; den letzteren Beinamen, der thränende, habe er erhalten,
weil er im gewissen Alter Wassertropfen ausschwitzt. Um über
das Leben eines Pilzes eine richtige Vorstellung zu erwecken,
möchte er dasselbe mit der Entwickelung eines Schmetterlings ver—
zleichen. Jeder Pilz, jeder Schwamm hat, wie der Schmetterling,
zwei Zustände zu durchleben. Der erste Zustand ist der des
Mycels, in welchem der Pilz eine kolossale Masse organischer
Nahrung zu sich nimmt und verdaut, in ähnlicher Weise, wie das
einzige Geschäft der Raupen das Fressen des Laubes ist. Dadurch
wächst der Schwamm rasch; er stellt in diesem Zustande ein feines
Fadengespinnst dar, das über oder in der Nahrung sich ausbreitet
und gewöhnlich als Schimmel bezeichnet wird, oder es bildet
vurzelartig verzweigte Stränge, die man als Rhizomorphen be—
zeichnet. Von seiuer Nahrung verzehrt der Schwamm indeß nicht
alles, sondern läßt gewisse Bestandtheile als für ihn unverdaulich
ibrig. Das Uebriggebliebene aber vermodert und zersetzt sich, und
dadurch werden die Pilze so gefährlich; da sie selbst lebende Pflanzen,
Thiere und Menschen zur Beute wählen, richten sie unermeßlichen
Schaden an, indem sie Epidemien erzeugen. Es kommt dann eine
Zeit, wo der Pilz aufhört zu fressen und sich verwandelt, ebenso
wie die fressende Raupe sich in den Schmetterling verwandelt, der
wenig oder gar keine Nahrung aufnimmt, dessen einziges Geschäft
die Fortpflanzung ist. Dieser zweite Zustand ist der des Frucht—⸗
körpers oder der Frucht. Im Zustaände der Frucht erzeugt der
Pilz unzählbare staubfeine Eierchen oder Sporen, die er in der
Luft ausstreut.
Auch der Hausschwamm in seinem Larven- oder Mycel⸗
zustande gleicht einem feinen Gespinnst, ähnlich einem Spinngewebe.
Er überspinnt mit seinem Mycel das Holz, die Balken und die
Bohlen, die letzteren nur auf ihrer, dem Licht entzogenen Unter—
eite. Es läßt sich unter dem, Mikroskop nachweisen, daß der
Hausschwamm das Holz auszehrt und gewissermaßen verdaut,
indem das Mycel, welches die Balken überspinnt, gewisse Bestand⸗
cheile derselben aussaugt und aus dieser Nahrung sein Gewebe
veiter spinnt. Tadurch verliert das HPolz an Substanz, es schwindet
ind bekommt Risse an seiner Obeiflache, die von außen nach
nnen verlaufen. Durch diese dringt das Mycel immer liefer eiü
ind verzehrt allmälig den ganzen Balken. Nur das für den Pilz
Inverdauliche läßt er übrig; der Rückstand des Holzes gleicht
iner braunen, brüchigen Kohle, welche weit leichter nuud minder
oluminös, natütlich auch zu jedem technischen Zweck unbrauchbar
st, da sie bei jeder Erschütterung in Pulver zerbröckelt. Der
dausschwamm,ist übrigens nicht der einzige Pilz, der sich von
dolz nährt. Es giebt viele Pilze, die ganz denselbeu verderblichen
kinfluß üben. Mancher Baum, der äußerlich noch gesund erscheint,
st, inwendig verrottet und vermodert, weil das Mycel von
Schwämmen, das von Außen an verletzten Stellen, abgebrochenen
lesten ꝛc. eingedrungen, den Holzkörper ausgesaugt und nur eine
»raune kohlige Masse zurückgelassen hat; man bezeichnet das als
sothfäule des Holzes; den Pilz erkennt man erst, wenn seine hut—
örmigen Fruchtkörper aus der Rinde aus Licht dringen. Aber
»ie Schwämme, welche die Bäume in unseren Gärten und Wäldern
infallen, tödten und verrotten, sind ganz andere Arten als der
dausschwamm. Vom Mycel des Hausschwamms giebt ein Prä—
Jarat die deutlichste Vorstellung, das von einem zwischen zwei
Blasplatten oder zwischen Papier hineingewachsenen Exemplar ge—
nildet ist; man sieht dann schon mit bloßem Auge das strahlig fich
iusbreitende und durch reiche Verzweigungen verflochtene, seiden—
lünzende, weißliche, silbergraue, auch lederfarbige oder violett
ingelaufene Gespinnst seiner Fäden. Sobald der Hausschwamm
eine Holzpartie ausgesaugt, was sich durch Verrottung und voll⸗
tändiges Trockenwerden kenntlich macht, so sucht er nach neuer
Nahrung, nach frischem Holz; bei dieser Aufspürung von neuer
Beute hat er die merkwürdige Fähigkeit, in die Mauer hineinzu—
vachsen, in den Poren der Ziegel und des Mörtels seine wurzel—
artigen Stränge, die Rhizomorphenform, aus der Tiefe in die
Zöhe fortkriechen zu lassen. Allerdings muß die Mauer feucht
ein; dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Fundamenie
auf einem feuchten und an organischen Verwesungsprodukten
eichen Boden ruhen; dann steigt durch Capillarität ein ammo—
niakreiches Wasser in der Mauer empor, welches in Verbindung
nit dem Kalk salpetersauren Kalk erzeugt und dem Schwammmyceil
jünstigen Nährstoff darbietet. So wächst das Mycel aus dem
zeller in das Parterre und in die höheren Stockwerke bis zum
dache. Aus der Mauer springt es dann über in die oberen
Zalkenlagen und in die Bohlen der Dielen, auch wohl in die
Bretter der Schränke und anderer Möbel. die an die Wände
gerückt sind.
Später tritt der zweite Zustand ein, in welchem der Pilz
ich fortpflanzt. Während das Meycel im Verborgenen kriecht und
eine Beute aufzehrt, dringt der Pilz, sobald er zur Fortpflanzung
ommt, an die Luft. In diesem zweiten Zustande seines Lebens
nimmt er die Gestalt des Fruchtkörpers an. Das Mycel ver—
ichtet sich zu kreisförmigen dicken Polstern, die sehr saftig, ge—
vöhnlich in der Decke finsterer Alkoven und ähnlicher geschlossener,
euchter Räume hervorbrechen und deren Oberfläche meistens nach
inten gerichtet, ein Netz zimmtbraun gefärbter Runzeln bilden.
Von dem braunen Polster wird überaus reichlich ein gleichfarbiger
Ztaub abgestoßen, der den Fußboden mit dicker Schicht bedeckt.
dies sind die staubfeinen Eierchen oder Sporen des Hausschwammes.
die Zahl der Sporen ist unglaublich groß und die Sporen selbst
ehr klein; tausend neben einander in eine Reihe gelegt, nehmen
inen Centimeter ein; auf dem Deckel eines mäßig großen Buches
saben nahezu fünf Milliarden Sporen Platz. Mit der Sporen—
lusstreuung gehen zwar die Fruchtkörper ein, aber der ganze
Zausschwamm stirbt nicht ab, sondern das Pencel areift im Ver—
jorgenen weiter um sich.
Auf die Frage übergehend, wie man die Einschleppung des
Pilzes in die Häuser verhüten, bezw. wie man der Weiterver—
zreitung des eingeschleppten Pilzes entgegentreten könne, führte
Redner aus, daß der Pilz einzig und allein aus seinen Sporen
»der aus seinem Mycel entsteht, nicht wie Viele noch meinen, von
elbst aus verrottetem Holze oder aus dem modrigen Boden. Woher
iber in jedem einzelnen Falle die Keime des Hausschwammes
tammen, welche die Ansteckung in das Holzwerk bringen, darauf
ann die Wissenfchaft leider in der Regel keine befriedigende Ant—
vort geben. Die Sporen erfüllen die Luft als Staub, sie könnten
o schͤn am Bauholz haften oder mit dem Schutt in das Haus
jereingebracht sein. Möglicherweise wird das Holz oft schon auf
zjem Bauhof von dem Mycel des Hausschwammes angesteckt; wie
n einer Epidemie könnte sich dieses Uebel aus einem Herde in
ille Orte verbreiten, die ihr Bauholz von dort beziehen. Auch
iuf die Frage, woher der Hausschwamm stamme, wo seine eigent⸗
iche Heimath sei, kann man noch keine bestimmte Antwort geben.
Kewiß ist, daß er bis jetzt noch niemals im Walde oder an