Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 45, Bd. 4, 1885)

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Wie man in Thüringen baut. — Gutachten, betreffend den Schuß der Personen in öffentlichen Versammlungsräumen. 294 
Wie man in Thüringen baut. 
ESchluß.) 
dienst reicht nur eben noch zur Bestreitung der nothwendigsten 
Lebensbedürfnisse; das Haus, weil leicht gebaut, der Reparatur 
)ringend bedürftig, muß gegen den hungrigen Magen zurückstehen. 
Allmählich geht es seinem Verfall entgegen; der Fußboöden, dünne 
dolzbretterchen oder Estrich, sind von den vielfachen Anstrengungen 
eder Art, denen sie ausgesetzt waren, fast aufgezehrt, der nackte 
Erdboden bleibt übrig, die Fensterscheiben sind zertrüummert und 
nüssen sich mit einem Papierpflaster begnügen, oder ein alter 
Lappen tritt als Vorhang au ihre Stelle, die Thüren verlieren 
hren Halt, das Gebäude versackt, das Dach wird schief und un— 
zicht. Solcher Häuser hat Verfasser dieses hier in übergroßer 
Zahl gesehen. Dazu kommt dann häufig, daß der Hofraum, auf 
in Minimum reduzirt, mit Schweineställen besetzt, mehr einer 
Jauchegrube gleicht, denn einem Hof, der Licht und Luft ge 
währen soll. 
Die Bewohner dieser Häuser werden durch ihre elende Um— 
jebung selbst elend, ihr ursprünglich guter Wille steht machtlos 
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dinder, im Schmutz aufgewachsen, gewinnen keinen sittlichen Halt. 
die Zahl der Proletarier wächst unaufhaltsam. 
Das sind hier in zahlreichen Fällen die Nachtheile, welche ein 
eigenes Haus den kleinen Leuten bringt, die nicht die moralische 
sraft haben, im eigenen Hause sich selbst zu beaufsichtigen. 
Will man daher den Arbeitern und kleinen Leuten eigene 
däuser geben, so sorge man auch für regelmäßige Ueberwachung 
ind vor allem für stete bauliche Instandhaltung derselben, anderen 
Falls wird das eigene Haus vielfach zur Ursache für den Ruin 
der Bewohner. 
Mühlhausen i, Th. im April 1885. 
Ad. Kelm 
Eine billige und zugleich empfehlenswerthe Konstruktion ist 
die der Dachfußböden, die meist aus einem Sparkalkestrich bestehen. 
Man stellt sie folgendermaßen her: 
Die selbstverständlich nicht zu schwache Balkenlage wird 
bis zur Balkengleiche und noch etwa 152 cm darüber mit Lehm 
beschüttet, der, tüchtig geschlagen, eine vollständig ebene Fläche bilden 
muß. Auf diesen Lehmschlag wird dann der Sparkalkestrich in 
25—3 cm Stärke gegossen und nachdem die Masse einigermaßen 
erhärtet ist, 2—3 mal kräftig geschlagen und endlich glatt abge— 
rieben. Ein derartiger Estrich giebt einen völlig wasserdichten 
Fußboden und eine fugenfreie, für viele Zwecke sehr zweckmäßige 
Fläche. Man gebraucht etwa 0,8 Ctr. Spärkalk pro 1qm Estrich, 
dessen Kosten sich auf etwa 0,7 Mi. stellen. Uebrigens wird der— 
selbe hier nicht nur für Dachböden, sondern fast ebenso oft als 
Zimmerfußboden in den Wohnungen ärmerer Leute angewendet. 
Wo Holzfußböden zur Verwendung kommen, werden die Lager— 
hölzer dazu nach althergebrachter Gewohnheit noch heute ziemlich 
allgemein vollständig in Sand, Asche oder Schlacken gebettet. Die 
Bedeutung der hohlen Lage der Zimmerfußböden wird kaum ver— 
standen, oder aber mit dem höchst trivialen Gegengrunde abge— 
wiesen, daß ja in dem hohlen Raum die Mäuse willkommene 
Schlupfwinkel fänden, als ob nicht auch bei der meist gewählten 
Schlackenunterbettung Schlupfwinkel genug für Mäuse und anderees 
Ungeziefer blieben! — 
Zur Dachdeckung wurden bisher fast ausschließlich Pfannen 
verwendet, die, mit Kalk verstrichen, häufig genug undicht werden, 
aber sonst eine ziemlich lange Dauer haben und verhältnißmäßig 
billig sind. In neuester Zeit verwendet man dagegen mit Vor— 
liebe die sogenannten Ludwigshafener Doppeljalzziegel, ein Fabrikat, 
das volle Anerkennnng verdient. Am besten auf Dachflächen von 
/z bis 1,, Neigung verlegt, sind die Kosten dieser Dächer mit 
1,8 -2 M. incl. Latten und aller Materialien äußerst geringe 
und bleibt ihre Anwendung zugleich wegen des sehr geringen Ge— 
wichtes gegenüber dem anderer Ziegelpächer sehr zu empfehlen. 
An der dem Wetter hauptsächlich ausgesetzten Seite des Gebäudes, 
nicht selten jedoch auch an anderen Seiten, findet man zum Schutz 
des Lehmüberzuges eine Bekleidung der äußeren Wandflächen mit 
Schiefer, Dachziegeln (Pfannen oder Biberichwänzen), verzinkten 
Eisenplättchen oder Brettern. 
Wenn man nach vorstehender Schilderung der Thüringer 
Bauweise geneigt ist, zu glauben, die mit Lehm geputzten Fach— 
werksbauten müßten einen recht nichtssagenden, nüchternen Anblick 
gewähren, so würde man doch sehr irren. Die Häuser, auch die 
einfachsten, werden vielmehr mit so reichen Gliederungen versehen, 
daß man etwas ganz anderes dahinter vermuthet. 
Gesimse, Fensterfaschen, Verdachungen, Quaderungen, Pilaster, 
Konsolen, Zehnschnitte, kurz: alle erdenklichen Verzierungen kommen 
dei besseren Häusern in reichsten Maße zur Anwendung, freilich 
aur aus schlichtem, leicht vergänglichem Tannenholz, seltener aus 
Eichenholz, immer aber mit Sandsteinfarbe so täuschend gestrichen, 
daß man wirkliche Werksteingliederungen vor sich zu haben meint 
und sich über den Reichthum der Formen verwundert. 
Erfreulicher als diese Scheinarchitektur sind die oft schönen 
und reizvollen gestochenen Ornamente bei den im Holzwerk unver— 
putzten Fachwänden, die nach meist mittelalterlichen Vorbildern 
ausgeführt, die langen Reihen ühertünchter Häuser angenehm 
unterbrechen. 
Bei der, abgesehen von der überflüssigen Dekoration, nach 
Vorstehendem ziemlich billigen Herstellungsweise der Wohnhäuser 
wird es erklärlich, daß auch die ärmsten Leute verhältnißmäßig 
leicht dazu kommen, sich ein eigenes Haus zu erbauen. 
Man könnte hiernach der Freude darüber Ausdruck geben, 
daß hier das Streben, dem kleinen Mann und Arbeiter die Moͤglich— 
keit zu gewähren, sich ein eigenes Haus zu erwerben, schon erreicht 
sei, indessen hat die Sache auch eine andere, bisher noch wenig 
heachtete, hier aber auch besonders unangenehm hervortretende 
Schattenseite. 
Junge Leute, die einen eigenen Hausstand gründen wollen 
und entweder durch Erbtheil oder Ersparnisse einige hundert Mark 
zusammengebracht haben, erwerben leichten Kaufes in der Um— 
gebung der Stadt ein kleines, gewöhnlich sehr schmales Grundstück 
und bauen ein Haus, richtiger eine Lehmbude, mit dürftiger Aus— 
stattung. Sie wohnen nun also mieihfrei und haben höchstens 
einige —8 von 20—30 Mark pro Jahr zu bezahlen; der Ver— 
dienst ist überall ein ziemlich geringer, indessen ausreichend, wenn 
Mann und Frau gleich thätig und fleißig sind. Wird die Familie 
größer, dadurch die Frau im Hause unentbehrlich, und die Einnahmen 
geringer, so ist schon äußerfse Svarsamkeit erforderlich, der Ver— 
Gutachten, betreffend den Schutz der Personen 
in öffentlichen Persammlungsräumen. 
Erstattet von einer Kommission des Architektenvereins zu Berlin.*) 
Unter öffentlichen Versammlungsräumen sind im Sinne des 
nachstehenden Gutachtens Lokale zu verstehen, in welchen sich Per— 
'onen in solcher Anzahl versammeln können, daß sie stehend oder 
itzend dieselben fast vollständig einnehmen. 
Enthalten Räume, wie z. B. Museen, Ausstellungsgebäude, 
Berkaufshallen, feststehende Gegenstände oder Einrichtungen, welche 
einen größeren Theil der Bodenfläche in Anspruch nehmen und 
von der Besetzung durch Menschen ausschließen, so lassen sich ge— 
meinsame Normen zum Schutz der darin sich aufhaltenden Per— 
onen nicht aufstellen, weil die Raumvertheilung nach Zweck und 
Benutzungsweise dann eine sehr verschiedenartige ist. Es werden, 
venn besondere Maaßnahmen Seitens des Baumeisters hierfür 
iberhaupt noch erforderlich sind, erheblich geringere Anforderungen 
gestellt werden können, welche indessen in jedem einzelnen Fall be— 
onderer Erwägung und Fortsetzung bedürfen. 
Die zum Schutze der Personen in eigentlichen Versammlungs— 
äumen erforderlichen Maaßregeln haben nicht nur die ausreichende 
Tragfähigkeit und Feuersicherheit der Konstruktionen und der in— 
ieren Einrichtung für die besonderen Verhältnisse solcher Lokale, 
ondern ganz besonders auch die für eine schnelle Räumung der— 
elben nothwendigen Anordnungen zu berüchsichtigen. 
Hinsichtlich der Tragfähigkeit sind die sonst geltenden bau— 
echnischen Grundsätze unter Voraussetzung der größten, durch 
Heenschengedränge überhaupt erreichbaren Belastung für alle dem 
Publikum zugänglichen Räume und unter Annahme beweglicher 
Rutzlasten in Auwendung zu bringen. Für das Quadratmeter 
Bodeufläche ist die Belastung durch Menschen auf 6 erwachsene 
Personen zu je 75 kg Gewicht, also auf 4500 kg zu rechnen. In 
Räumen mit festen Sitzen ist anzunehmen, daß alle Gänge und 
Winkel, überhaupt alle durch Sitze nicht beanspruchten Boden— 
lächen durch stehende Personen in dieser Weise besetzt sind. Für 
Räume, in welchen keine festen Sitze oder unbewegliche Schranken 
ingebrächt sind, muß durchweg eine ebenso starke Belastung in 
Ansatz gebracht werden. Dasselbe ailt von Trevven. Gängen, Ror— 
äumen u. s. w. 
Die Brüstungen und Geländer müssen einen seitlichen Druck 
von dem Gewichte einer doppelten Menschenreihe Widerstand leisten 
önnen, so daß etwa 6 Personen oder ein Druck von 450 kg auf 
das laufende Meter zu rechnen sind. Die Höhe solcher Brüstungen 
vwvird bis 1mm betragen müssen, wo starkes Gedraͤnge sich bewe— 
gender Menschenmassen von denselben zu erwarten ist. 
Für die Feuersicherheit der baulichen Anlagen muß in den 
») Der Architektenverein hat, wie wir deim „Wochenblatt für Bau— 
tunde“ entnehmen, sich in seiner Sitzung vonm 20. April mit dem Inhalt des 
dutachtens im Groken und Ganzen einverstanden erklärt
	        

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