Berichte aus Städten. — Entscheid ungen.
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Kann nun ein Bogen' als Balkenträger funktioniren, so
kann er nach dem Gesagten nicht die richtige Form haben, denn
wenn er die statisch richtige Form hätte, so könnten keine Zug—
spannungen vorhanden sein. Soll ein gewölbter Bogen als
Balkenträger funktioniren, so muß das Material, aus dem er
besteht, eine gewisse Zugfestigkeit besitzen. Die Zugfestigkeit von
Portlandcement beträgt etwa zehn kg pro qcin. Die des Luft—
mörtels ist oft nach zehn Tagen noch gleich Null.
Bei ganz flachen Bögen läßt sich die Wirkung als Balken—
träger wohl erklären. Größere Schwierigkeiten ergeben sich bei
stärkerer Ktümmung. Allein ganz unmöglich ist sie auch hier nicht.
Redner erwähnt eines Bogens an einer Ruine, dessen Wider—
lager abgebrochen waren und welcher frei auf der Unterlage stand.
Wie ist ein solcher Bogen ohne Widerstand möglich? Es gehört
nur der mittlere Theil zum Tragebogen, während die unteren
Schenkel als Widerlager betrachtet werden können. Denkt man
sich nun den Bogen ersetzt durch zwei Reihen von Massen—
punkten und die obere Reihe durch Stäbe verbunden, so werden
diese auf Druck beansprucht und in den Auflagerpunkten wird
ein schiefgerichteter Druck erzeugt, welcher in eine horizontale
und eine vertikale Komponente zerlegt werden kann. Gegen
letztere ist nach der Voraussetzung kein äußerer Widerstand vor—
handen, er wird vielmehr erzeugt durch die Zugfestigkeit der
unteren Punktreihe. Man hat also zwei Polygone, ein oberes,
welches auf Druck, und ein unteres, welches auf Zug beansprucht
wird. Damit aber letzteres nicht in die Horizontale übergeht,
muß es mit ersterem durch Zugstangen verbunden sein, deren
Funktion im vorliegenden Falle durch die Festigkeit des Materiales
ausgeübt werden muß. Das Kräftespiel ist ähnlich, wie bei einem
Sichelträger.
Die Möglichkeit, daß ein Gewölbe als Balken wirkt, ist
vorhanden, wird aber äußerst felten zur Wirklichkeit werden. Es
kommt nämlich auch die Elasticität des Mauerwerkes in Betracht.
— Wenn ein elastischer Mauerbogen belastet wird, so tritt eine
elastische Formänderung ein, welche beim Bogen immier in einer
Verringerung der Pfeilhöhe und einer Vergrößerung der Spann—
weite besteht, wodurch immer ein Schub auf die Widerlager
erzeugt wird. Alle stark belasteten Betongewölbe sind Bögen,
keine Balken.
Ein Bogen ohne Seitenschub ist also nicht ganz unmoͤglich,
aber eine solche Konstruktion kann nicht als Muster betrachtet
werden und bleibt immer ein Kuriosum.
Kunste und Kunstgewerbe-Ausstellung in
München 18388. In Verbindung mit der Kunst-Ausstellung
des Jahres 1888 wird in München gleichzeitig eine deutsche
Kunstgewerbe-Ausstellung abgehalten werden, für welche Emanuel
Seidl die am neuen Isarquai zu errichtenden Baulichkeiten
bereits entworfen hat. Das Ausstellungs-Gebäude umfaßt bei
einer Gesammtlänge von 400 im zwei Hauptbauten von je 65 m
im Quadrat, die Eingangshalle am Mariannenplatz, einen zweiten
Eingang an der Zweibrücker Straße, sowie größere Verbindungs—
bauften von 70 — 100 im Längenausdehnung, die durch Nischen,
Bassins, vorgelegte Terrassen ꝛc. künstlerisch ausgebildet werden.
Die Höhenentwickelung der Hauptbauten steigt bis zu rund 70 m,
die des Thurmaufbanes an dem Mariannenplatz aber bis zu
130 m. Die ganze Architektur hat einen leichten, gefälligen,
hallenartigen Charakter, der sich der landschaftlichen Umgebung
und dem reizvollen Hintergrunde vortrefflich anpaßt. Die Ge—
sammtfläche des Ausstellungs-Gebietes umfaßt links der Isar
29 770 qum, rechts 4970 qmm, zusammen rund 35 000 qum, wo—
von 15 000 auf bebaute Flächen, 20 000 auf Promenaden, Er—
frischungsanlagen und Betriebsstätten entfallen. (Zum Vergleich
sei hier angefuͤhrt, daß der Glaspalast 11500 quu hat, und daß
der botanische Garten, ausschließlich des Palastes, 27 600 qm
hält, zusammen also nur wenig mehr, nämlich 39 100 qm.) —
Der erste Präsident der Ausstellung ist Architekt Lange in
München, Direktor der königl. Kunstgewerbeschule, der zweite
ist Bürgermeister Pr. von Widenmayer, der dritte Professor
C. Seitz. Die Dauer ist vom Mai 1888 bis zum Oktober
desselben Jahres bemessen.
den Vorwürfen, die sie sich von technischen Fachleuten bat sagen
lassen müssen, jetzt auch die Kritik eines Hpgienikers von Ruf
gefallen lafsen. Die neue Bauordnung macht in Hinsicht auf
die Baubestimmungen keinen Unterschied zwischen den Gebäuden
in der Stadt Berlin im engeren Sinne und denjenigen in den
Außenbezirken und Vororten. In dieser mangelnden Unter—
cheidung sieht Prof. Baumeister in Karlsruhe einen bedeutsamen
Febler in hygienischer Rücksicht „Man hat,“ so führt Professor
Baumeister in dem Oktoberhefte der „Deutschen Vierteljahrsschr.
ür öffentlicher Gesfundheitspflege“ aus, „die Gelegenheit vollig
»erschmäht, außerhalb des schon angebauten Stadtkreises auch
Bezirke von abweichendem Charakter vorzusehen, in der Außen—
zone z. B. die Anzahl der Geschosse zu beschränken (von füuf
auf vier und drei) den Lichteinfall an der Hinterfeite durchweg
uf 45 Grad anzusetzen, die Bauweise mit Zwischenräumen ein—
zuführen (nach dem Muster von Wiesbaden und Erfurt), Familien—
häuser gegenüber Miethskasernen zu begünstigen, einzelne Bezirke
»on gewerblichen Belästigungen frei zu halten, andererseits für
Hesimse, Balkons, Veranden u. dergl. Erleichterungen zu ge—
vähren, den Fachwerksbau unter angemessenen Bedingungen zu—
ulassen ꝛc. Auf diese Weise wäre allmählich für Reich und Arm
ein Kranz von erfreulichen Wohnbezirken entstanden, welche jetzt
in Berlin verhältnißmäßig seltener und erst in größeren Ent—
ernungen zu finden sind, als in allen anderen deutschen Städten.
Nun wird eben die Miethskaserne, auf welche die ganze Bau—
»rdnung zugeschnitten ist, die übliche Wohnform für die Mehr—
gahl der Bevölkerung bleiben, sie wird sich stets weiter hinaus
ortpflanzen und selbst in den Vororten festsetzen. So steigen
denn auch neuerdings wieder die Bodenpreise im Innern wie in
der Umgebung. Auf Familienhäuser für den Mittelstand, auf
—VVVD00
Sharakter ist in der Nähe der Stadt kaum noch zu rechnen.“
lus scheint, als ob der Karlsruher Professor mit seinen Aus—
tellungen in der That einen wunden Punkt der Bauordnung
getroffen habe, der bisher in Berlin noch nicht bemerkt worden ist.
Berlin. Zu dem Zwecke, Kanalwässer mit Hilfe der
Elektrizität zu entfernen, ist in Moabit eine internationale
Kanalisations-Gesellschaft in's Leben gerufen worden, die dem—
nächst, wie wir hören, in Küstrin ihre ersten praktischen Ver—
uche machen wird. Das System, nach dem die Gesellschaft
arbeiten wird, ist das Shone'sche. Die einzelnen Theile einer
Stadt entwässern nach bestimmten Punkten hin. Dort wird
das Wasser durch Ejektoren gehoben, die durch Druckluft in Be—
wegung gesetzt werden. In gleicher Weise also will die Kanal⸗
gesellschaft ihren Betrieb einrichten. Nur wird sie die Druck—
uft durch den elektrischen Strom ersetzen. Dieser wird von
einer Centralstation aus durch Kabelleitungen zu den Dynamo—
Maschinen übergeführt, die in den einzelnen Pumpstationen thätig
iind. Die Ueberführung des elektrischen Stromes erfolgt, sobald
der Brunnenschacht, nachdem er bis auf eine gewisse Höhe gefüllt
st, selbitthätig ein Zeichen nach der Centralstation gegeben hat.
In gleicher Weise tritt die Abstellung des Stromes ein. Wie die
Unternehmer berechnet haben, sell die Anwendung des elektrischen
Stromes weit billiger, als die der Druckluft, sich stellen, weil
die Einrichtung und Unterhaltung der Kabelleitung viel weniger
Kosten verursachen würde, als die der Rohrleitung. Die Gesell—
chaft hat die Ausführung der bezüglichen Anlagen der Firma
Siemens &eHalske übertragen, die jetzt bereits eine Anlage
leineren Maaßstabes anfertigen läßt.
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Entscheidungen.
Wegen fahrlässiger Brandstiftung wurde ein Baumeister angeklagt,
weil in einem Gebäulde, welches vor länger als zebn Jahren ven ibhm
gebaut worden, Feuer eutstanden war, und als Uriache desselben er—
nüttelt wurde, daß ein Balken zu nabe an ein Rauchrohr, gelegt worden
war. Der Angeklagte erkannte auch die Richtigkeit dieser Thatsache
in, behauptete aber, daß er nicht bestraft, werden könne, weil die
Sirafverfelgung wegen fahrlässiger Brandstiftung in fünf Jahren ver—
ühre. Dieie Änsicht ist vom Gerichtsbef für, richtig ancrkannt und
der Angeklagte deshalb unter folgender Begründung freigesprechen
Die zur Anklage gestellte Handlung, deren Verfolgung in fünf Jahren
derjäurt, war, wenn auch nicht mit der feblerbaften Legung des Balkens,
so doch jedenfalls mit der Vellendung und Abnahme des zur Wohnung
on Menschen dienenden Haufes, die vor wenigstens zehn Jahren er—
colgt ist, begangen. Denn mit diesem Zeitmemente war die Gefahr
der Entfstebung dines Brandes gegeben, welcher die Gesundbeit und
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Berichte aus Städten.
Berlin. Die neue Bauordnung, welche schon soviel von
Herufenen und Unberufenen getadelt worden ist. muß sich nach