Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 47, Bd. 6, 1887)

Berichte aus Städten. — Entscheid ungen. 
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Kann nun ein Bogen' als Balkenträger funktioniren, so 
kann er nach dem Gesagten nicht die richtige Form haben, denn 
wenn er die statisch richtige Form hätte, so könnten keine Zug— 
spannungen vorhanden sein. Soll ein gewölbter Bogen als 
Balkenträger funktioniren, so muß das Material, aus dem er 
besteht, eine gewisse Zugfestigkeit besitzen. Die Zugfestigkeit von 
Portlandcement beträgt etwa zehn kg pro qcin. Die des Luft— 
mörtels ist oft nach zehn Tagen noch gleich Null. 
Bei ganz flachen Bögen läßt sich die Wirkung als Balken— 
träger wohl erklären. Größere Schwierigkeiten ergeben sich bei 
stärkerer Ktümmung. Allein ganz unmöglich ist sie auch hier nicht. 
Redner erwähnt eines Bogens an einer Ruine, dessen Wider— 
lager abgebrochen waren und welcher frei auf der Unterlage stand. 
Wie ist ein solcher Bogen ohne Widerstand möglich? Es gehört 
nur der mittlere Theil zum Tragebogen, während die unteren 
Schenkel als Widerlager betrachtet werden können. Denkt man 
sich nun den Bogen ersetzt durch zwei Reihen von Massen— 
punkten und die obere Reihe durch Stäbe verbunden, so werden 
diese auf Druck beansprucht und in den Auflagerpunkten wird 
ein schiefgerichteter Druck erzeugt, welcher in eine horizontale 
und eine vertikale Komponente zerlegt werden kann. Gegen 
letztere ist nach der Voraussetzung kein äußerer Widerstand vor— 
handen, er wird vielmehr erzeugt durch die Zugfestigkeit der 
unteren Punktreihe. Man hat also zwei Polygone, ein oberes, 
welches auf Druck, und ein unteres, welches auf Zug beansprucht 
wird. Damit aber letzteres nicht in die Horizontale übergeht, 
muß es mit ersterem durch Zugstangen verbunden sein, deren 
Funktion im vorliegenden Falle durch die Festigkeit des Materiales 
ausgeübt werden muß. Das Kräftespiel ist ähnlich, wie bei einem 
Sichelträger. 
Die Möglichkeit, daß ein Gewölbe als Balken wirkt, ist 
vorhanden, wird aber äußerst felten zur Wirklichkeit werden. Es 
kommt nämlich auch die Elasticität des Mauerwerkes in Betracht. 
— Wenn ein elastischer Mauerbogen belastet wird, so tritt eine 
elastische Formänderung ein, welche beim Bogen immier in einer 
Verringerung der Pfeilhöhe und einer Vergrößerung der Spann— 
weite besteht, wodurch immer ein Schub auf die Widerlager 
erzeugt wird. Alle stark belasteten Betongewölbe sind Bögen, 
keine Balken. 
Ein Bogen ohne Seitenschub ist also nicht ganz unmoͤglich, 
aber eine solche Konstruktion kann nicht als Muster betrachtet 
werden und bleibt immer ein Kuriosum. 
Kunste und Kunstgewerbe-Ausstellung in 
München 18388. In Verbindung mit der Kunst-Ausstellung 
des Jahres 1888 wird in München gleichzeitig eine deutsche 
Kunstgewerbe-Ausstellung abgehalten werden, für welche Emanuel 
Seidl die am neuen Isarquai zu errichtenden Baulichkeiten 
bereits entworfen hat. Das Ausstellungs-Gebäude umfaßt bei 
einer Gesammtlänge von 400 im zwei Hauptbauten von je 65 m 
im Quadrat, die Eingangshalle am Mariannenplatz, einen zweiten 
Eingang an der Zweibrücker Straße, sowie größere Verbindungs— 
bauften von 70 — 100 im Längenausdehnung, die durch Nischen, 
Bassins, vorgelegte Terrassen ꝛc. künstlerisch ausgebildet werden. 
Die Höhenentwickelung der Hauptbauten steigt bis zu rund 70 m, 
die des Thurmaufbanes an dem Mariannenplatz aber bis zu 
130 m. Die ganze Architektur hat einen leichten, gefälligen, 
hallenartigen Charakter, der sich der landschaftlichen Umgebung 
und dem reizvollen Hintergrunde vortrefflich anpaßt. Die Ge— 
sammtfläche des Ausstellungs-Gebietes umfaßt links der Isar 
29 770 qum, rechts 4970 qmm, zusammen rund 35 000 qum, wo— 
von 15 000 auf bebaute Flächen, 20 000 auf Promenaden, Er— 
frischungsanlagen und Betriebsstätten entfallen. (Zum Vergleich 
sei hier angefuͤhrt, daß der Glaspalast 11500 quu hat, und daß 
der botanische Garten, ausschließlich des Palastes, 27 600 qm 
hält, zusammen also nur wenig mehr, nämlich 39 100 qm.) — 
Der erste Präsident der Ausstellung ist Architekt Lange in 
München, Direktor der königl. Kunstgewerbeschule, der zweite 
ist Bürgermeister Pr. von Widenmayer, der dritte Professor 
C. Seitz. Die Dauer ist vom Mai 1888 bis zum Oktober 
desselben Jahres bemessen. 
den Vorwürfen, die sie sich von technischen Fachleuten bat sagen 
lassen müssen, jetzt auch die Kritik eines Hpgienikers von Ruf 
gefallen lafsen. Die neue Bauordnung macht in Hinsicht auf 
die Baubestimmungen keinen Unterschied zwischen den Gebäuden 
in der Stadt Berlin im engeren Sinne und denjenigen in den 
Außenbezirken und Vororten. In dieser mangelnden Unter— 
cheidung sieht Prof. Baumeister in Karlsruhe einen bedeutsamen 
Febler in hygienischer Rücksicht „Man hat,“ so führt Professor 
Baumeister in dem Oktoberhefte der „Deutschen Vierteljahrsschr. 
ür öffentlicher Gesfundheitspflege“ aus, „die Gelegenheit vollig 
»erschmäht, außerhalb des schon angebauten Stadtkreises auch 
Bezirke von abweichendem Charakter vorzusehen, in der Außen— 
zone z. B. die Anzahl der Geschosse zu beschränken (von füuf 
auf vier und drei) den Lichteinfall an der Hinterfeite durchweg 
uf 45 Grad anzusetzen, die Bauweise mit Zwischenräumen ein— 
zuführen (nach dem Muster von Wiesbaden und Erfurt), Familien— 
häuser gegenüber Miethskasernen zu begünstigen, einzelne Bezirke 
»on gewerblichen Belästigungen frei zu halten, andererseits für 
Hesimse, Balkons, Veranden u. dergl. Erleichterungen zu ge— 
vähren, den Fachwerksbau unter angemessenen Bedingungen zu— 
ulassen ꝛc. Auf diese Weise wäre allmählich für Reich und Arm 
ein Kranz von erfreulichen Wohnbezirken entstanden, welche jetzt 
in Berlin verhältnißmäßig seltener und erst in größeren Ent— 
ernungen zu finden sind, als in allen anderen deutschen Städten. 
Nun wird eben die Miethskaserne, auf welche die ganze Bau— 
»rdnung zugeschnitten ist, die übliche Wohnform für die Mehr— 
gahl der Bevölkerung bleiben, sie wird sich stets weiter hinaus 
ortpflanzen und selbst in den Vororten festsetzen. So steigen 
denn auch neuerdings wieder die Bodenpreise im Innern wie in 
der Umgebung. Auf Familienhäuser für den Mittelstand, auf 
—VVVD00 
Sharakter ist in der Nähe der Stadt kaum noch zu rechnen.“ 
lus scheint, als ob der Karlsruher Professor mit seinen Aus— 
tellungen in der That einen wunden Punkt der Bauordnung 
getroffen habe, der bisher in Berlin noch nicht bemerkt worden ist. 
Berlin. Zu dem Zwecke, Kanalwässer mit Hilfe der 
Elektrizität zu entfernen, ist in Moabit eine internationale 
Kanalisations-Gesellschaft in's Leben gerufen worden, die dem— 
nächst, wie wir hören, in Küstrin ihre ersten praktischen Ver— 
uche machen wird. Das System, nach dem die Gesellschaft 
arbeiten wird, ist das Shone'sche. Die einzelnen Theile einer 
Stadt entwässern nach bestimmten Punkten hin. Dort wird 
das Wasser durch Ejektoren gehoben, die durch Druckluft in Be— 
wegung gesetzt werden. In gleicher Weise also will die Kanal⸗ 
gesellschaft ihren Betrieb einrichten. Nur wird sie die Druck— 
uft durch den elektrischen Strom ersetzen. Dieser wird von 
einer Centralstation aus durch Kabelleitungen zu den Dynamo— 
Maschinen übergeführt, die in den einzelnen Pumpstationen thätig 
iind. Die Ueberführung des elektrischen Stromes erfolgt, sobald 
der Brunnenschacht, nachdem er bis auf eine gewisse Höhe gefüllt 
st, selbitthätig ein Zeichen nach der Centralstation gegeben hat. 
In gleicher Weise tritt die Abstellung des Stromes ein. Wie die 
Unternehmer berechnet haben, sell die Anwendung des elektrischen 
Stromes weit billiger, als die der Druckluft, sich stellen, weil 
die Einrichtung und Unterhaltung der Kabelleitung viel weniger 
Kosten verursachen würde, als die der Rohrleitung. Die Gesell— 
chaft hat die Ausführung der bezüglichen Anlagen der Firma 
Siemens &eHalske übertragen, die jetzt bereits eine Anlage 
leineren Maaßstabes anfertigen läßt. 
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Entscheidungen. 
Wegen fahrlässiger Brandstiftung wurde ein Baumeister angeklagt, 
weil in einem Gebäulde, welches vor länger als zebn Jahren ven ibhm 
gebaut worden, Feuer eutstanden war, und als Uriache desselben er— 
nüttelt wurde, daß ein Balken zu nabe an ein Rauchrohr, gelegt worden 
war. Der Angeklagte erkannte auch die Richtigkeit dieser Thatsache 
in, behauptete aber, daß er nicht bestraft, werden könne, weil die 
Sirafverfelgung wegen fahrlässiger Brandstiftung in fünf Jahren ver— 
ühre. Dieie Änsicht ist vom Gerichtsbef für, richtig ancrkannt und 
der Angeklagte deshalb unter folgender Begründung freigesprechen 
Die zur Anklage gestellte Handlung, deren Verfolgung in fünf Jahren 
derjäurt, war, wenn auch nicht mit der feblerbaften Legung des Balkens, 
so doch jedenfalls mit der Vellendung und Abnahme des zur Wohnung 
on Menschen dienenden Haufes, die vor wenigstens zehn Jahren er— 
colgt ist, begangen. Denn mit diesem Zeitmemente war die Gefahr 
der Entfstebung dines Brandes gegeben, welcher die Gesundbeit und 
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Berichte aus Städten. 
Berlin. Die neue Bauordnung, welche schon soviel von 
Herufenen und Unberufenen getadelt worden ist. muß sich nach
	        
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