Mittheilungen aus der Praxis. — Entscheidungen. — Litteraturbericht. — Bautechnische Notizen.
Mittheilungen aus der Praxis.
Kann der Industrie durch Fachschulen geholfen
werden? Der Direktor der Iserlohner Fachschule fuͤr Metall⸗
industrie, Herr Reuter, bespricht in einem Aufsatze „Schule
uind Industrie“ eine Reihe das gewerbliche Fachschulwesen
etreffender Fragen. Wir heben daraus die Frage: ob der
Industrie durch die Anlage von Fachschulen geholfen werden
kann und welche Industrien deren bedürfen? hervor. Herr
Direktor Reuter sagt: Ganz gewiß kann die richtig eingerichtete
und geleitete Fachschule der Industrie nützen, leistet sie Hervor—
ragendes, so wird sie jene sogar tragen und führen. — Dies
zilt nicht nur von jenen Industrien, welche wesentlich vom
abhängen, sondern von allen, da sie sämmtlich der
Vervollkommnung und Verbesserung bedürftig und den Fort—
schritten der Zeit unterworfen sind. Die Indnstrie kann die
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muß, daher auf Versuche und Untersuchungen wenig oder gar
keine Zeit verwenden und aus demselben Grunde ihre Arbeiter
und Beamte nicht so ausbilden kann, wie sie es möchte und
müßte. In den wenigsten Fabriten wird ein reines und akkurates
Arbeiten gepflegt; wollen wir also aus dem alten Schlendrian
herauskommeun, so muß die Fachschule Hülfe bringen und prak—
tischen Unterricht ertheilen.
In dieser Beziehung sollte man den Werth und die Be—
deutung der Fachschule mehr anerkennen und ausnutzen und sie
nach Kräften unterstützen, zumal für sie noch außerordentlich
diel zu thun übrig bleibt. Leider liegt der Grund, weshalb
das von ihr Gebotene zur Zeit nicht mehr ausgenutzt wird, oft
darin, daß sowohl Fabrikanten als auch Gehülfen, Meister
uind Arbeiter fürchten, in den Fachschilern zukünftige Konkur—
zenten zu erhalten, was ihrem Interesse zuwiderliefe.
In ersterer Linie bedürfen diejenigen Industriellen, welche
vom Zeichnen resultiren, der Fachschule, und unter ihnen stehen
die kunstgewerblichen voran, zumal es sich hier auch um Ent—
würfe handelt, mit denen die Lehrer die Industrie fördern sollen,
da nicht jede der betreffenden Fabriken im Stande ist, sich für
olche Zwecke Künstler zu halten. In zweiter Linie thun den
hemisch⸗technischen Industriellen Fachschulen noth, da die Chemie
durch ihre immensen Fortschritte sehr mächtig und wesentlich in
eine ganze Reihe von Industrien eingreift und mithin ohne ihre
gründliche Kenntniß keine Beherrschung des Stoffes und kein
Fortschritt für sie möglich ist.
So bildet also ohne Frage die Fachschule einen wesent—
lichen Faktor für unsere heutige Industrie und wird noch manche
Eisen für sie aus dem Feuer zu holen haben.
Entscheidungen.
Unfallversicherung. Das Reichsversicherungsamt hat
entschieden, daß Ziegeleien als „Fabriken“ anzusehen und zur
Unfallversicherung heranzuziehen sind, wenn in denselben jähr—
lich im Durchschnitt 100 000 -200 000 Steine hergestellt werden.
Uebernahme des Fabrikgeschäfts mit Aktiven und Passiven
erstreckt sich auch auf Entschädigunas-Verbindlichkeiten gegen
perunalückte Arbeiter.
Ein im übrigen körperlich und geistig gesunder Maurer
war durch den Verlust des rechten Unterarms allerdings in
seiner bisherigen Erwerbsthätigkeit gehemmt, aber doch nicht
zänzlich erwerbsunfähig geworden. Das Schiedsgericht der
Berufsgenossenschaft hatte festgestellt, daß dem Verletzten ein
Viertel seiner Erwerbsfähigkeit verblieben sei, und haͤtte ihm
deshalb 750/, der vollen Rente, welche nach 8 5 des Unfall—
vbersicherungsgesetzes?/, des Arbeitsverdienstes beträgt, zugesprochen;
hiergegen war die Berufung an das Reichsversicherungsamt er—
issen weil dem Verletzten unter Anrechnung seines künftigen
Verdienstes mehr gewährt werde, als die volle Rente austrage.
Das Reichsversicherungsamt hat die Berufung verworfen und
rusgeführt: „Es entspricht dem Wortlaut und der Absicht des
Besetzes, daß der demnach auf 750/, der vollen Rente bemessene
Schadensersatz zusammen mit dem Ertrage der dem Verletzten
gebliebenen Erwerbsfähigkeit den Betrag der Rente für volle
Erwerbsunfähigkeit übersteigt. Die entgegengesetzte Meinung,
daß der Betrag der Rente zusammen mit dem Ertrage der ver—
bliebenen Erwerbsfähigkeit höchstens den Betrag der vollen Reute
(d. i. 662/,0/, des Arbeitsverdienstes — 8 5 Absatz 6 Litt. a
des Unfallversicherungsgesetzes — erreichen dürfte, füͤhrt zu dem
gesetzwidrigen uud widersinnigen Resultat, daß schon beim Ver—
leiben von 662/30/0 Erwerbsfähigkeit für die verlovrenen 331, 0/0
zar keine Entschädigung zu leisten wäre.“ Der Bescheid ist unzweifel⸗
jast zutreffend. Der Verletzte kann neben der ihm zuständigen Rente
eine verbliebene Arbeitsfähyigkeit zum Erwerbe verwenden und
ich damit auf ein Einkommen brisigen, wie er es vor der Ver—
etzung hatte. Würde sich sein Einkommen darüber hinaus
»ermehren, so würde die Rente auf Grund des 8 65 des Unfall—
ersicherungsgesetzes herabgesetzt werden können.
Literaturbericht.
Bei dem lebhaften Interesse, das der Minister der öffent—
ichen Arbeiten, Excellenz Maybach, allezeit der Entwicklung
des Bauwesens, und erst unlängst auch wieder dessen theoretischen
ind praktischen Förderern bewiesen hat, dürfte dessen wohl
jgelungenes Porträt ein gern gekaufter Schmuck für die architek—
onischen Ateliers, Büreaus ꝛc. sein.
Das Porträt Maybach's hat Maler Engelbach nach dem
reben für den Verlag der Hofbuchhandlung Herm. J. Meidinger,
Niederwallstr. 22, Berlin, auf Stein gezeichnet ünd sind gute
Abdrücke auf schwerem Kupferdruck-Papier (Format 48: 60 cm)
um Preise von nur 3 Mark erhältlich. —g
Bautechnische Notizen.
Brückenbau. Eine der gefährlichsten Arbeiten unter den
zielen gefährlichen, welche unsere heutige Cipilisation und hochgestei—
zerte Technik zur Ausführung bringen laͤßt, ist der Bau der Pfeiler
ür die großen Brücken, wenigstens derjenigen Pfeiler, welche in
iefem Wasser, in großen Strömen oder im Meere, aufgeführt werden.
Die jetzt allgemein gebräuchliche Methode, derartige Pfeiler zu bauen,
ist folgende: Man versenkt einen offenen eisernen Cylinder (Caisson)
von dem Umfang des zu errichtenden Pfeilers in den Strom, so daß
er den Boden berührt, verschließt die obere, über das Wasser hervor—
ragende Oeffnung und preßt dann durch Einpumpen von Luft das
m Cyplinder befindliche Wasser heraus. In den Cylinder begeben
ich dann die Arbeiter, um unter demselben das Erdreich fortzuräumen,
dis festes Gestein getroffen wird, und für den Cylinder, der später
nit Cement ausgefüllt wird, eine feste Grundlage gefunden ist.
Während dieser Arbeit wird die Luft im Eylinder auf mehrere
Atmosphären Druck erhalten, um ein Eindringen des Wassers von
inten her zu verhindern, und die Thätigkeit unter solchem Luftdruck
st eine furchtbar anstrengende und erschöpfende Arbeit, die Niemand
änger als einige Stunden aushalten kann. Da es gefährlich ist,
zus der zusammengepreßten Luft sofort in gewöhnliche Luft zu treten,
'o ist über dem Cylinder stets eine Vorkammer angebracht, in welcher
ich die Arbeiter einige Zeit aufhalten, ehe sie an die Oberfläche treten.
Auf dem Cylinder wird der Pfeiler aufgemauert, und die Schwere
des Mauerwerks hilft den Cylinder senken. In der Mitte des Mauer—
werks wird ein Schacht gelassen, welcher zu dem Cylinder und seiner
Vorkammer führt. Bei Omaha haut gegenwärtig die Union Pacific—
Bahn eine zweite große Brücke über den Missouri, und bei dem Bau
der Pfeiler wird auch die oben beschriebene Methode angewendet.
Der Cylinder des Mittelpfeilers ist jetzt auf dem dem Strombett
uinterliegenden Felsen angelangt, und man ist gerade dabei, das Innere
des Cylinders zu reinigen und den Grund zu ebnen, um den Cylinder
nit Cement zu füllen. Am 21. Oktober begab sich die erste Tag—
arbeitsschicht von 15 Mann um 8 Uhr Morgens hinunter; kurz, bevor
ihre Zeit um war, etwas vor 10 Uhr Vormittags, bemerkte man
olötzlich, daß sich der zum Cylinder fuͤhrende Schacht im bis dahin
zufgefüllten Pfeiler mit Wasser gefüllt hatte und dadurch den Arbeitern
der, Rückweg abgeschnitten war. Der Chef-Ingenieur, George
A. Ledderlee, und sein Gehilfe Ralph Modjeska wurden schleunigst
enachrichtigt, und eine Dampfpumpe wurde sofort nach dem Pfeiler
jeschickt, um den Schacht leer zu pumpen; aber nach einstündiger
rbeit stellte sich heraus, daß durch den Leck, dessen Lage man nicht
eststellen konnte, fast ebensoviel Wasser einströmte, als ausgepumpt
vurde. Es wurde deshalb ein Kettengang mit Eimern organisirt,
ind nach angestrengter Arbeit hatte man endlich kurz vor 3 Uhr
Nachmittags den Schacht trocken gelegt und konnte die unglücklichen
rbeiter befreien, die selbstverständlich völlig erschöpft und nahezu be—
innungslos waren. Sie hatten, als sie um 10 Uhr nach der Ober—
läche zurückkehren wollten, das Wasser durch die nach dem Schacht
ührende Luke sickern sehen und diese wohlweislich nicht geöffnet, som
»ern sich bis zu ihrer Befreiung in der Vorkammer aufgehalten —
elbstverständlich nicht mit sehr angenehmen Gefühlen. Hoffentlich
ragen sie neben der ausgestandenen Angst um ihr Leben keinen weiteren
S„chaden davon. Bekanntlich hat das Arbeiten in Caissons ebenso wie
»as in Tunnels sehr häufig eigenthümliche und sehr schwere nachtheilige
ẽrkrankungen zur Folge, wie ja auch der große Ingenieur Washington
soebling sich durch sein häufiges Hinabsteigen in die Caissons beim
Zau der East-River-Brücke ein d ee Siechthum geholt hat.