Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 49, Bd. 8, 1889)

325 Rechte und Vortheile der Innung im Gegensatz zur freien Genessenschaft. — Mittbeisungen ans der Praris. — Gentralbad in Wien. 326 
daß die von den Landes-Verwaltungsbehörden bestätigten re— 
»rganisirten Innungen 
mit öffentlichen Rechten ausgestattete Organe und dazu be— 
rufen sind, im Wege der gewerblichen Selbstverwaltung einen 
Theil der Funktionen zu übernehmen, welche dem Staate zur 
Durchführung gewerbegesetzlicher Bestimmungen ebliegen und 
welche diese nicht der unzureichenden Thätigkeit der Polizei— 
Behörden überlassen, sondern den kräftigen, gut geleiteten 
Innungen in die Hand geben wollte, weshalb letzteren mög— 
lichst freie Selbstbestimmung gewährt ist; 
igegen die alten Innungen (freie Genossenschaften) 
Vereinigungen von Handwerkern sind, welche sich zur Erreichung 
eines gemeinsamen Zweckes zusammengeschlossen, auch diese 
Zwecke und die Rechte und Pflichten der Mitglieder durch 
ein von der Polizei-Verwaltung bestätigtes Statut bestimmt 
haben, deren Rechtsbeständigkeit aber durch nichts garantirt 
wird, auch wenn sie genau die Zwecke erfüllen wollen, wie 
die reorganisirten Innungen, 
inn es fehlen ihnen eben die Korporationsrechte, 
weshalb auch die Verträge der alten Innungen (Fr. Gen.) 
über die Erwerbung, Veräußernng oder Verpfändung un— 
beweglicher Sachen und über Darlehen, für welche das un— 
»ewegliche Vermögen der Innung oder die Nutzungen des— 
elben haften sollen, zu ihrer Rechtsgiltigkeit der Genehmigung 
der Gemeindebehörde bedürfen (95 89 G. O.), 
während die reorganisirten (neuen Innungen) 
ohne Einrede der Gemeindebehörde unter ihrem Namen Rechte, 
insbesondere Eigenthum und andere dingliche Rechte an Grund— 
stücken erwerben, Verbindlichkeiten eingehen und vor Gericht 
klagen und verklagt werden koöͤnnen( 8 99 G. O.d. 
lußerdem kommt hinzu, 
daß bei reorganisirten Innungen eine persönliche Haftung der 
Mitglieder für die Verbindlichkeiten der Innung nicht statt— 
findet, denn für alle Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern 
nur das Vermögen der Innung, ein Vortheil, welcher die 
Junungsmitglieder gegen unabsehbare Ansprüche schützt. 
Dagegen haften bei den freien Genossenschaften 
die Mitglieder für eingegangene Verbindlichkeiten versönlich 
mit ihrem Vermögen. 
Ferner werden Streitigkeiten zwischen Mitgliedern der re— 
organisirten Innungen und Gesellen, bezw. Lehrlingen, mehr 
unter dem Gesichtspunkte der Verletzung genossenschaftlicher Rechte 
und Pflichten, als unter dem der Verletzung persönlicher Rechte 
oon dem Innungs-Schiedsgericht entschieden; erst weun dies 
geschehen und eine Einigung nicht erzielt ist, steht den streiten— 
den Parteien der Rechtsweg offen. 
Mitglieder der freien Genossenschaften haben sich zur Schlich— 
tung von Streitigkeiten mit ihren Gesellen an die Gemeinde— 
behörde zu wenden, welcher oft jede Sachkunde abgeht. 
Um die reorgan. Innungen in finanzieller Hinsicht zu 
schützen, ist der Austritt ihrer Mitglieder aus denselben von 
einer vorgängigen Auzeige abhängig gemacht, deren Erstattung 
indeß frühefstens 6 Monate vor dem Austritt erfolgen muß; 
durch diese Maaßregel soll verhindert werden, daß Mitglieder 
lediglich zu dem Zwecke austreten, um sich einer bevorstehenden, 
vielleicht besonders hohen Beitragsleistung zu entziehen. 
Die freien Genossenschaften dagegen si ohne jeden Schutz, 
wenn bei eingegangenen Verbindlichkeiten oder zur Erreichung 
gemeinsamer Zwecke, welche mit Geldopfern verbunden sind, 
die Mitglieder sich ihren Pflichten entziehen; ein Zwang kann 
nicht ausgeübt werden, denn es fehlt das Rechtsverhältniß, 
welches nur erst dann entsteht, wenn einer Genossenschaft die 
Rechte einer juristischen Person (Korporationsrechte) beigelegt sind, 
Da die reorganisirten Innungen gewisse Funktionen im 
öffentlichen Interesse übernehmen müssen und insofern die 
Stellung einer öffentlich rechtlichen Korporation einnehmen, so 
werden auf ihren Antrag rückständige Beiträge und Ordnungs— 
strafen, wie Staats- und Gemeinde-Abgaben, von den Gemeinde— 
— 
Die Mitglieder der freien Genossenschaften kann Niemand 
dazu zwingen, denn die Zahlung von Beiträgen beruht nicht 
auf gesetzlicher Pflicht, sondern es ist nur eine freie Vereinbarung, 
der man sich ohne Schaden bald wieder entziehen kann; höchstens 
käme die Moralität in Frage. 
Ferner sind die aus mehreren reorganisirten Innungen 
eines Gewerbes gebildeten Innungs-Verbände in gewisser Weise 
als Vertreter des Handwerks anerkannt und als konsultative 
Organe zu den Behörden des Reiches und des Staates in 
Beziehung gesetzt. 
Den freien Genossenschaften (nicht reorganisirten Innungen) 
wird es überbaupt nicht gestattet, größere Verbände zu errichten, 
denn solche haben keine Bedeutung für den Staat. 
Den freien Genossenschaften ist die Forteristenz zwar noch 
— 
das Recht eingeräumt, den Fortbestand dieser für das Gewerbe 
bedeutungslosen Genessenschaften aufzulösen, wenn sie bis zu 
einem bestimmten Zeitpunkt ihre Statuten daͤr Reichs-Gew.«Ordn. 
nicht angepaßt haben. 
Noch weitere Rechte und Vortheile stehen den reorganisirten 
gegenüber den alten Innungen (freie Genossenschaften) zu; 
man vergleiche nur die 88 81—-96 mit den 88 972103 der 
R.⸗G.“O. und man wird sich der Ansicht nicht verschließen können, 
daß es der Staatsregierung lediglich darum zu thun ist, Zucht 
und Ordnung durch die Innungen in das Handwerk, Handwerks— 
ehre und Handwerkspflicht dem Publikum und Meisterebre und 
Meisterpflicht dem Gesellen und Lehrling gegenüber zur Geltung 
zu bringen und das Handwerk wieder zu derjenigen Blüthe 
ezmporzuheben, in welcher es vor Beainn des dreißigjährigen 
Krieges stand. 
Mittheilungen aus der Praxis. 
Mode und Styl. Am 14. April 1889 hielt der Direktor des 
Kunstgewerbemuseums in Köln, Herr Pabst, einen Vortrag über 
„Mode und Styl.“ Nach einer kurzen Erklärung der Bedingungen 
des Styls in der Zweckmäßigkeit des Gegenstaudes und der einer 
bestimmten geschichtlichen Kunstsprache entsprechenden Formenrein— 
heit des Zierwerkes und einem geschichtlichen Ueberblick über die 
neuhellenische und romanische Epoche wandte sich der Vortragende 
zu der seit 1870 erwachsenen Entwickelung des deutschen Re— 
naissancestyls. Er schrieb der von München ausgegangenen ein— 
eitigen Betonung der Styleinheit die Schuld an dem neuer— 
ichen Modewechsel zu, indem er betonte, daß eine solche Styl 
einheit zunächst nicht einmal geschichtliche Berechtigung habe, da 
ein Styl immer erst allmälich erwachsen, nicht ploͤtzlich ent— 
standen sei. Ferner betonte er den Zwiespalt dieser Münchener 
Renaissance mit den Zeitbedürfnissen. Der Widerstand des 
zrößten kunstgewerblichen Auftraggebers, der Kirche, gegen die 
Renaissance, die natürliche Neigung des Publikums zu persön— 
licher Freiheit bei der Wahl seiner Einrichtungsweise und endlich 
auch der geschäftliche Antrieb, aus Neuem Gewinn zu ziehen, 
nußten schließlich einen derartigen übertriebenen Zwang er— 
ünstelter Styleinheit brechen. Bei der Betrachtung der zu— 
ünftigen Entwickelung unseres Styles, wie es Direktor Pabst 
auf die eigenartige Entwickelung des amerikanischen Gewerbes hin, 
das aus reiner Nützlichkeitsanschaunng zu einer bemerkenswerthen 
Eigenart der Konstruktien und der Behandlung des Zierwerkes 
gelangte, erwähnte er, daß sich dieser Eigenart die Engländer 
nit Glück unter Beigesellung der Motive aus dem Tudorstyle be— 
mächtigt haben. Es ergiebt sich aus dieser Thatsache der Beweis, 
daß in dem Zweckmäßigkeitsgedanken und in der konstruktiven Seite 
der Gegenstände allein die Bewegung zu Neuem begründet werden 
ann. Der Vortragende bemerkte dabei in geistreicher Weise, 
daß die Eisenkonstruktionen eben doch noch eine neue Stylart 
begründen würden, was man dagegen auch sagen möge. Unsere 
in alten Formen sich bewegenden Anschauungen finden heute 
—VV0— 
wie den Frankfurter Bahnhof, unschön. Ein späteres Geschlechl 
wird über solche Riesenwerke menschlichen Geistes wahrscheinlich 
gerechter denken. 
Central⸗-Vad in Wien. 
Erbaut von Honus und Lang, Stadtbaumeister— 
(Hierzu fünf Abbildungen,) 
Mit den Fortschritten der Gesundheitspflege wächst das Bedürfniß 
nach öffentlichen Bade-Anstalten. 
Durch Fürsorge der betreffenden Behörde und des Wiener-Stadt— 
»auamtes wurden für die arbeitenden Klassen Volksbäder errichtet; den 
Bürfnissen der besser situirten Stände Rechnung zu tragen, ist den 
Privaten überlassen.
	        
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