Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 49, Bd. 8, 1889)

steber das Ornament. — Entwurf zu gesetzlichen Vorschriften zum Schutze des gesunden Wobnens. II 
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—IL 
iind, als „Salomon in aller seiner Herrlichkeit“, kommen andere, 
»on den Zackenformen der Distel eingerahmt. 
Der bescheidene, von den Psalmen besungene Ysob sproßt am 
Schluß einer Strophe; die Granaten, mit welchen Salomon die 
Appen seiner Sulamith vergleicht, schütten ihren Schatz aus über 
»inem Evangelium; das Korn wächst empor, wo im Texte die 
Bitte an den Vater gerichtet wird, den Menschen ihr tägliches 
Brod zu geben. Myosotis und Maaßlieben umduften den eng— 
ischen Gruß und die Litaneien. Jede Bitte zu Gott bringt ihm 
inen Korb mit Früchten oder eine Blumengabe; ländliche Opfer. 
vie sie schon auf den urältesten Altären gestanden haben mögen. 
Högel und Falter fliegen und flattern in diesen Zaubergärten. 
Der Pfau breitet sein schillerndes Rad aus unter der Mond— 
ichel, auf welcher die heilige Jungfrau steht; die Biene saugt 
in der Blume einer Initiale, die Fliege läßt sich nieder auf einen 
Vers, dessen Zeilen durch ihre Flügel schimmern; die Heuschrecke 
eklettert eine Lilie, oder nagt an einer Kornähre; der Schmetter— 
ing gaukelt um die Rose; sogar die Wespe läßt ihr Gesumme 
ören, das klingt wie ferne Gesänge des Hochamtes Es ist, als 
vären dem Pinsel des Illuminators jene Ambra-Tropfen ent—⸗ 
lossen, welche die beschwingten Geschöpfe, im Fluge sie treffend, 
esthalien und ihrem luftigen Dasein ewige Dauer geben. 
Das war das goldeune Alter der Ornamentik in den neueren 
Zeiten, das war ihre reinste Entfaltung. — Die Renaissance 
‚eredelt und erweitert in ihrer Weise dieses fruchtbare Gebiet, 
iber sie beschneidet auch den wuchernden Ueberfluß, mit kunst— 
zelehrter Hand propft sie darauf die Typen der Antike, erfindet 
iber auch neue Typen von wunderbarer Schönheit. Die Ge— 
talten der alten Götterwelt drängen sich herein in die Windungen 
des Laubwerks, in die Zierrathen der Pflanzenformen, Basreliefs 
imrahmen die Fläche der Cartouchen, Büsten überragen sie. Es 
st det Styl des Alterthums, aber in verjüngtem, von heiterer 
Anmuth umlachtem Leben. 
Im 17. Jahrhundert erlahmt das Ornament unter dem 
Schnoͤrkelschwall übermäßigen Prunkes; die Umrisse werden auf— 
getrieben; die Linien gewaltsam; allerlei Unkraut von Zierrath 
berläuft es von allen Seiten. — Die große Staatsperrücke 
Louis XIV. scheint in leibhaftiger Gestalt an den Giebeln der 
Zzauwerke hernieder zu wallen. 
Die Ornamentik des 18. Jahrhunderts treibt die Verschwen— 
zung im Ornamentenschmuck noch weiter: die Muschel überwächst 
ind'überwuchert Alles und Jedes. Zugleich aber wissen sie doch 
ine gewisse leichtere, heitere Grazie, einen Hauch von ganz eigen— 
hümlicher launischer und doch durchdachter Formenspielerei in 
hre Schöpfungen zu legen, besonders ein Zusammenstimmen der 
Wohnräume mit deren ganzer innerer Ausstattung hervorzubringen, 
o daß ihrer dekorativen Kunst ein feenhafter poetischer Zauber 
nnewohnt. Der Noccecostyl wird jederzeit eine der originellsten 
ind reizendsten Formen des franzoͤsischen „Esprit“ bleiben. 
(„Maler⸗-Z3tg.“) 
Bei dem vor Kurzem abgehaltenen Kongreß französischer 
Architekten in Paris hat Architekt Julius Lecroir über die Ge— 
chichte des Ornaments einen geistvollen Vortrag gehalten, den 
vir glauben, in deuticher Uebersetzuna unsern geehrten Lesern 
nittheilen zu müssen. 
Herr Lecroix sprach: 
Die Anabeske jpielt in der Kunst eine ganz ähnliche Rolle, 
vie die Pflanzenwelt in der Natur. Sie verkleidet unsere Bau— 
verke, sie umrankt unsere Zimmergeräthe, sie hängt sich um 
insere Gefäße, sie verbrämt unsere Gewebe. Frei und fessellos, 
inbestimmbar und wechselvoll, ist die Arabeske gleichsam der 
Pantheismus in der Kunst. Ihre unverwüstlichen Triebe und 
Zweige lassen sich durch alle Jahrhunderte verfolgen. In Aegypten 
aucht das Ornament auf in symbolischem Ernst, es erscheint auf 
den Profilen der Hieroglyphen, welche Papyrusblätter und Stein— 
vände bedecken, in unübertroffener, gedrungener Feinheit und 
Korrektheit. 
Griechenland gestaltet es, entsprechend seinem Genius, ebenso 
del als schmiegsam, ebenso rein wie sinnvoll, mannigfaltig ohne 
leberladung und reich ohne Uebermaaß. Da winden sich die 
Irrgänge der Mäander, sprossen die Akanthusblätter, die Pal— 
netten von Lorbeer und von Aloe, da hängen die Perlenschnüre, 
a sogar die Haarflechten ihrer Frauen. 
In Rom bleibt das Ornament griechisch, aber es artet aus, 
berirrt sich auf dem Felde der Mo'aik. 
In Asien jedoch erreicht es seine volle Entwicklung. Eine 
chrankenlose Phantasie waltet in den Dekorationen der Chinesen; 
da giebt es weder Regel noch Kompaß mehr; die Flüsse münden 
in die Wolken und die Bäume wachsen in den Himmel. Kein 
Botaniker vermöchte die chimärische Flora zu bestimmen, welche 
Chinas Lack- und Porzellangefäße verziert. Wellen und Muscheln, 
Vögel und Pagoden, Drachen und andere Fabelgebilde drängen 
ind steßen einander, wie die wechselnden Gestalten eines Traumes. 
Aber die Leichtigkeit der Zeichnung, das unendliche Spiel der 
Formen, die Feinheit nnd der Glanz der wie für einen Blumen— 
trauß zusammengestimmten Farbentföne bringen doch in all' diese 
Unordnung den Zauber der Harmonie. 
Ostindien breitet auf lückenloser Fläche seine reichen Ver— 
sierungen aus: eintönig, farbenglühend und formenweich. 
Die Araber, bei welchen durch die Vorschrift des Koran, 
„du sollst dir keine Bilder machen“, die Natur ausgeschlossen ist, 
halten fest an einer idealen Raumtheilung. Da sind weder 
Menschen- noch Thiergestalten, Pflanzen sogar sind ausgemerzt: 
nichts als Linien, bald so verschlungen, gebrochen und gekreuzt; 
aber mit diesen Formgeweben thun sie Wunder. — Manchmal 
etzt auch die arabische Schrift ihre zierlich geschlungenen Zeichen 
an die Arabesken und an die Mauern, die Basreliefs tönen 
Rede und Gesang. Die ganze Alhambra ist eigentlich eine 
gebaute Dichtung“. 
Das weniger strenge Persien streut Blumen in Fülle über 
die abstrakten Zierformen der Araber; sogar fabelhafte Thiergebilde 
verden eingeführt. 
Die byzantinische Ornamentik bringt eine Vermengung der 
Antike mit den morgenländischen Elementen; die romanische Kunst 
viederholt eigentlich nur dasselbe. 
Aber da erscheint der Spitzbogen; er herrscht von jetzt an 
in der Baukunst von drei Jahrhunderten und aus seinem schlanken 
Stamm erblüht eine wunderbare Formenwelt. Gleichzeitig bahnt 
sich die Ornamentik ihren Weg in die Handschriften, in die Hora— 
ind Meßbücher; die Blumen und Blätter, die Thiere hoch und 
nieder, geometrische wie menschliche Figuren bilden sich unter 
dem, Pinsel des Illuminators fort bis in's Unendliche. — Die 
Blumen zumal sind, für, ihn ein glanzreiches, unerschöpfliches 
Thema; bald fassen sie die Blätter der Handschriften mit einer 
»escheidenen Randverzierung ein; bald ranken sie daran hinauf 
ils ein Blumengewinde, das sich zum Festschmuck um die Säulen 
und Pfeiler einer Kirche schmiegt. Hier reihen sich die Zeilen 
des heiligen Buches,unter einem Triumphbogen von Rosen an— 
inander, dort läßt ein, Kirschenzweig seine scharlachglühenden 
Beeren darüber fallen. Die bescheidensten Pflanzen finden in 
iesen, fremmer Andacht geweihten Büchern ihren Platz, wie in 
der ebendigen Schöpfung dicht neben den schönsten und reichsten. 
Nach Peraamentklättern, welche mit Lilien prächtiget geschmückf 
Entwurf zu gesetzlichen Vorschriften zum 
Schutze des gesunden Wohnens. 
Echluß.) 
Insbesondere ist die angedeutete freie Bewegung in großen 
Städten am Platz. Hier bat man gewöhnlich gleiche Bau-Vor— 
chriften für das ganze Weichbild aufgestellt (in Berlin sogar 
noch auf die Nachbargemeinden ausgedehnt). Werden nun solche 
Vorschriften der dichten Bebauung dem Stadtkern angepaßt, so 
flanzen sich dessen ungünstige Verhältnisse, theure und un— 
gesunde Wohnungen, nach außen fort. Das Ganze zum gesund— 
zeitlichen Ideal zu machen, geht aber auch nicht, weil dadurch 
ie Grundstücke im Stadtkern, deren Werth sich nach der bisher 
ulässigen dichten Bebauung festgesetzt hat, ungebührlich ent— 
verthet werden. Um über diese Schwierigkeiten hinauszukommen, 
ziebt es ein sehr einfaches Mittel: man gebe zweierlei oder dreierlei 
Vorschriften für ebenso viele Gruppen von verschiedenem Cha⸗ 
rakter, namentlich getrennt für bestehende und für werdende Zu— 
tände; dort würde das Begehren nach Licht und Luft behutsam, 
zier sefort in vollem Umfange auftreten dürfen. Eine derartige 
Sonderung kann entweder nach Bezirken erfolgen (Innenstadt, 
Vorstädte, Vororte), oder nach dem Alter der Straßen (aus-— 
ebante, theilweise bebaute, zukünftige Straßen), oder nach irgend
	        
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