Ansere Wohnungen in Bezug anf bogienischen Fortschritt. — Mittheilungen aus der Praxis
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Unsere Wohnungen in Bezug auf
hygienischen Fortschritt.
Die zweifelhaften Segnungen der seit Jahren erschienenen
sanitären und hygienischen Schriften und Vorschläge, wie auch
die zu diesem Zwecke gehaltenen bauwissenschaftlichen Berathungen
und Wanderpredigten haben bis heute leider nur unwesentliche
Resultate gehabt. Da der Miethsbhausbau eine geschäftliche
Tendenz haät, so fällt er genau in die von den Behörden zu
Gunsten der Gesellschaft in sanitärer Beziehung gestellte Aufsicht
der Staats⸗ und Kommunalbehörden. Nachdem aber letztere
meist aus einer mit Wohnhäusern reich gesegneten und mit den
Interessenten verwandten Körperschaft bestebt, ist weder die er—
sorderliche Reform der Baugesetze, noch die energische Strenge
zu erwarten, und muß sich wohl die Gesetzgebung mit dieser
außerst wichtigen Frage befassen, um ihr endlich nach ihrer prak—
tischen Bedeutung eine gesetzliche Basis und Lösung zu schaffen.
Wir unsererseits üben nur eine Pflicht, wenn wir Alles das, was
auf diese Frage Bezug hat, allerwärts sammeln und als Material
zu derselben darbieten.
Entgegen den amerikanischen Versuchen erheben sich vor—
täufig in bielen großen europäischen Städten schwerwiegende
gesetzliche Schranken gegen allzu hohe Häuser. Nach der Bau—
Ordnung für Prag (1886) dürfen Wohnhäuser außer dem Erd—
geschosse nicht mehr als vier Stockwerke erhalten, wobei ein etwa
vorhandenes Mezzanin als Stockwerk gezählt wird. Die Höhe der
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Gassenbreite betragen und bis zur Gesimskante in keinem Fall
das Maximum von 25 m überschreiten. Noch strengere Verbote
gegen die thurmhohen Häuser erläßt die Berliner Bau-Polizei—
Ordnung (1887). Dieselbe bestimmt als größte Höhe nur 22 m
und ordnet an, daß das Wehngebäude höchstens so hoch sein
darf, als die Straße breit ist. Sie beschränkt also das Höhen—
Verhältniß des Haufses zur Breite der Straße auf die Hälfte
der in der Prager Bauordnung vorgesehenen Proportion. Die
maaßgebende Behoͤrde ist also entschieden gegen die allzu hohen
Wohngebäude. Andererseits werden aber „Oben“ noch Miß,
bräuche in der Wohnungshygiene geduldet, welche Gesundheits—
lehrer, Architekten und Kommunal-Baukommissionen zu bekämpfen
bemüht sind. Ein solcher Kampf hat kürzlich von dem 1200 Mit—
glieder zählenden deutschen Vereine für öffentliche Gesundheits—
pflege in Frankfurt am Main stattgefunden.
Herr Miquel, der Oberbürgermeister von Fankfurt, ein
hervorragender Parlamentsredner, hat die Nothwendigkeit eines
einheitlichen Gesetzes über die Wohnungsfrage dargelegt, welche
Motivirung zu den Glanzpunkten der dortigen Vorträge zählte.
Der Redner führte unter Anderem aus, daß einzelne Vorschriften
allerdings feuchte, dunkle und Kellerwohnungen verbieten; aber es
werden andererseits Wohnungen in den Stockwerken geduldet, die
nicht viel besser sind. Diese Wohnungen beherbergen eine große
Menge armer Leute und sind leider so zahlreich, daß durch ihre
Zerstoͤrung eine große Klasse der Berölkerung obdachlos gemacht
werden müßte. Es sind dies in geschlossenen und engen Höfen
zusammengedrängte Wohnungen, welche durch Umbau nicht ge—
sund gemacht werden können, die nicht zu lüften, schwer zu
reinigen, dafür aber im Innern in anderer Weise fehlerhaft
genug sind. Hand in Hand mit einem neuen Gesetze müßten
aber „wirksame“ Maaßregeln zur Verbesserung und hauptsächlich
zur, Verbilligung“ der Wohnungen einhergehen. Hier müßten
nun vor Allem die Gemeinden an der Spitze der Helfenden
porschreiten. In der Regel befaßt sich die Privatbauthätigkeit
mehr mit der Beschaffung von größeren Wohnungen, von drei
Zimmern und mehr. Zur Herstellung von kleinen Wehnungen,
zu ein bis zwei Zimmern, sind bedeutendere Kapitalien erforder—
lich, und hält man die Häuser wegen unpünktlichen Einganges
der Miethen für schwer verkäuflich, Es herrscht daher in fast
allen Großstädten ein Mangel an kleinen Wohnungen.
Die Gemeinden sollen nun vor Allem das Bebauungsfeld
moͤglichst ausdehnen, damit durch vermehrtes Angebot und zweck—
maßige Besteuerung die Preise für Baͤuplätze und Wohnungen
nicht künstlich in die Höhe getrieben werden. Auch des Stag
muß für seine zuständigen Arbeiter geeignete Wohnungen bauen
und die großen Arbeitsgeber nicht nur auf dem Lande, sondern
auch in den Städten, ferner fänden hier gemeinnühige Gesell—
schaften eine segensreiche Thätigkeit. Daß der Staat zum Neu—
baue von Wohnungen für Arbeiter und sonstige kleine Leute
den Gemeinden und Kreisen btllige Gelder leihen möge, ist ein
längst gehegter Wunsch vieler Nationalökonomen. Schließlich
wurde der Antrag angenommen:
1. Der deuische Verein für öffentliche Gesundheitspflege
hält die Herausgabe eines einheitlichen Baugesetzes für möglich
und dringend erwünscht. 2. Ein solches Gesetz müßte im In—
teresse der Herstellung gesunder Wohnungen bei Neu- und Um—
bauten zu stellende Mindest-Anforderungen vorschreiben, das
Bewohnen ungesunder Wohnungen verbieten und unter den
nröthigen Garantieen für die Eigenthümer zur Durchführung
dieses Verbotes den Polizei- und Gemeindebehörden genügende
Befugnisse einräumen, auf daß zumal die Ueberfüllung der
Miethswohnungen verhindert werde.
Während Herr Miquel mehr die gesetzlichen Momente über
die zu schaffende Wohnhausbaureform menschenfreundlich er⸗
äuterte, machte sein gleich vortrefflicher Mitreferent, Oberbaurath
Professor Baumeister (aus Karlsruhe), diesfalls erforderliche
Einzelheiten in bautechnischen Vorschlägen geltend. Davon
lautete einer: Da es unbestritten ist, daß im Mangel an Licht
und in Ueberfüllung von Wohnungen die meisten Gefahren für
die Gesundheit (und wohl auch für Epidemien) liegen, daß dunkle
Wohnungen in der Regel auch feucht, kalt und dumpf sind, geht
mein Vorschlag dahin, es sei ein Gesetz zu erlafsen, nach welchem
alle bewohnten Räume Fenster erhalten sollen, welche direkt in's
Freie führen. Die Gesammifläche dieser „nothwendigen“ Fenster
soll mindestens I Om auf 30 cbm Rauminhalt betragen.
Vergebens suchen wir in den bisherigen Gesetzen nach einer
solchen Bestimmung. Für die meisten Bauvorschriften scheinen
die Fenster gar nicht zu existiren. Nach den Grundsätzen der
neuen Hygiene spielen aber die Fenster eine große Rolle im
Hause. Die Größe derselben kann niemals zu hoch gegriffen
werden. Jene Fenster sind dabei die zweckmäßigsten, welche
oben bis an die Decke reichen, große Scheiben haben und nach
innen ganz zu öffnen sind.
Ueber die Konstruktion von Wänden und Decken soll das
Gesetz hygrofkopische Bausteine, nasse oder unreine Deckenfüllungen
strengstens verbieten. Für jede Wohnung ist ein möglichst um—
wandeter, bedeckter, verschließ— und ventilirbarer, in einem An⸗
bau gelegener, mit Abfallröhren von undurchlässigem Material
versehener Abort anzulegen. Desgleichen muß für jedes Haus
die Versorgung und Zusicherung von gutem trinkbarem Wasser
durchgeführt werden. Die Heizung ist noch nicht durchberathen,
doch steht fest, daß unter den verschiedenen Methoden die Luft—
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gefundeste als gut bezeichnet werden muß.
Also keine thurmhohen Häuser mehr! Was werden aber
die diesbezüglich von hohen Zielen geleiteten Bauherren, was
die wo moͤglich noch um ein Stockwerk höher strebenden Bau—
meister zu der Erniedrigung der nutzbringenden, aufstrebenden
Ideen ihres hohen Standpunktes sagen? ꝓpf.
Mittheilungen aus der Praxis.
Ventilation durch Beleuchtung mittels invertirter Gas—
flammen. In einer der Sitzungen des Vereins zur Beförderung
des Gewerbefleißes hat S. Elster (Berlin), wie wir Schilling's
Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung entnehmen,
folgende Mittheilungen über die Verwendung invertirter (versetzter)
Gasflammen, namentlich bei dem neuen Gebäude der „EPxami-
nation Hall for Students of Medicine“, London, gemacht.
Das Gebäude gehört der Korporation der Aerzte in London
und besteht aus einem Mittelbaue und zwei Seitenflügeln, circa
100 Fuß lang nach jeder Seite. In dem mittleren Baue be—
finden sich zwei Säle übereinander von ca. 100 Fuß Länge,
25 Fuß Breite und 16 Fuß Höhe, in dem Seitenflügel rechts
das chemische Laboratorium, in dem Flügel links die Säle für
die Arbeiten der Gesundheitstechnik; verbunden sind dieselben mit
den Hauptfälen durch Aufzüge, welche Cadaver oder anatomische
Begenstände den Hauptsälen zuführen. Die großen Säle erhalten
ihre Beleuchtung durch fünf Wenham-Lampen, welche von der
Decke ca. 37, Fuß abstehen und die Verbrennungsprodukte inner—
halb der Decke bis zu den Mauern fortführen.
In den Maucrnm liegt für jeden Brenner ein 4zölliges, in—