Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 53, Bd. 12, 1893)

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Zeichen der Zeit. — Von der inneren Einrichtung des Reichstagsgebäudes. — Entscheidungen. 
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die sicheren Werththeile, vorweg; dem Sachbesitzer bleibt neben 
dem Besitzmittel mehr und mehr nur der zweifelhafte Werththeil, 
und dafür ist er dem Rentenbesitzer noch in dreierlei Beziehung 
dienstbar: als Verwalter der Rentenquelle, als „Puffer“ gegen 
Rückschläge der „Konjunktur“ und — nicht zuletzt — als Blitz— 
bleiter gegen soziale Anfeindung, die sich naturgemäß vorzugs— 
weise gegen den titulirten Besitzer als scheinbaren Nutznießer der 
Rentenquelle richte. — Was hierbei insbesondere den Grund— 
pesitz betrifft, so ergiebt sich als Folge seiner Eigenart, seiner 
Unbeweglichkeit, für seine besseren Werththeile auch ein hoher 
Hrad von Unzerstörbarkeit, für die schlechteren aber eine besonders 
charfe Gefährdung eben durch die „Konjunktur“; denn das hier 
inmal in Kaufgeld, Bauten, Meeliorationen u. s. w. festgelegte 
Vermögen läßt sich, selbst wenn man seine Entwerthung voraus— 
sieht, viel schwerer wieder herausziehen, als das in die kauf— 
märmischen oder industriellen Unternehmungen mit ihrem meist 
niel beweglicheren Charakter gesteckte Kapital. Bei der fort— 
scchreitenden Verschuldung des Grundbesitzes eignet sich nun der 
Rentenbesitz mit den sicheren Werththeilen die Vortheile der Un— 
»eweglichkeit des Grundbesitzes an; er verbindet aber hiermit die 
Vortheile der Beweglichkeit, da er mit Hilfe des Pfandbrief— 
ystems ꝛc. jene Werttheile sofort mobil machen kann. Dem— 
gjegenüber wird dem Sachbesitzer hier wohl Titel und Verant— 
vortung für das Besitzthum überlassen, von dessen Unbeweglichkeit 
iber empfindet er mehr und mehr nur den Schaden, indem er 
uuf diejenigen Werththeile gedrängt wird, die von den wirth— 
chaftlichen Schwankungen zunächst betroffen werden. Daß dieser 
Zustand je länger je mehr zur Regel wird, ist das unerfreuliche, 
seider von Jahr zu Jahr unzweifelhaft gewordene Ergebniß der 
oreußischen Hybothekenstatistik — Die vorstehenden Erwägungen, 
zie der Einleitung des amtlichen statistischen Berichts entnommen 
ind, verdienen gewiß die ernsteste Beachtung Aller, die die soziale 
Entwickelung der Gegenwart mit Interesse verfolgen und die 
Zeichen der Keit verstehen. 
der zu den kassettirten Decken überführt. Die leberleitung von 
»er Wand zur Decke wird im gchteckigen Schreibsaal durch vier 
nächtige, aus den schmalen Eckseiten aufsteigende, die Decke 
»iertelnde weibliche Karyatidenfiguren sehr wirkungsvoll und an— 
prechend vollzogen. Für den figuralen Theil der Dekoration 
jat sich ein so vortrefflicher Bundesgenosse, wie Professor Wide— 
nann, eingestellt. Vielleicht verdankt dieser der Beschäftigung 
nit der Kleinplastik das Vermögen, seine doch durchaus groß und 
nonumental erfaßten Gestalten mit Anmuth und mit Leben bis 
n die Fingerspitzen hinein zu erfüllen. Das Letztere ist wörtlich 
semeint; er bildet merkwürdig lebensvolle, ordentlich zuckende 
Finger. Die Farbe des Holzes ist geschickt gewählt und verspricht 
inen sehr feinen und ruhigen Gesammteffekt: altes Eichen- auf 
ein gemasertem silberbraunem ungarischem Eschenholz. Die 
kadellosigkeit der Leistung nach der technischen Seite hin ist 
elbstverständlich. Auch den Vorzug, die großen italienischen Vor— 
silder verständig und erfolgreich studirt zu haben, wird man der 
Architektur dieser beiden Säle nicht streitig machen können. Es 
var für das Haus Bembé eine um so hoͤhere Auszeichnung, zu 
iiner derartigen Arbeit herangezogen zu werden, als in den 
ibrigen Räumen des Reichstagsgebäudes, die anderen Firmen 
ufielen, der Entfaltung plastischen Schmuckes durch den der 
VPalerei zugewiesenen Antheil an der Dekoration engere Schranken 
gesetzt sind. 
Entscheidungen. 
In Bezug auf Grundstückskäufe und Verkäufe, 
owie die dabei mitwirkenden Agenten und Kommissionäre hat 
as Kammergericht eine rechtlich interessante und für die be— 
heiligten Kreise wichtige gruͤndsätzliche Entscheidung gefällt, 
velcher folgender Thatbestand zu Grunde liegt: Ein Breslauer 
Besitzer mehrerer Terrains hatte einen Agenten X. mit der Be— 
chaffung eines Käufers gegen 1 Prozent Provision beauftragt. 
xinige Zeit darauf erschien auch bei ihm ein Reflektant, um fich 
jach dem Preise zu erkundigen, worauf er zunächst fragte, ob er 
der Reflektant) auf Veranlassung des Agenten X. käme. Der 
sSefragte verneinte dies und erklärte, daß er nur ganz zufällig 
on der Verkäuflichkeit des Terrains gehört habe. Hierauf trat 
er Verkäufer mit ihm in Verhandlung, und es kam auch ein 
daufvertrag zu Stande. Bald darauf erschien der Agent F. 
»ei dem Verkäufer und verlangte die Provision mit der Be— 
sjauptung, daß er den Käufer, einen hiesigen Baumeister, auf 
as Geschäft aufmerksam gemacht und ihm die Verkanfsbedingungen 
nitgetheilt habe Da sich. die Wahrheit dieser Angabe herausstellte, so 
zielt sich der Verkäufer für verpflichtet, die Provision an den Agenten 
zu zahlen, erhob aber demnächst Klage auf Zurückerstattung mit 
»er Begründung gegen den Käufer, daß dieser ihn durch die 
vahrheitswidrige Angabe, er sei nicht auf Veranlassung des X. 
— 
»er zu zahlenden Provision niedriger zu normiren, als er ihn 
zei Kenntniß der Mitwirkung des X. und der sich daraus er— 
jebenden Provisionszahlung angegeben haben würde. Der erste 
stichter erkannte auf Abweisung der Klage, da seiner Meinung 
iach der Käufer keine Rechtspflicht gehabt hatte, auf die erwähnte 
Frage des Verkäufers die Wahrheit zu sagen. Der Verkäufer 
Jätte sich vielmehr bei dem Agenten selbst über dessen etwaige 
Heitwirkung informiren sollen. Auf die Berufung des Klägers 
rhob das Kammergericht Beweis über die vom Agenten be— 
jauptete Mitwirkung und änderte, nachdem die letztere erwiesen 
var, die Vorentscheidung ab, indem es den Beklagten verurtheilte, 
zie vom Kläger an F. gezahlte Provision zu erstatten. Das 
dammergericht verwarf nämlich die Begründung des ersten 
dichters, daß der Käufer keine Rechtspflicht gehabt habe, dem 
Lerkäufer auf die erwähnte Frage die Wahrheit zu sagen, und 
prach weiterhin aus, daß die Frage, ob der Verkäufer an 
einen Agenten Provision zu zahlen hatte, für die Normirung 
»es Kaufpreises und damit für den Abschluß des Geschäfts sehr 
rheblich gewesen und daß es anzunehmen sei, daß der Kläger 
»en Preis höher normirt haben würde, wenn ihm der Beklagte 
iber die Mitwirkung des Agenten pflichtgemäß die Wahrheit 
jesagt hätte. Die wissentlich unrichtige Angabe über die Nicht— 
zetheiligung des Agenten mache deshalb den Beklagten ersatz- 
aflichtig für die vom Kläger rechtmäßig an den Agenten gezahlte 
Provision. Der Senat war mit dem Kläger der Ansicht, daß 
ieser dem Agenten die Provision hätte zahlen müssen, nachdem 
zieser seinem Auftrage gemäß die Veranlassung zum Kaufe 
jegeben, und daß die Nichtkenntniß der Mitwirkung des Agenten 
zur Zeit des Kaufabschlusses den Verkäufer von der Vropisions-— 
ahlung nicht befreit haben würde 
Yon der inneren Einrichtung 
des Reichstagsgebäudes. 
Ein hervorragendes Stück deutscher Imnenarchitektur findet 
oeben seine Vollendung. Es handelt sich um die Ausstattung 
weier Säle des Reichstagsgebäudes, den links vom Hauptportal 
»isponirten Lesesaal und den sich daran anschließenden achteckigen 
Schreibsaal. Von den Dimensionen dieser Räume giebt der Um— 
stand eine kleine Vorstellung, daß beide etwas über 10 m 
hoch sind und der Lesesaal eine Länge von ungefähr 23 mmehat. 
Da der Schmuck der Säle, abgesehen von einer Anzahl al fresco 
gemalter Städteansichten nur in der Holzverkleidung besteht, so 
hedarf es keiner Hervorhebung, wie umfänglich — dem Raum 
und der Bedeutung nach — die Aufgabe ist, die der dekorativen 
Holzplastik und Architektur hier gestellt wurde. Einen Gesammt— 
»indruck von dem kolossalen Werk zu gewinnen, mit dessen Aus— 
führung die Bembé'sche Möbelfabrik in Mainz betraut ist, kostet 
freilich noch etwas Anstrengung. Einige Dekorationstheile sind 
hereits abgeliefert, andere erst im Modell vorhanden, und selbst 
die ganz fertig gestellten können nur bruchstückweise gesehen werden. 
Aber die Wanderung durch die Bembé'schen Werkstätten zur 
Besichtigung der zerstreuten Fragmente und das bischen Studium, 
»as es kostet, sich aus dem Einzelnen das Ganze in der An— 
chauung selbst aufzubauen, ist Mühe, die reichlich lohnt. Das 
aamentlich läßt sich schon jetzt erkennen, daß mit großem Glück 
zie Klippe umschifft ist, die Dekoration in zierlichem Holzbild— 
hauereistil und daher für solche Verhältnisse zu kleinlich zu 
gestalten; wenn die Behandlung sich oft mehr der Steinplastik 
nähert, so schlägt das nicht zum Schaden des Werkes aus. Die 
aachdrückliche Betonung der Architektur des Raumes, die fest— 
geschlossene Komposition des dekorativen Theiles und dessen 
Anterordnung unter die architektonische Gliederung, infolge dessen 
rotz der Fuͤlle des Schmuckes das Innere doch ruhig und 
nonumental wirken wird, ist ebenso sehr das Verdienst Paul 
Wallot's, von dem die Grundlinien der Ausführung vorgeschrieben 
vurden, als des feinfühligen technischen Leiters der Bembé'schen 
Fabrik, des Direktors Behr, dem die Ausgestaltung der primitiven 
Skizzen zufiel und der bei allen Umarbeitungen des erstes Planes 
es nie aus dem Auge verlor, zu vereinfachen und immer wieder 
zu vereinfachen. So bildet denn ein schmuückloses Getäfel das 
uinterste Bauglied. Auf diesem sind als Umrahmung der Fenster 
und der bereits erwähnlen Städiebilder Säulen mit äußerst fein 
durchgeführten Kapitälen angeordnet. Hierüber erst erhebt sich in 
kräftigeren Formen und in reicher Belebung ein fiauraler Flies.
	        
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