Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 53, Bd. 12, 1893)

Städtische Bauordnung und der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege. 
340 
48 
5tädtische FKauordnung und der Deutsche 
Verein für öffentliche Gesundheitspflege. 
Unter diesem Titel veröffentlicht Dr. Max Quarck in 
Frankfurt a. M. in den „Blättern für soziale Praris“ 
Folgendes: 
Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege er— 
kennt die von dem Referenten geforderte unterschiedliche Be— 
handlung der Bauordnungen für das Innere, die Außenbezirke 
uͤnd die Umgebung von Städten als ein dringendes Bedürfniß 
an und empfiehlt den betheiligten Gemeindebehörden und 
Staatsregierungen, von diesem Gesichtspunkte aus in eine 
Revision der bestehenden Bauordnungen und, soweit erforderlich, 
der Gesetzgebung selbst einzutreten. 
So Tautet die Erklärung der 18. Jahresversammlung des 
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, welche am 
25. Juni in Würzburg begann und welcher der Schreiber 
dieser Zeilen im Auftrage der „Blätter für soziale Praxis“ 
beiwohnte, zur Frage der städtischen Bauordnungen. Die 
Erklärung wurde einstimmig gefaßt und bedeutet eine sehr 
entschiedene Stellungnahme des Vereins zu den städtischen 
Wohnungsmißständen. Tie Behandlung der städtischen 
Wohnungsfrage besteht einerseits darin, durch wirksame Auf— 
sicht und Beobachtung zu erkunden, wie schlecht ein großer 
Theil der ärmeren städtischen Bevölkerung wohnt, und daun 
festzustellen, welches das normale Wohnungsbedürfniß jener 
Schichten wäre. Diese Seite der Sache kam bei der Würzburger 
Verhandlung nicht zur Sprache; man hielt sie wohl durch den 
Entwurf zu einem Reichsgesetz über gesundes Wohnen für er— 
ledigt, den der Verein bereits früher berathen hat. Immerhin 
hätle ein wenig Zurückgreifen auf diesen Gegenstand nichts 
schaden können, denn die wünschenswerthe Wohnungsaufsicht 
liegt noch überall sehr im Argen, und doch liefert sie allein 
erst die Fingerzeige dahin, wohin sich Besserungsbestrebungen 
zu richten haben, namentlich, wenn bei ihr die Miether selbst 
zu Wort kommen. So definirte Oberbürgermeister Adickes 
als erster Referent der Würzburger Versammlung das 
Wohnungsideal dahin, daß für jede Familie die abgeschlossene 
Beyutzung eigener Räume ermöglicht werde (Zweietagenhaus). 
Vielleicht würde die fortgesetzte Beobachtung der Wohnungs— 
zustände durch eigene Organe in einer Großstadt wie Frankfurt 
außerdem zu der Forderung führen, daß die gute Verbindung 
mit der Arbeitsstelle des Familenhauptes ein ebenso noth— 
wendiges Requisit ist, als die Abgeschlossenheit der Räume, 
und daß ferner die soziale Lage vieler Arbeiterfamilien die 
jetzige Nichtabgeschlossenheit ihrer Wohnräume zu einem Segen 
für dieselben werden läßt, weil sie wenigstens eine gegenseitige 
Ueberwachung der Kinder und Aehnliches ermöglicht. Diese 
Verbindung der fortlaufenden Beobachtung lebendiger Wohn— 
bedürfnisse mit den Reformbestrebungen erscheint uns sehr 
wichtig. Die andere Seite der Wohnungsfrage besteht in der 
Abhülfe. Die Abhülfethätigkeit aber äußert sich nach zwei 
Seiten: in der Schaffung allgemein gültiger, gesundheitlicher 
Normen für den Wohnungsbau und in der direkten Herstellung 
von Wohnungen, welche bei aller Beobachtung gesundheitlicher 
Normen vor Allem auch der sozialen Lage der Wohnungs— 
bedürftigen gerecht werden. Mit der erstgenannten Seite der 
Sache, mit der Schaffung gefundheitlicher Normen für 
städtische Bauten, die in der praktischen Kommunalverwaltung 
angewendet werden können und sollen, beschäftigten sich nun 
speziell die Würzburger Verhandlungen. 
Die Sitädte haben sich bei der Feststellung ihrer Bau— 
ordnungen etwas spät auf die Nothwendigkeit besonnen, ge— 
sundheitlichen und sozialpolitischen Gesichtspunkten Rechnung zu 
tragen; im Allgemeinen fand zunächst in den Großstädten 
unter dem Einfluß der wachsenden Bevölkerungsanhäufung der 
letzten 20 bis 30 Jahre erst eine Ausammlung der schreiendsten 
Mißstände statt, ehe man sich auf Reformen und die Umkehr 
von der „Schablone“, wie Oberbürgermeister Adickes ganz 
richtig sagte, besann. Die „Schablone“ hatte darin bestanden, 
daß man alte Bauordnungen ruhig auch auf jeden neuen 
Stadttheil anwandte und so die alten Mißstände immer 
weiterpflanzte. Die natürliche Reaktion dagegen besteht darin, 
daß man dort, wo noch vorbeugend gewirkt werden kann, bei 
der Entstehung neuer Stadttheile, also meist städtischer Außen⸗ 
»ezirke, besondere Bauordnungen aufstellt, welche gesundheit⸗ 
ichen und sozialpolitischen Rücksichten mehr Rechnung tragen. 
Der zweite Referent, Baurath Professor Baumeister-Karlsruhe, 
Jab einen Ueberblick über die bisherige Bewegung nach dieser 
dichtung. In den Hamburger und Altonaer Außenbezirken 
ürfen Miethhäuser mit mehr als zwei übereinanderliegenden 
Vohnungen, ferner Hintergebäude und Wohnkeller nur dort 
sergestellt werden, wo regelrechter Sielanschluß stattfindet. 
dofraum, bezw. Haushöhe werden in Berlin, Breslau und 
darlsruhe verschieden normirt, je nachdem es sich um ein schon 
ebautes, oder nur ein bisher leeres Grundstück handelt. 
Fabrikfreie Wohnbezirke und bestimmte Fabrikbezirke sind in 
Dresden, Landau und am vollständigsten in Frankfurt a. M. 
vorgesehen. Die Befugnisse der Gemeinden, fuͤr gewisse Bezirke 
die offene Bauweise vorzuschreiben, sind durch Landesgesetze in 
SZachfen, Bayern, Baden, Württemberg, Hessen ausgesprochen. 
Darüber hinaus müsse aber, so führte dieser Referent aus, 
das Gesammtsystem der städtischen Bebauung planmäßig über 
das Baugebiet der Gegenwart und Zukunft nach Bezirken 
»der Zonen abgestuft werden, und zwar nach dem Grundsatz, 
)aß die Baudichtigkeit vom Stadtkern nach der Peripherie zit 
ibnimmt (wie seit 1891 in Frankfurt a. M.). Die Ein— 
erleibung etwaiger Vororte erleichtert natürlich die Zonen— 
intheilung außerordentlich. Außerdem sollte die Stadt 
uchen, von dem noch freiliegenden Terrain möglichst viel durch 
Erwerb oder Enteignung in ihr Eigenthum zu bringen. Am 
zchluß des vorigen Jahres sind noch Berlin, Breslau, Hamburg 
ind Altona dem Frankfurter Beispiel gefolgt. An der neuen 
Breslauer Bauordnung tadelte der Referent, daß versäumt 
vorden sei, mittels besonderer Vorschriften, z. B. über Fenster— 
icht, obligatorische Abstände u. s. w., den Vorstädten im All 
vemeinen mehr Weiträumigkeit zu sichern. Die Aordena 
ver Zonen durch die neue Bauordnung für die Bertiner Voi— 
orte dagegen sei nur zu loben; glücklich erfunden erscheine der 
Begriff Kleinbauten, sehr zu bedauern dagegen die Behandlung 
»er Grundstücke 1. und 2. Klasse. Dieser Klassenunterschied 
st für die Berliner Vororte nicht bezirksweise festgestellt, sondern 
»eruht auf dem Charakter der betreffenden Straße. Terrain 
2. Klasse werde nach und nach in solches 1. Klasse verwandelt 
verden, die Häuser werden dann 4 und 5 Geschosse aufsetzen 
ind Flügel anbauen, auch die Kleinbauten werden wieder 
erschwinden, um der intensiveren Bauausnutzung Platz zu 
nachen, und es ergiebt sich dann, mit einziger Ausnahme der 
andhausbezirke, ein gleichförmiger Bautypus bis an die 
iußersten Euden des großen Vorortsgebietes. Der bisherige 
Fehler, der in der Schaffung langer Reihen hoher Mieths— 
asernen und gesteigerter Bodenpreise besteht, wird damit fort— 
zesetzt. Sehr viel Erquickliches hatte also dieser Referent selbst 
aus der neuesten Praxis nicht zu melden. 
Die Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche 
Besundheitspflege ersah immerhin aus diesen Darlegungen, daß 
Jauptsächlich Frankfurt a. M. die folgerichtigste und gründlichste 
Regelung seiner Bauordnung im reformatorischen Sinne durch— 
ührte, und das Referat. des Frankfurter Oberbürgermeisters 
Adickes bestätigte, daß hier die städtische Verwaltung den 
esten Willen hat, auf dem reformatorischen Wege zu bleiben 
rotz aller Anfechtungen. Die Bedeutung der Ausführungen 
des Frankfurter Oberbürgermeisters lag in dem Nachdruck und 
der Wärme, mit welcher er die Verantwortlichkeit derjenigen 
Städteverwaltungen betonte, die mit der Verbesserung ihrer 
Bauordnungen säumen. Der tiefe Eindruck dieses Referats 
var nicht zu verkennen. Es war Vielen aus der Seele ge— 
prochen, daß für die Wohnungsfrage und die Rolle der 
tädtischen Behörden ihr gegenüber der Spruch gelte: „Der 
Worte sind genug gewechselt, nun laßt uns endlich Thaten 
ehn!“ Die Kritik der bestehenden städtischen Wohnungs— 
»erhältnisse aus diesem Munde war dementsprechend herbe, 
iber berechtigt. Die moralisch und materiell ungünstigen 
Wirkungen des Miethskasernensystems. der traurige Anblick.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.