Städtische Bauordnung und der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege.
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5tädtische FKauordnung und der Deutsche
Verein für öffentliche Gesundheitspflege.
Unter diesem Titel veröffentlicht Dr. Max Quarck in
Frankfurt a. M. in den „Blättern für soziale Praris“
Folgendes:
Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege er—
kennt die von dem Referenten geforderte unterschiedliche Be—
handlung der Bauordnungen für das Innere, die Außenbezirke
uͤnd die Umgebung von Städten als ein dringendes Bedürfniß
an und empfiehlt den betheiligten Gemeindebehörden und
Staatsregierungen, von diesem Gesichtspunkte aus in eine
Revision der bestehenden Bauordnungen und, soweit erforderlich,
der Gesetzgebung selbst einzutreten.
So Tautet die Erklärung der 18. Jahresversammlung des
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, welche am
25. Juni in Würzburg begann und welcher der Schreiber
dieser Zeilen im Auftrage der „Blätter für soziale Praxis“
beiwohnte, zur Frage der städtischen Bauordnungen. Die
Erklärung wurde einstimmig gefaßt und bedeutet eine sehr
entschiedene Stellungnahme des Vereins zu den städtischen
Wohnungsmißständen. Tie Behandlung der städtischen
Wohnungsfrage besteht einerseits darin, durch wirksame Auf—
sicht und Beobachtung zu erkunden, wie schlecht ein großer
Theil der ärmeren städtischen Bevölkerung wohnt, und daun
festzustellen, welches das normale Wohnungsbedürfniß jener
Schichten wäre. Diese Seite der Sache kam bei der Würzburger
Verhandlung nicht zur Sprache; man hielt sie wohl durch den
Entwurf zu einem Reichsgesetz über gesundes Wohnen für er—
ledigt, den der Verein bereits früher berathen hat. Immerhin
hätle ein wenig Zurückgreifen auf diesen Gegenstand nichts
schaden können, denn die wünschenswerthe Wohnungsaufsicht
liegt noch überall sehr im Argen, und doch liefert sie allein
erst die Fingerzeige dahin, wohin sich Besserungsbestrebungen
zu richten haben, namentlich, wenn bei ihr die Miether selbst
zu Wort kommen. So definirte Oberbürgermeister Adickes
als erster Referent der Würzburger Versammlung das
Wohnungsideal dahin, daß für jede Familie die abgeschlossene
Beyutzung eigener Räume ermöglicht werde (Zweietagenhaus).
Vielleicht würde die fortgesetzte Beobachtung der Wohnungs—
zustände durch eigene Organe in einer Großstadt wie Frankfurt
außerdem zu der Forderung führen, daß die gute Verbindung
mit der Arbeitsstelle des Familenhauptes ein ebenso noth—
wendiges Requisit ist, als die Abgeschlossenheit der Räume,
und daß ferner die soziale Lage vieler Arbeiterfamilien die
jetzige Nichtabgeschlossenheit ihrer Wohnräume zu einem Segen
für dieselben werden läßt, weil sie wenigstens eine gegenseitige
Ueberwachung der Kinder und Aehnliches ermöglicht. Diese
Verbindung der fortlaufenden Beobachtung lebendiger Wohn—
bedürfnisse mit den Reformbestrebungen erscheint uns sehr
wichtig. Die andere Seite der Wohnungsfrage besteht in der
Abhülfe. Die Abhülfethätigkeit aber äußert sich nach zwei
Seiten: in der Schaffung allgemein gültiger, gesundheitlicher
Normen für den Wohnungsbau und in der direkten Herstellung
von Wohnungen, welche bei aller Beobachtung gesundheitlicher
Normen vor Allem auch der sozialen Lage der Wohnungs—
bedürftigen gerecht werden. Mit der erstgenannten Seite der
Sache, mit der Schaffung gefundheitlicher Normen für
städtische Bauten, die in der praktischen Kommunalverwaltung
angewendet werden können und sollen, beschäftigten sich nun
speziell die Würzburger Verhandlungen.
Die Sitädte haben sich bei der Feststellung ihrer Bau—
ordnungen etwas spät auf die Nothwendigkeit besonnen, ge—
sundheitlichen und sozialpolitischen Gesichtspunkten Rechnung zu
tragen; im Allgemeinen fand zunächst in den Großstädten
unter dem Einfluß der wachsenden Bevölkerungsanhäufung der
letzten 20 bis 30 Jahre erst eine Ausammlung der schreiendsten
Mißstände statt, ehe man sich auf Reformen und die Umkehr
von der „Schablone“, wie Oberbürgermeister Adickes ganz
richtig sagte, besann. Die „Schablone“ hatte darin bestanden,
daß man alte Bauordnungen ruhig auch auf jeden neuen
Stadttheil anwandte und so die alten Mißstände immer
weiterpflanzte. Die natürliche Reaktion dagegen besteht darin,
daß man dort, wo noch vorbeugend gewirkt werden kann, bei
der Entstehung neuer Stadttheile, also meist städtischer Außen⸗
»ezirke, besondere Bauordnungen aufstellt, welche gesundheit⸗
ichen und sozialpolitischen Rücksichten mehr Rechnung tragen.
Der zweite Referent, Baurath Professor Baumeister-Karlsruhe,
Jab einen Ueberblick über die bisherige Bewegung nach dieser
dichtung. In den Hamburger und Altonaer Außenbezirken
ürfen Miethhäuser mit mehr als zwei übereinanderliegenden
Vohnungen, ferner Hintergebäude und Wohnkeller nur dort
sergestellt werden, wo regelrechter Sielanschluß stattfindet.
dofraum, bezw. Haushöhe werden in Berlin, Breslau und
darlsruhe verschieden normirt, je nachdem es sich um ein schon
ebautes, oder nur ein bisher leeres Grundstück handelt.
Fabrikfreie Wohnbezirke und bestimmte Fabrikbezirke sind in
Dresden, Landau und am vollständigsten in Frankfurt a. M.
vorgesehen. Die Befugnisse der Gemeinden, fuͤr gewisse Bezirke
die offene Bauweise vorzuschreiben, sind durch Landesgesetze in
SZachfen, Bayern, Baden, Württemberg, Hessen ausgesprochen.
Darüber hinaus müsse aber, so führte dieser Referent aus,
das Gesammtsystem der städtischen Bebauung planmäßig über
das Baugebiet der Gegenwart und Zukunft nach Bezirken
»der Zonen abgestuft werden, und zwar nach dem Grundsatz,
)aß die Baudichtigkeit vom Stadtkern nach der Peripherie zit
ibnimmt (wie seit 1891 in Frankfurt a. M.). Die Ein—
erleibung etwaiger Vororte erleichtert natürlich die Zonen—
intheilung außerordentlich. Außerdem sollte die Stadt
uchen, von dem noch freiliegenden Terrain möglichst viel durch
Erwerb oder Enteignung in ihr Eigenthum zu bringen. Am
zchluß des vorigen Jahres sind noch Berlin, Breslau, Hamburg
ind Altona dem Frankfurter Beispiel gefolgt. An der neuen
Breslauer Bauordnung tadelte der Referent, daß versäumt
vorden sei, mittels besonderer Vorschriften, z. B. über Fenster—
icht, obligatorische Abstände u. s. w., den Vorstädten im All
vemeinen mehr Weiträumigkeit zu sichern. Die Aordena
ver Zonen durch die neue Bauordnung für die Bertiner Voi—
orte dagegen sei nur zu loben; glücklich erfunden erscheine der
Begriff Kleinbauten, sehr zu bedauern dagegen die Behandlung
»er Grundstücke 1. und 2. Klasse. Dieser Klassenunterschied
st für die Berliner Vororte nicht bezirksweise festgestellt, sondern
»eruht auf dem Charakter der betreffenden Straße. Terrain
2. Klasse werde nach und nach in solches 1. Klasse verwandelt
verden, die Häuser werden dann 4 und 5 Geschosse aufsetzen
ind Flügel anbauen, auch die Kleinbauten werden wieder
erschwinden, um der intensiveren Bauausnutzung Platz zu
nachen, und es ergiebt sich dann, mit einziger Ausnahme der
andhausbezirke, ein gleichförmiger Bautypus bis an die
iußersten Euden des großen Vorortsgebietes. Der bisherige
Fehler, der in der Schaffung langer Reihen hoher Mieths—
asernen und gesteigerter Bodenpreise besteht, wird damit fort—
zesetzt. Sehr viel Erquickliches hatte also dieser Referent selbst
aus der neuesten Praxis nicht zu melden.
Die Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche
Besundheitspflege ersah immerhin aus diesen Darlegungen, daß
Jauptsächlich Frankfurt a. M. die folgerichtigste und gründlichste
Regelung seiner Bauordnung im reformatorischen Sinne durch—
ührte, und das Referat. des Frankfurter Oberbürgermeisters
Adickes bestätigte, daß hier die städtische Verwaltung den
esten Willen hat, auf dem reformatorischen Wege zu bleiben
rotz aller Anfechtungen. Die Bedeutung der Ausführungen
des Frankfurter Oberbürgermeisters lag in dem Nachdruck und
der Wärme, mit welcher er die Verantwortlichkeit derjenigen
Städteverwaltungen betonte, die mit der Verbesserung ihrer
Bauordnungen säumen. Der tiefe Eindruck dieses Referats
var nicht zu verkennen. Es war Vielen aus der Seele ge—
prochen, daß für die Wohnungsfrage und die Rolle der
tädtischen Behörden ihr gegenüber der Spruch gelte: „Der
Worte sind genug gewechselt, nun laßt uns endlich Thaten
ehn!“ Die Kritik der bestehenden städtischen Wohnungs—
»erhältnisse aus diesem Munde war dementsprechend herbe,
iber berechtigt. Die moralisch und materiell ungünstigen
Wirkungen des Miethskasernensystems. der traurige Anblick.