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Hohe Steinbauten. — Die Bedeutung von Mathematik und Naturlehre für die Baugewerksschule.
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schiebung, beziehungsweise ein Abrutschen kleiner oder großer
Mauertheile stattfinden können. In einem solchen Fall sind
also zu stark geneigte größere Stein- oder Fugenflächen zu
meiden. Ist dabei der Mörtel noch in sich fest zusammen
hängend, so ist dieser Mangel wegen des meist sehr großen
Reibungswinkels nicht so belangreich; ist aber gleichzeitig der
Mörtel leicht zerreiblich oder weich breiartig, so wird diese
Verschiebung schon bei geringeren Neigungen eintreten. Es
nuß dann also das Mauerwerk aus mehr lagerhaften Steinen
jergestellt werden, deren Hauptflächen möglichst senkrecht zur
Drückrichtung liegen. Hat ferner der Mörtel den Mangel,
tark zu schwinden, oder unter Druck sehr stark zusammen—
»reßbar zu sein, so sind Fugen von ungleichartiger Stärke
ingünstig, indem sie ein Drehen und Verdrücken einzelner
Steine nach sich ziehen. Wenn bei einem solchen Mörtel (zum
Beispiel zu früh belastetem, noch weichem Kalkmörtel) ein be—
deutender, excentrischer Druck oder verschieden großer Druck in
henachbarten Theilen auftritt, so kann sich auch eine zu große
Stärke der sonst gleichmäßigen Fugen als nachtheilig erweisen,
udem das Mauerwerk schief gedrückt, ausgebaucht oder ab—
gescheert werden kann, letzteres besonders dann, wenn keine ge—
rügende Verzahnung vorhanden ist. — Wir haben somit in
'ortgesetzter Stufenfolge erkannt, daß jeder Mangel des Mörtels
durch eine größere Vollkommenheit des Steinverbandes aus—
zugleichen ist. Umgekehrt muß der Mörtel um so zuverlässiger
sein, je mangelhafter die Anordnung der Steine ist.
Wird die Belastung eines Versuchsgegenstandes soweit
zesteigert, daß schließlich die Steine zerplatzen, so trägt die
Fugenfüllung wenig Schuld daran, vorausgesetzt, daß sie ge—
nügend gleichmäßig vertheilt war und nicht etwa größere
Körner enthielt, die zu fest waren, um rechtzeitig zermalmt
zu werden. Hier liegt der Kern der Frage: Der beste
Mörtel ist nicht derjenige, welcher die größte Druckfestigkeit
yjat, sondern derjenige, welcher beweglich genug ist, sich in
alle Vertiefungen hin einzudrücken, andererseits aber steif genug,
um nicht ganz oder stellenweise aus der Fuge herausgequetscht
zu werden. Wenn die Beweglichkeit nun gar noch in derselben
Weise abnimmt, wie die Last wächst, das heißt, wenn das Er—
härten des Mörtels mit dem Fortschreiten des Baues gleichen
Schritt hält, so ist der Mörtel musterhaft. Von der Schnellig—
keit der Bauausführung kann es daher abhängen, ob rasch
oder langsam bindender Cement, oder ob ein geeigneter guter
Kalkmörtel den Vorzug verdient. Beide Mörtelarten erhärten
schließlich zu starren, steinartigen Massen. Für viele Zwecke
ist dieses recht günstig, für andere Zwecke aber können sich
Stoffe besser eignen, die dauernd eine gewisse Beweglichkeit
hehalten, wie zum Beispiel das Blei oder asphaltartige Massen,
vorausgesetzt natürlich, daß sie steif genug sind, um nicht aus
den stärkst belasteten Stellen der Fugen ganz herausgepreßt
zu werden.
Die Belastung alter Bauwerke anlangend, ist darauf
hinzuweisen, daß die Hauptmassen der Mauern, die meist im
Innern nur aus Steinbrocken in Kalkmörtel bestehen, häufig
chon sehr stark beansprucht werden, daß aber einzelne, in Kalk—
nörtel versetzte Werksteinpfeiler oft sehr erheblich belastet sind.
Selbst bei Ziegelgemäuer in Kalkmörtel kommt gar nicht so
selten weit über 30 «kg Pressung vor. Trotzdem haben sich
die alten Werke, es sei nur an die unzähligen gothischen
Kirchen mit ihren kühnen Gewölben und überraschend schlanken
Pfeilern erinnert, durch viele Jahrhunderte musterhaft erhalten.
Daß eines einstürzt, kommt trotz der großen Unbilden durch
Vernachlässigung oder bauliche Veränderung sehr selten vor,
während Einstürze unserer, weit weniger zahlreichen großen
eisernen Brücken leider nicht zu den Seltenheiten gehören.
Am Schlusse seiner hochinteressanten Betrachtungen die wir
der „Thonindustrie-Ztg.“ entnehmen, geht Herr Mohrmann
ioch auf die Vorzüge der aus leichtem Ziegelmauerwerk herge—
tellten unbelasteten reichen Gewölbekappen unserer Kirchen näher
'in, die er, selbst für Weiten von 8 bis 10 mund mehr, nur
10 bis 12 em dick, freihändig aus leichten porösen Steinen
in gewöhnlichem Kalkmörtel herzustellen empfiehlt.
Die Bedeutung von Mathematik und UNatur-
lehre für die Baugewerksschule.
Von M. Wekwerth,
Mathematiker an der Baugewerksschule zu Buxtehude.
In der „Zeitschrift für gewerblichen Unterricht“ finden wir
—DD0
aitten:
Die Lehrpläne der Schulen, welche die Ausbildung von
Bautechnikern anstreben, haben in den letzten Jahren zumeist eine
vesentliche Veränderung erfahren durch Neuaufnahme, bezw.
tärkere Betonung der mathematisch-naturwisseuschaftlichen Lehr—
ächer, Die größere Aufmerksamkeit gegenüber diesen Lehrgebieten,
velche noch heute von mancher Seite als eine unbequeme und
iberflüssige Vermehrung der Arbeitslast angesehen wird, hat
hne Zweifel ihren Grund in einer Wandlung der Anschauungen
iber Zwecke und Ziele der technischen Schulen und über die
Mittel zur Erreichung dieser Ziele. — Die älteren Anstalten
hetrachten es hauptsächlich als ihre Aufgabe, eine Summe von
denntnissen, die im Baugewerbe erfahrungsmäßig erworben und
ils praktisch befunden wären, in Form von Rezepten zu über—
iefern, wobei natürlich eine systematische Durcharbeitung der
inzelnen technischen Wissensgebiete keineswegs ausgeschlossen ist;
)ie unbedingt erforderlichen mathematisch-naturwissenschaftlichen,
denntnisse wurden gelegentlich als Regeln gelehrt. Auf diese
Weise wurden Techniker geschult, welche durch ihre sicheren
denntnisse in Baukonstruktion und bei genügender Entwickelung
»es technischen Darstellungsvermögens in kleineren Verdhälinissen
ehr wohl nützen konnten, die aber den gesteigerten Anforderungen
der modernen Technik in keiner Weise gewachsen waren. — Ein
großer Theil der Schulen kam daher diesen Bedürfnissen durch
Umgestaltung der Lehrpläne entgegen. Eine durchgreifende
Aenderung wurde ziemlich allgemein herbeigeführt durch die
»reußische „Prüfungsordnung für Baugewerksschulen“ vom
3. September 1888, welche auch auf die meisten Nach—
harstaaten ihren Einfluß ausübte. Ausgehend von dem Ge—
»anken, daß die Baugewerksschulen nicht allein Poliere für den
Bauplatz und Zeichner für Maurer- und Zimmermeister auf dem
latten Lande heranzubilden, sondern auch dem fühlbaren Be—
dürfnisse nach gewandten technischen Hilfsarbeitern für die staat—
iche Bauverwaltung und für die mit größeren Arbeiten aller
Art betrauten Archikekten und Ingeuieure abzuhelfen hätten, wird
n jener Prüfungsordnung neben einem gründlichen Wissen in
zraktischer Baukonstruktion und den verwandten Fächern auch ein
hestimmtes Maaß theoretischer Kenntnisse gefordert, durch welche
enes praktische Wissen die nöthige Begründung erfahren soll.
ẽs unterliegt wohl keinem Zweifel, daß durch eine solche Ver—
iefung ihres Wissens die technischen Hilfsarbeiter zur Auffassung
ind Ausführung der ihnen übertragenen Aufgaben geeigneter ge—
nacht werden. — Sehen wir nun einmal zu, in welchem
Umfange die Mathematik und Naturlehre herangezogen werden
nußten, um zu der theoretischen Ausbildung beizutragen.
Die im Baufache vorkommenden Körperformen lassen sich
im allgemeinen zurückführen auf die einfachen geometrischen Ge—
zilde, welche in der Stereometrie betrachtet werden; eine gründ—
iche systematische Durchnahme der räumlichen Geometrie wird
zaher für den Techniker unerläßlich sein, weil dadurch sein An—
chauungs- und Darstellungsvermögen auf's Beste entwickelt wird.
Soll aber die Stereometrie durchgenommen werden, so ist die ge—
naue Kenntniß der Elemente, des Punktes, der Geraden, des
ckreises und ihrer Beziehungen zu einander vorauszuschicken, es
st also vorher die Planimetrie zu behandeln. Ja, es wäre sogar
für den Bautechniker wünschenswerth, wenn der Lehrgang
der Planimetrie mit einer kurzen Besprechung der wichtigsten
rigenschaften der Kegelschnitte, besonders der Ellipse abgeschlossen
vürde. Die Nothwendigkeit, die elementare Geometrie an der
Baugewerksschule zu lehren, dürfte damit erwiesen sein.'
Der Umfang, in welchem die rechnenden Zweige der Mathe—
matik, die Algebra und Trigonometrie, zu behandeln sind, richtet
sich hauptsächlich nach der Bedeutung, welche man dem Unterrichte
in der Theorie der Baukonstruktionen beimißt. Will man, wie
dies durch die Prüfungsordnung offenbar bezweckt wird, technische
Hilfskräfte erziehen, welche im Stande sind, auch eine schwierigere
Berechnung aus der Statik oder Festigkeitslehre mit Verständniß
zu verfolgen und leichtere derartige Berechnungen sogar selbst
auszuführen, so muß in der Algebra die Lehre von den Potenzen
und Wurzeln eingehend behandelt werden; die Logarithmenlehre
nuß der Schüler als rechnerisches Werkzeug sicher in sich auf—
riehmen; die Auflösung der Gleichungen ersten Grades mi—