Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter.
196
Wohlfahrtseinrichtungen
Vortrag, gehalten am 20. November
Bonner Bürgervereius von F.
III. (Schluß.
Man begegnet oft der Meinung, die ungeheuren Summen,
welche die staatlichen Arbeiterschutz-(Hesetze erfordern, trüge zum
großen Theil der Staat, also die Gesammtheit der steuer—
zahlenden Bevölkerung. Das ist ein Irrthum. Arbeiter und
Arbeitgeber haben zusammen 3300 Millionen, also annähernd
zu, Miilliarden Mark eingezahlt, während der Staat bisher
nur 104 Millionen und zwar für die Invaliditäts- und
Altersversicherung beigetragen hat. Voraussichtlich wird der
Gesammtbeitrag des Staates für diese Versicherung mit den
Jahren steigen. Aber auch diese Summen, die vom Staate
heigetragen werden, haben die Arbeitgeber und die Arbeiter,
die Letzteren soweit sie überhaupt Staatssteuer bezahlen, durch
die Staatssteuer-Umlage wieder mit aufzubringen.
Selbst die Kosten der Verwaltung tragem nicht alle
Staatsbürger gemeinschaftlich, sondern sie werden nur von den
Beiträgen der Arbeiter und Arbeitgeber bestritten. Diese
dosten betrugen für die Verwaltung
1. der Krankenkasse 104 Mill. Mark
2. der Unfallversicherung —V
3. der Invaliditäts- u. Altersversich. 28,
der drei Kassen zusammen bisher: 221 Mill. Markf.
Daß eine in so großem Stile eingerichtete Arbeiter-Ver—
iicherung Kosten verursacht und auch bedeutende Kosten, das
ist erklärlich, aber wir wollen nicht unbeachtet lassen, daß die
persönlichen Verwaltungskosten solchen Mitmenschen zu Gute
kommen, die wir nicht zu dem Arbeiterstande zu zählen pflegen.
Wenn wir für diese Personen, welche die Verwaltung besorgen,
nach Abzug eines ausreichenden Betrages für die sächlichen
Ausgaben, durchschnittlich ein Jahresgehalt von 1600 Mk.
annehmen, dann ergiebt sich die Zahl von jährlich 12000 Be—
amten, also ungefähr soviel, wie es Postbeamte im Königreich
Bayern giebt. Dazu kommen noch die in Fabriken mil der
Verrechnung der Beiträge zu den verschiedenen Kassen be—
schäftigten Personen. Die Zahl dieser Fabrikbeamten können
wir, wenn wir das gleiche Einkommen dafür in Anrechnung
bringen, auf jährlich 3000 annehmen. Die Gesammtzahl aller
für diese Versicherungskassen fortwährend auf Kosten der
Arbeiter und Arbeitgeber beschäftigten Beamten beträgt also
17 000. Die Gesammtzahl der überhaupt für diese Ver—
sicherungen thätigen Personen ist noch viel größer. Denken wir
nur daran, welche große Vermehrung des Arbeiterpersonals
auf den höheren und niederen Verwaltungsbureaux in Folge
der Arbeiterschutzgesetze habe stattfinden müssen.
Ob und welche Wohlfahrtseinrichtungen angesichts der
außergewöhnlichen Belastung von Gewerbe und Industrie noch
wünschenswerth erscheinen, können wir dahingestellt sein lassen.
Nur wird es das Wohl der Arbeiter selbst erfordern, nicht
alles auf dieselben Schultern zu laden, damit wir die Her—
tellungskosten der deutschen Waaren nicht noch mehr vertheuern,
Handel und Industrie nicht aus dem Lande treiben und die
Arbeiter, für die wir sorgen wollen, nicht brotlos machen.
Ein warnendes Beispiel haben wir an England. Durch
seine hohen Löhne mußte vor kurzem wieder ein sehr großer
Auftrag auf Eisenschienen nach dem Auslande vergeben werden,
der sonst dem eigenen Lande erhalten geblieben wäre.
Es wird behauptet, daß alle Wohlfahrtspflege auf dem
alten Grundsatze beruhe, daß jeder Mensch ein Recht auf
Eristenz habe und vor dem Verhungern bewahrt werden müsse.
Angenommen, dieser Grundsatz sel richtig, so ist die nächste
Folgerung, daß diesem angenommenen Rechte auch eine Pflicht
zur Erhaltung der gefährdeten Existenz gegenüber treten muß.
Diese Pflicht kann aber folgerichtig nicht auf einzelne Berufs—
kreise abrewälzt werden, sondern sie fällt der Gesammtheit zu.
Die Gesammtheit hat sie deshalb zu tragen, weil sie sich in
ihrem ganzen Bestande von oben 'nach unten, durch die in
allen Kreisen sich vollziehenden körperlichen und geistigen Nieder—
gänge, aus den untersten Schichten wieder ergänzen muß
für Arbeiter.
1897 im Saal⸗ des
Soennecken.
Ohne die Möglichkeit der Ergänzung von unten würden die
oberen Volksschichten auf die Dauer untergehen. Alle Kreise
tehen sonach mit den untersten in einer bindenden, in der
Weltordnung begründeten Beziehung. Da nun die Frage der
Wohlfahrtspflege für die untersten Volksschichten mit Recht in
erster Linie an die Gesammtheit herantritt, so kommen haupt—
ächlich diejenigen Einrichtungen in Betracht, die von der All—
jemeinheit für die Allgemeinheit geschaffen werden. Alle be—
onderen Veranstaltungen der Fuͤrsorge mögen in dem be—
chränkten Kreise, für den sie bestehen, Nutzen stiften, allein sie
ind keine gründlichen Mittel.
Dem Arbeiterstande können wir keine größere Wohlfahrts—
flege angedeihen lassen, als wenn wir für Unterricht und
ür Arbeit sorgen.
Der Jugend muß der Segen eines guten und gründlichen
Schulunterrichts zu Theil werden. Da die eigentliche Er—
siehung in den Arbeiterfamilien meist nur unvollkommen ist,
müssen wir erwarten, daß die Schule diese wichtige Arbeit
ibernimmt. An die Schule stellen wir die höchsten Aufgaben
ür die Volkserziehung. Daß wir ihr aber auch die Erfuͤllung
inserer Erwartungen gern erleichtern, ist gegenwärtig noch
)urch die nicht unwesentliche Erhöhung sämmilicher Lehrer—
gehälter deutlich zum Ausdruck gekommen. Die Schule hat in
der Frage, die uns beschäftigt, angesichts der von allen Seiten,
yon unten und von oben kommenden zersetzenden Bestrebungen
nehr als bisher die Pflicht, für eine streng sittliche Erziehung
der heranwachsenden Jugend und für Ausbildung namentlich
des Charakters zu sorgen. Tritt dann eine so fuͤr Nächsten—
ind Vaterlandsliebe und für Selbstachtung erzogene Jugend
nit guten grundgelegten Kenntnissen in die Lehrzeit ein, dann
st darauf zu halten, daß in ihr die als richtig anerkannten
Hrundsätze der Erziehung weiterhin die strengste Beachtung
inden. Ueberall sollten Fortbildungsschulen bestehen, in denen
ich die Jünglinge während der Lehrzeit weiter ausbilden
önnen. Es sollte darauf gesehen werden, daß sich der Unterricht
licht auf die Fachkenntnisse beschränke, sondern darauf ge⸗
richtet werde, den Jüngling zu einem nützlichen Gliede der
nenschlichen Gesellschaft zu machen. Trotz der vielbeklagten
nateriellen Strömung unserer Zeit ist eine Vertiefung auch der
derzensbildung für das sittliche Gedeihen und Fortkommen
des Menschen unerläßlich. Der zum Gesellen herangebildete
Arbeiter wird sich in seiner Existenz um so gesicherter fühlen,
e mehr er sich tüchtige Kenntnisse und Fähigkeiten für seinen
Zeruf erworben hat. Er wird sich schwerlich jemals zu
»emjenigen Arbeiterkreise zählen, der seine Hoffnung auf fremde
Zülfe einrichtet.
Die Heranbildung der weiblichen Jugend ist nicht weniger
vichtig. Die Sorge für eine richtige und gründliche Unter—
veisung der Schülerinnen in den häuslichen Arbeiten ist im
hesonderen die Veranlassung zu den Vorträgen, die hier ge—
jalten werden. Denn so nothwendig die eigene Tüchtigkeit
ind Gesundheit des Arbeiters für sein Fortkommen auch sein
nag, nichts erscheint nothwendiger, als daß er in seiner Familie,
n dem Zusammenleben mit seinen Angehörigen, eine behagliche
däuslichkeit und vor allen Dingen auch eine schmackhafte und
jut zubereitete Nahrung finde. Darum gehören zu der Aus—
ildung der weiblichen Jugend vor allem der Ünterricht im
dochen und in Hausarbeiten. In den Städten Kassel, Köln,
dagen, München und vielen anderen sind bereits Haushaltungs
ind Kochschulen mit bestem Erfolge mit dem Elementarunter⸗
iichte obligatorisch verbunden. Ss ist dringend zu wünschen,
»aß der obligatorische Haushaltungs- und Kochuͤnterricht in
allen Volksschulen eingeführt werde. Einen nüthzlicheren und
ür die Wohlfahrt der Arbeiter zweckdienlicheren Unterricht
hürfte es kaum geben.
Die richtige Erziehung der Jugend ist die beste und nach—
haltigste Hülfe, die wir dem Arbeiterstande gewähren können.
—, Die Früchte wird die Zukunft zeitigen. Für die der
Schule und der Lehrzeit bereits entwachsenen Arbciter handelt
A nächst der Gesundheit um den Segen der Arbeit. Die
Gesundheit, das köstlichste Erdengut, können wir durch hygienische
Maaßnahmen zu erhalten und zu fördern suchen, gegen die