Volksthümliche Bauweise. — Mittheilungen aus der Praris.
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Volksthümliche Baumeise.
Kürzlich wurden in Baden 5000 Mark zur Förderung
»iner Darstellung der Entwickelung des deutschen Bauernhauses
iu sein Staatsbudget eingestellt. Der löbl. Vorgang lenkt
die Aufmerksamkeit wieder einmal auf die Bestrebungen zur
Wiedergeburt einer volksthümlichen Bauweise, zu dem auch in
Jewissem Sinne die künstlerische Tendenz der „Moderne“ ae—
vören will.
Heute ist volksthümliche Bauweise in den Städten nicht
nehr vorhauden, von den neueren, aber wenig zahlreichen Bei⸗—
spielen abgesehen. — Auch in den Dörfern schwindet sie mehr
ind mehr, sie, die Freude eines Jeden, der offenen Auges
ind mit kunstsinnigem Herzen durch die sächsische Schweiz,
Nordböhmen, die Lausitz, durch Thüringen, die Vierlande, den
Schwarzwald u. s. w. wandelt. Wie sollte er es nicht be—
lagen, daß die originellen, eigenartig angelegten und ge—
chmückten Bauernhäuser mehr und mehr akademischen Ge—
Ȋuden Platz machen, die keines Menschen Auge erfreuen
önnen! Farblos, glatt, symmetrisch und langweilig sind sie,
elbst die Schwalben wollen von diesen langweiligen charakter—
osen Kästen nichts wissen. Die Ursachen dieses bedauerlichen
Mangels an Originalität, Reiz und Styl in der modernen
ändlichen Bauweise sind aber zum Theil ganz andere, als die
Lerdrängung des Hausfleißes durch die Handwerks- und die
Fabrikarbeit.
Regierungsbaumeister Gruner war es, der die traurige
Erscheinung in der Baupolizeiordnung für Dörfer, sowie auch
in der zwangsweisen Immobiliar-Feuerversicherung und in der
schablonenhaften Vorbildung unserer ländlichen Baumeister
suchen zu müssen glaubte. Wer da weiß, wie schwer die
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nicht um Lebensinteressen, sondern „nur“ um Schönheit
sandelt, wird seine Hoffnungen stark einschränken, daß die
alten volksthümlichen Bauweisen gegenüber jenen gesetzlichen
Vorschriften je wieder völlig zur Geltung kommen könnten.
Auch die volksthümliche Bauweise tritt damit in den Kreis
der dem Untergange geweihten Volkseigenthümlichkeiten, die
durch Bild und Schrift zu erhalten, Pflicht des Kulturhistorikers
st. Solche Arbeiten, wie die oben erwähnte, von der badi—
chen Regierung subventionirte, sind daher zu begrüßen. Nur
ollte mehr praktischer Nutzen aus ihnen gezogen werden.
——
Finfluß ist zu spärlich geblieben. Mit Recht weist Gruner
darauf hin, daß die klassischen Baustile in den 81/2 Jahr—
sunderten seit ihrer Einführung dem schlichten deutschen
Manne nie vertraut, oder auch nur sympathisch geworden sind;
die Sprache der Monumente ist ihm zumeist heute noch un⸗
»erständlich, und wenn man die Bemühungen um die
Deutung und sonstige gelehrte Streitigkeiten um die antiken
n kennt, kann man ihm daraus keinen aroßen Vorwurf
nachen.
Gegenüber der fremd hereingetragenen, akademisch-klassi—
chen Bauweise kennzeichnet sich die volksthümliche Bauweise
»adurch, daß sie aus den Bedürfnissen und Gewohnheiten des
alltäglichen Lebens in einem räumlich oder zeitlich begrenzten
Kebiete hervorgewachsen ist — nicht von außen hineingetragen
oder die Bauweise anderer Gegenden oder Zeiten nachahmend
Sie muß somit vom Bauhandwerker ohne höhere Schulung
eübt und vom Durchschnittsmenschen seiner Epoche verstanden
verden. Stellt man nun noch die weitere Bedingung, daß
die volksthümliche Bauweise ihren Aufgaben mit ihren Mitteln
m der tektonisch und konstruktiv richiigsten Weise genüge, so
önnte man fast dazu gelangen, „volksthümlich“ bauen und
stilgerecht“ bauen als gleichwerthig zu schätzen, denn auch der
chie Baustil soll in der tektonisch richtigssien Weise das geistige
Turchschnittsniveau eines Volkes in der Zeit, welche das
Bauwerk geschaffen hat, ästhetisch veranschaulichen. Wenn
me Bauweise volksthümlich werden soll, muß die große
Menge narurgemäß Juteresse und Verständniß für deren Auf—⸗
Jjaben haben Solches kann sich aber in weiteren Kreisen
meist nur dann entwickeln, wenn diese selbst genöthigt sind
zu bauen. In den größeren Städten mit, ihrem Mieths—
kasernen- und Bauspekulantenwesen ist das ja längst nicht mehr
der Fall, nur in kleinen Landstädten und in Dörfern — auch
da leider nicht mehr überall — findet man hier und da noch
eine frische volksthümliche Bauweise in naiver Ausübung.
Sie zu erforschen, ist also nicht nur aus wissenschaftlichen
Bründen wünschenswerth; derartige Untersuchungen geben nicht
iur Aufschlüsse oder doch Fingerzeige über Ursprung, Wan—
»erungen und Vermischung, sondern auch über die Charakter—
zrundzüge der Völkerschaften. Ferner kann uns das Studium
ändlicher Wohnsitze sehr wohl lehren, wie der Mensch bei
iller Beschränkung in den Ausdrucksmitteln einen edlen Sinn
ür die Formgebung entwickeln kann, das Material mit dem
einsten Instinkt auszuwählen versteht und die Konstruktion
o virtuos auszubilden vermag, daß wir noch jeden Tag da—
son lernen können. Endlich ist nicht zu unterschätzen, daß die
ür Wohnhäuser sehr zu wünschende malerische Schönheit, die
s versteht, sich der Umgebung und der Landschaft anzupassen —
m Gegensatz zu der steifen Regelmäßigkeit und mathematischen
Schönheit der Monumentalbauten — am besten und ursprüng—
ichsten an den ungezwungenen Bauten kleiner Landstädte
und echter Dörfer studirt und gelernt wird. Auch sind sehr
niele jener Motive schon den romanischen Stilarten, die den
lassischen Bauwerken fremd waren, von Bauwerken des platten
Ldandes (aus der Feudalzeit) übernommen worden; es sei hier
iur an diejenigen erinnert, die zur Befestigung und Ver—
heidigung dienten, wie Thürme mit Pyramiden- und Regel—
dächern, Hauptgesimse mit Machiculis und Flankirungsthürm—
hen, Mauern und Giebel mit Zinnen und Schlitzlöchern (für
Armbrustschützen) — lauter Elemente, von denen auch unsere
tädtischen Prachtbauten gern Gebrauch machen, um malerische
Wirkung zu erzielen. Endlich ist es nicht bedeutungslos, daß
die moderne englische Bauweise, in dankbarer Erinnerung an
ihre ländlichen Vorbilder, sich selbst als Cottage-Architektur
cottage — Landhaus) bezeichnet.
Viel Holz steckt in solchen Bauten, das ist wahr, und
darum macht man der Bauweise den Vorwurf ernster Feuer—
zefährlichkeit. Man braucht nur die ausgedehnten Landhaus—
diertel englischer und amerikanischer Städte zu durchwandern,
im zu sehen, daß den verbietenden Vorschriften der Baupolizei—
ordnungen durchaus nicht die volle Wahrheit zukommt. Dann
denke man an die norwegischen Holzkirchen u. v. a. m. Daß
jingegen unsere nach moderner Bauweise errichteten massiven
Bebäude nicht absolut sicher sind. davon sprechen Einstürze
genug.
Aber abgesehen hiervon, die alte Bauweise kann doch
uiicht unverändert belebt werden. Sociale Verhältnisse, Lebens—
jaltung, Verkehr und andere Dinge, auch die Hilfsmittel und
zie Technik unseres Bauwesens haben inzwischen Veränderungen
rlitten und Fortschritte gemacht, die man nicht einfach
gnoriren kann. Aber wenn die Reformbestrebungen unserer
Tage auf dem Gebiete der Wohnungsfrage Erfolg haben
ollen, wenn es namentlich den im Werke befindlichen Be—
nühungen gelingt, einer wirklich ländlichen, vernünftigen Bau—
veise die Wege wieder zu öffnen, so wird, wie Gruner u. v. a.
chon lange forderten, man auch den für gewisse Zwecke uner—
etzlichen Holzbau wieder in seine alten Rechte einsetzen müssen,
auch unserer Staatsforstwirthschaft zum Gewinn. Möge die
»ben angezogene Darstellung der Entwickelungsgeschichte des
Bauernhauses dazu beitragen, volksthümliche Bauweise zu ver
zreiten. („Deutsche Bauhütte“, Hannover.)
Mittheilungen aus der Praris.
Moderne Anforderungen an Hôtelbauten. Ueber
ieses Thema hielt am 17. März in der Vereinigung Ber—
iner-Architekten Herr C. Gause einen in der Deutschen Bau—
zeitung wiedergegebenen Vortrag, davon ausgehend, daß die
nodernen Anforderungen an Hõtelbauten zurückzuführen sind
auf größere Ansprüche an den durch eine bessere Lebenshaltung
hervorgerufenen und gewünschten Komfort, auf den Einfluß
)es Auslandes, auf die mit beiden Umständen zusammen