Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 58, Bd. 17, 1898)

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Ron neuen und alten Handwerkergesetzen. — Der neue Hypothekenbank-Gesetzentwurf. 284 
die Hörigkeit weniger großer Kaufleute zurücksinken, ähnlich wie 
ovr dem Anfange des Zunftwesens die ersten Handwerker der 
Horigkeit großer Herten und den Klöstern unterstanden, so mußten 
dieselben selbst für den Absatz ihrer Waaren, die jetzt ja ein Jeder 
erzeugen oder doch verhandeln konnte, forgen. Dieses konnte 
aber nur durch den möglichst kaufmännischer Vertrieb geschehen 
Hierzu mußte die Gelegenheit zum vortheilhaften Feilbieten ge— 
sucht werden, was natürlich bei der heillosen Konkurrenz nur 
durch möglichst auffällige Ausstellung der Waaren möglich war 
Aus diesem Grunde wurde denn von dem Handwerker ein Laden 
gemiethet; zu der selbstgefertigten Waare wurden neue Artikel 
zugelegt, die nicht im Handwerksbetrkieb angefertigt waren, sondern 
der Billigkeit halber von Fabrikanten gekaust wurden. Wer 
nicht baar zahlen konnte erhielt bereitwillig Kredit, der um so 
lieber gewährt wurde, weil der Pumper bekanntlich hundertmal 
leichter kauft, wie der baar Zahlende. Damit war aus dem 
einstigen, Zunftmeister voll Würde und Selbstbewußtsein der 
kaufmännisch nicht gebildete Kaufmann geworden. Was Wunder, 
wenn der gelernte Kaufmann oder der durch Jahrhunderte lange 
Inzucht aufeinander folgenden Generation lauter Althändler zum 
raffinintesten Verkäufer emporgeschrobene Handelsmann den un— 
ersahrenen Handwerker übertölpelte. Natürlich wurde das Fehlen 
jeglicher kaufmännischer Erfahrung bald von dem einstigen Zunft— 
meister, der vormals mit Verachtung auf die federleichten und 
zungengewandten Händler, vulgo Trödler, als nicht arbeitende 
Dronen herabgesehen hatte, tief empfunden. Blieb nun der bis— 
herige Schuhmachermeister nach Eröffnung eincs Lädchens noch 
vor allem Handwerker, so sollte der Sohn es doch schon besser 
Juben: derselbe mußte Kaufmann werden. Letzterer hatte aber, 
nachdem der Vater gestorben, nur noch Interesse und Kenntnisse 
des kaufmännischen Theiles des väterlichen Geschäftes und ver— 
gaß gern das ehrenhafte Handwerk, das seine Vorfahren mit 
Stolz betrieben und wovon sie sich ehrlich ernährt hatten. 
Kein Wunder, wenn also der Handwerkerstand bei so ver— 
änderten Verhältnissen nach Einführung der neuen Gewerbe— 
ordnung mehr und mehr von seiner früheren Höhe herabsank. 
Allerdings hielt ein anderer Theil der alten Innungsmeister das 
handwerk auch ferner in Ehren, mußte aber in der gegebenen 
Zwangslage sich gleichfalls zum Kaufmann umwandeln, wollte 
er nicht zurückbleiben. Solche Meister gingen, und woͤhl sehr 
häufig mit großen Sorgen, zum Großvertrieb ihrer Waarener— 
zeugnisse über. Tiese nunmehrigen Fabrikanten mußten, wie ge— 
sagt, gleichfalls nun erst recht sich kaufmännischer Geschäflts— 
führung befleißigen, wollten sie ihre bisherige Unabhängigkeit 
bewahren, während ihre früheren Gesellen im jetzigen Großbetriebe 
zum Stückarbeiter herabsanken, sollte ihre nunmehrige Arbeit 
als Fabrikwaare preis- und konkurrenzfähig bleiben. Äuch diese 
letzteren beiden, Herr und Arbeiter, vergaßen die gesicherte, wenn 
kleine Existenz früherer Handwerkerherrlichkeit und wurden 
gleichgültig gegen Alles, was an das einstige Handwerk erinnerte. 
So wüthete denn in dem ersten Jahrzehnt nach Einführung 
der Gewerbeordnung eine Revolution im Handwerk, welche, wie 
alle Revolutionen, das bisherige Gute zugleich mit dem alten 
Schlechten umstürzte, vorerst ein Durcheinander der wüstesten 
und unsichersten Zustände hervorbrachte, aus welchen erst ganz 
allmählich, und nicht, ohne vorher die größten Opfer in den be— 
trotfenen Kreisen gesordert zu haben, eine neue Zeit der Klärung 
hervorging. Aus dieser langsamen Klärung vermochten dann 
die besten der aus dem Chaos übriggebliebenen Geister, hier 
also die intelligentesten Meister und Gesellen, welche treu bei 
ihrem Handwerk ausgehalten hatten, dasjenige Gute herauszu— 
fuchen, was die vorangegangene Sturmfluth an das retitende 
Ufer zurückgespült hatte. 
Und damit kam dann die Zeit der Wiederauferstehung. Immer 
deutlicher hatte sich das Sinken des einst so kräftigen Mittelstandes 
in Deutschland bemerkbar gemacht. Die wenigen vorhandenen 
üchtigen Handwerksmeister, die noch das Selbstbewußtsein und 
den Stolz, welcher die einstigen Zunftmeister auszeichnete, sich 
bewahrt hatten, vereinigten sich in freiwilligen Innungen zu ge— 
meinsamer Hilfe und kräftigem Zusammenstellen in allen Hand— 
werksangelegenheiten. Die zunehmende Macht des deutschen 
Vaterlandes wirkte kräftigend auf die Erinnerung früheren An— 
sehens des Standes; jetzt, nachdem der französische Einfluß auf 
dehört hatte, lag in dem Ausdruck „Arbeiter“ und „Handwerker“ 
tin bewußteres Selbstgefühl. Mit bieler Mühe gelang es, unter 
anzuerkennender Unterstützung der Regierungsorgane, den jahre— 
langen Bestrebungen der Handwerker durch ein Gesetz eine soiche 
westaltung zu geben, die der Hoffnung Raum giebt, daß das 
alte Ansehen des einst so mächtigen deutschen Zunftwesens, ge— 
autert durch eine neue Zeit und bhefreit pon dem Ballast allser 
Gebräuche und Mißbräuche wieder erstarken wird zu neuer Lebens— 
kraft, zum Vortheil der Handwerksgenossen, zur Auferstehung 
des so nothwendigen Meittelstandes und zur Belebung des ehr— 
baren, freien und unabhängigen Bürgerthums. — 
(Nordd. Baugewerks-Anzeiger.) 
Der neue Hypothekenbank-Gesehentwurf. 
4. 
Dem „Grundeigenthum“, Zeitschrtft für Hausbesitzer, ent— 
iehmen wir folgenden interessanten Beitrag: Das deutsche 
dypothekenbankwesen hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte 
aus ziemlich bescheidenen Anfängen zu einem gewaltigen wirth— 
chaftlichen Faktor entwickelt, dessen kolossale Bedeutung schon 
allein aus der ziffernmäßigen Thatsache erhellt, daß heute mehr 
ils fünf Milliarden Mark des deutschen Nationalvermögens in 
Pypothekenpfandbriefen angelegt sind und daß die als Unterlage 
ind Sicherheit dienende Hypotheken diesen Betrag noch um mehrere 
jundert Millionen Mark übersteigen. Die Organisation dieses 
Jewaltigen Wirthschaftsfaktors aber läßt zur Zeit noch sehr viel 
zu wünschen übrig: in jedem Bundesstaat besteht eine andere 
Bankpolitik und ein anderer Rechtszustand. Es ist daher von 
allgemeinstem Juteresse und eine dankenswerthe That an sich, 
daß die Regierung jetzt der Oeffentlichkeit einen Gesetzentwurf 
porgelegt hat, der eine Vereinheitlichung des bisherigen zerfahrenen 
Rechtszustandes anstrebt. Und diese That ist von unserem Stand⸗— 
»unkte um so freudiger zu begrüßen, als die Wünsche des 
tädtischen Haus- und Grundbesitzes, der an dieser Regelung mit 
n erster Linie interessirt ist, eine ziemlich weitgehende Berück— 
ichtigung gefunden haben. Aber auch sonst hat sich der Entwurf, 
wvas viel sagen will, im Großen und Ganzen ziemlich allgemeiner 
Zustimmung zu erfreuen, und so steht zu hoffen, daß er in der 
tommenden Reichstagssession, wenn auch mit einigen Abänderungen, 
zur Annahme gelangt. 
Der neue Entwurf enthält 35 Paragraphen, von denen 
indeß eine ganze Anzahl für den städtischen Haus- und Grund— 
hesitz ohne besonderes Interesse sind, da sie sich im Wesentlichen 
iur auf die Sicherstellung der Pfandbriefgläubiger beziehen. 
Wir wollen daher nur diejenigen Entwurfsbestimmungen hier 
eingehender besprechen, die für unseren Leserkreis von Bedeutuug 
ind, oder sonst ein allgemeineres Interesse beanspruchen Und 
Jleich vorweg machen wir darauf aufmerksam, daß die ganze 
Neuordnung in der Hauptsache erst zusammen mit dem Bürger— 
lichen Gesetzbuch, also nicht vor dem 1. Januar 1900, in Kraft 
reten soll und daß einzelne Bestimmungen auf die dann be— 
tehenden Hypothekenbanken auch späterhin keine Anwendung 
inden werden. 
Wenn man unter der bankmäßigen Organisation des Boden— 
redits Einrichtungen versteht, welche die jeweils in Hypotheken 
angelegten Gelder durch die Ausgabe von daraus basirten Schuld— 
herschreibungen wieder flüssig machen, so erhebt sich zunächst die 
zrinzipielle Frage, welcher Art und Rechtsform diese Einrichtungen 
ein müssen, damit sie ihre Aufgabe zweckmäßig und dem Gemein— 
vohl entsprechend erfüllen können Es werden Bänkformen sein 
nüssen, die dem Wesen des Hypotheken- und Pfandbrief— 
yerkehrs entsprechen und die auch ihrem Vermögensstande 
iach für die Sicherstellung der Pfandbriefgläubiger eine 
usreichende Bürgschaft bieten. Mit Rücksicht darauf schreibt der 
neue Entwurf aus gutem Grunde vor, daß künftig nur Bank— 
formen konzessionirt werden sollen, bei denen ein festes Grund— 
»der Stammkapital, wie es sich für den Betrieb der Hypotheken— 
Jeschäfte als nothwendig erweist, gesetzlich sichergestellt ist: Aktien— 
zesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesell— 
chaften mit beschränkter Haftung. Einfachen Kommanditgesell- 
chaften, offenen Handelsgesellschaften, eingetragenen Genossen— 
chaften und einzelnen Personen ist der Betrieb des Hypotheken⸗ 
pankgeschäfts künftig im Allgemeinen untersagt. Die Regierung 
vill indeß nicht mit rauher Hand in historisch gewordene Ver— 
zältnisse eingreifen: jene Regel läßt daher den Bestand der beim 
Jukrafttreten des neuen Gesetzes vorhandenen Hypothekenbanken, 
zleichviel in welchen Rechtsformen sie bestehen, im Großen und 
Banzen unberührt, und sie bezieht sich überhaupt nicht auf wirth— 
chaftliche Vereinigungen kreditbedürftiger Haus- und Grund— 
„esitzer, welche die Beschaffung von Grundkredit und die Errichtung 
zon Bodenkreditanstalten im Wege der Selbsthilfe anstreben. 
Die Regierung hat eben bei der Hypothekenbankreform nur die 
eigentlichen Hypothekenbanken im Auge, denen ihr Betrieb reines 
erwerbsgeschäft und Selbstzweck ist Solche Erwerbsgesell
	        
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