Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 58, Bd. 17, 1898)

171 Veitheiligung der Arbeiter am Geschästsgrwinn. — XIII. Wanderbersammlung des Verbaudes deulscher Architelten- ꝛc., 172 
in glänzendster Weife und wurde bahnbrechend für alle späteren 
Versuche auf diesem Gebiete, bisher rd. 400 an, der Zahl, von 
denen 350 gegenwärtig noch in Uebung und bislaug erst 50 
wieder eingestellt sind. 
Die grundsäsliche Gegnerschaft der deutschen Sozialdemokratie, 
die das Gewinnbetheiligungssystem als einen vom reichen Tisch 
den, Arbeitern hingeworfenen Brocken verdammt, sollte eher zu 
seiner Einführnng anspornen, als von ihr abschrecken. 
Die Siceiks und Bonykolts bezwecken fast immer nur die 
Verbesserung der materiellen Lage und der Behandlung der 
Arbeiter Wo nun ein höheres Einkommen und eine gute Be— 
handlung auf friedlichem Wege erreicht werden können, wie dies 
bei der Gewinnbetheiligung, falls sie richtig angefaßt wird, bei⸗ 
nahe stets der Fall sein wird, da dürften trotz des Abrathens 
ihrer Führer die Arbeiter diese Lösung den Unruhen der Kriegs⸗ 
führuug bald vorziehen lernen. Es ist vollkommen begreiflich 
und naturgemäß, daß in sehr vielen Gewinnbetheiligungsbetrieben 
die Augestellten dem Drängen, den Arbeilervereinigungen beizu⸗ 
sreten, widerstehen, weil „wir mit unseren Chefs im besten Ein— 
bernehmen leben“, oder weil „wir sehr gut behandelt werden.“ 
Darum verhalten sich die englischen und amerikanischen Ge— 
werkocreine der Reform gegenüber im allgemeinen auch nicht 
seindselig, sondern abwartend. Nur die deutsche Sozialdemokratie 
schüttet das Kind mit dem Bade aus, indem sie in ihrem Eifer 
für radikalere Mittel gegen das neue Verfahren auftritt. 
Es giebt übrigens sehr viele Theoretiker aller Richtungen, 
die sich lebhast für die Sache ausgesprochen haben. Andererseits 
haben nur äußerst wenige Prakliker das Gegentheil gethan. 
Selbst jene Firmen, die den einmal gemachten Versuch aus 
irgend einem Grunde wieder aufgaben, äußerten sich zu Gunsten 
des Systems, oder wenigstens faft nie dagegen. Und es ist eine 
Thatsache, daß alle akademischen Einwendungen und Be— 
fürchtungen, die an die Gewinnbetheiligung geknüpft wurden, sich 
iu der Wirklichkeit als unzutreffend erwiesen haben. Einer all— 
gemeineren Anwendung des Verfahrens steht nichts im Wege; 
es fehlt nur an der Einsicht und Ueberzeugung, daß es durch— 
führbar sei und daß der Geschäftsertrag in fast allen Unter— 
nehmungen durch den guten Willen der Angestellten gesteigert 
werden könne, falls man diesen einen entsprechenden Antheil am 
Mehrertrag bewillige. 
Heute glauben die meisten Unternehmer leider noch, es handle 
sich lediglich um ein Werk der Menschenfreundlichkeit, und vor 
Opfern schrecken sie zurück. Das ist ein bedanerlicher Irrthum. 
Der Gewinnbetheiligungsgedanke beruht gerade auf der Erwartung, 
daß die Angestellten den ihnen zufallenden Antheil verdienen 
helfen, d. h. durch erhöhten Eifer, größere Sorgfalt usw., also 
durch tüchtigere Leistungen wieder hereinbringen. Wie sehr sich 
diese Erwartung erfüllt, wollen wir an einigen Beispielen, die 
wir aus hundert ähnlichen wählen, darthun. Leclaire legte seinem 
Plan die Berechnung zu Grunde, daß ihm jeder seiner Arbeiter 
bei gutem Willen täglich den Werth einer Arbeitsstunde 
(damals 60, später 90 Eent.) und außerdem 25 Gent. an Roh— 
material ersparen könne, er riskirte also nichts, wenn er die Leute 
am Geschäftserträgniß betheiligte, um jenen guten Willen her— 
vorzurufen. Den Umstand, daß er Millionär geworden, schrieb 
er ausdrücklich seinem Antheilverfahren zu. Der Angouléemer 
Großindustrielle Laroche-Joubert, äußerte nach vierzigjähriger 
Ausuͤbung eines großartigen Gewinnbetheiligungungssystems: 
„Der Ehef denke ja nicht, daß er seinen Leulen etwas schenkt; 
zanz im Gegentheil, er macht ein gutes Geschäft.“ Der Pariser 
Buchdrucker Gasie schrieb an Böhniert: „Der sehr hohe Gewinn— 
autheil, den ich meinen Arbeitern gewähre, kostet mir keinen Deut 
F ganz im Gegentheil!“ Der Kalikofabrikant Besselivre in 
Maromme berichtet nach sechsjähriger Praxis: „Die 80 000 Fr., 
die wir bieher vertheilt haben, kosten uns nichts, da sie über den 
in unserem Geschäft üblichen Gewinn hinausgehen.“ Die große 
Genfer Firma Billon u. Isaae, Fabrikanten von Spieldosenbe— 
standtheilen, bemerkte: „Die sehr große Dividende, die auf die 
Arbeilter entfiel, kostete uns nichts; denn wir haben infolge der 
Cinführung der Gewinnbetheiligung viel mehr verdient, als sonst.“ 
Die englischen Kohlengrubenbesißzer H. Briggs, Son u. Co. er⸗ 
zielten vor Anwendung des Verfahrens kaum fünf, nachher 
durchschnitilich fünfzehn vom Hundert Kapitalgewinn. Der her— 
vorragende Pariser Optiker Baille-VLemaire meint: „Man rede 
mir da nicht von Philanthropie! Wozu von Wohlwollen sprechelt, 
da dog ausschließlich das Selbstinteresse in Betracht kommt?“ 
Diese wenigen Beispiele werden genügen. Die Unternehmer 
können sich bei der Sache ja auch von arbeiterfreundlichen Beweg— 
zründen leiten lassen, und zweifellos ist dies bei vielen auch der 
Fall; allein eine viel kräftligere Triebfeder ist in solchen Dingen 
das Geschäfisinteresse, und es ist am besten, wenn die Augestellten 
iich über diesen Punkt klar sind; denn dann werden sie sich viel 
Her dazn verstehen, anf die Reform einzugehen, als wenn ihnen 
diese wie ein Geschenk oder Opfer dargeboten würde.“ 
XIII. Wanderversammlung des Verbandes 
deutscher Architekten- und Ingenieur-VYereine 
in Freiburg in B— 
Die schöne Hauptstadt des Breisgaus, gleich ausgezeichnet 
urch landschaftliche Reize, wie bedeutsame Denkmäler deutscher 
Bankunst, war vom 4. —7. Septeniber d. J. Schauplatz der 
AII., zahlreich besuchten Wanderversammlung, des Verbandes 
zeutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine. Etwa 600 Theil— 
nehner aus Deutschland Oesterreich und der Schweiz hatten sich 
int Abend des 4. September in der reich geschmückten Festhalle 
im Karlsplatz eingefunden, wo der Vorsitzende des Orts-Aus— 
chusses, Herr Stadtbaumeister T'oma, ud Herr Oberbürger— 
neifter Dr. Winterer den Gästen liebeunswürdigen Willkommens— 
jruß entbolen. Auf die im Stadtbilde Freiburgs sich darstelleude 
Lerkörperung von Idealem und Realem hinweisend, richtete Herr 
Oberbändirektor Hinckeldeyn Dankesworte an die städtischen Be— 
sörden. Ein von dem Freiburger Architekten Herrn Stamnit 
gedichteter scenischer Prolog, der in schwungvollen Versen die 
Nothwendigkeit einmülhiger Zusammenarbeit des Archilekten und 
Ingenieurs begründete, würzte den von der Stadt Freiburg dar— 
Jjebotenen, stimmungsvollen Empfangsabend. 
Die am Miontag, den 5. September in der städtischen 
dornhalle beginnenden geschäftlichen Verhandlungen eröffnete der 
Verbands-Vorsitzende, Herr Geh Baurath Stübben von Kölu 
nit einer längern Ansprache, in deren Verlauf er der vielen und 
gzroßen Erfolge der deutschen Baukunst und Jugenieurtechnik 
während der letzten Jahre gedachte. Angesichts solcher Leistungen 
wvürden die Techniker nicht aufhören, auf die ihnen im öffentlichen 
Leben gebührende Würdigung Anspruch zu machen. Nach be 
gzrüßenden Ansprachen der Vertreter der badischen Landesregierung, 
her technischen Oberbehörden des Großherzogthums und der 
Stadt Freiburg berichtete der Geschäftsführer, Herr Stadtbau— 
inspektor Pinkenburg von Berlin, über die bereits früher mit— 
getheilten Berathungen der Abgeordneten-Versammlung; 
Den ersten Vortrag hielt der Vorsteher des Freiburger 
tädtischen Tiefbanamtes, Herr Buhle, über „die bauliche Eut— 
vickelung Freiburgs in den letzten 30 Jahren.“ Seinen mit 
zrotßzem Beifall aufgenommenen Ausführungen folgte der Vor— 
rag des erzbischöflichen Baudirektors, Herrn Meckel: 
Der Thurm des Münsters „Inserer lieben Frauen“ 
zu Freiburg i. B. und sein Baumeister. 
Mit einem gedräugten Abriß der Baugeschichte des Münsters, 
einer Entstehung und ursprünglichen Gestalt leitete der Vor— 
ragende die Beschreihung des Thurmbaues ein. Der Ausbau 
der als spätromauische, dreischiffige Pfeiler-Basilika angelegten 
Pfarrkirche Freiburgs fällt in die zweite Hälfte des 13. Jahr— 
Innderts. Keine Urkunde neunt den Namen des Meisters, dessen 
Henie in dem Wunderwerk des westlichen Thurmbaus dem opfer— 
villigen Sinne der damaligen Bürgerschaft ein würdiges Denk— 
nal setzte. 
Drei Haupttheile bilden das Bauwerk. Auf einem 36 
yohen, von Strebepfeilern begleiteten Unterban mit rechteckigem 
sßrundriß von 15,7 i östlicher und 15 J nördlicher Seitenläuge 
olgt ein 32 4 hohes Achteck, welches eine bis zur Spitze der 
dreuzblume in Maßwerk aufgelöste Pyramide von 48 Höhe 
rägt. Schon die Auordnung, des Unterbaus verräth den die 
Wirkung auf den Beschauer fein und sicher berechnenden Meister. 
Durch vier Gurtgesimse, deren zweites sich in Höhe der Seiteu— 
chiffsgesimse besindet, ist der Unterbau in fünf, der Reihe uach 
,5, 6, 6,5 11 und 7 4 messende Theile zerlegt, wobei die Höhe 
der drei untern jedesmal um die Gesimsstärke von 50 cy 
zunimmt. 
Eine noch wirksamere Steigernug wußte der Meister durch 
den Gegensatz zu erzielen, in welchem der Unterbau mit seinen 
»ielfach wagrechten Theilungen und dem kräftigen Galerieabschluß 
zu dem hart auf die Kaute des Vierecks aufsetzenden Achteck und 
zur Pyramide steht. In den hochstrebenden Linien dieser trium— 
»hirt fast allein die Senkrechte, wenn auch hier, wie die Quer— 
heilungen der Pfeiler und Fenster und die Galerien des Achtecks
	        
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