Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 58, Bd. 17, 1898)

173 XIII. Wanderversammlung des Verbandes deutscher Architelten? Und Ingenieur-Vereine in Freiburg i. B. — Nue Massiodedhe. 474 
bezw. die Zoneutheilung der Pyramide, zeigen, der Meister an 
die Wirknug der Horizontalen nicht verzichtet hat. -2Es ist eine 
umso bewundernswerthere Schöpfung, weil die Pyramide die 
erste ihrer Art war. Namentlich tu der Diagonal-Ansicht macht 
sich die vom Sockel bis zur Kreuzblume der Thurmspitze ununter— 
brochene Linienwirkung geltend, welche durch die einzig dastehende 
lUleberführung des Vierecks in ein Achteck erzielt' wird. 
Die Durchführung der Einzelheiten kennzeichnet in gleicher 
Weise das hohe Können des Meisters. Das beweist vor allem 
die prächtige, nach unten geöffnete, ehemals als Gerichtsstätte 
der Schöffen benutzte Thurm-Vorhalle mit dem Hauptportal der 
ztirche und einer überreichen Fülle köstlicher Einzelgestaltungen. 
Bemerkenswerth ist auch die Angliederung der Westfassade an 
die vorhandenen Seitenschiffe, wobei die bekannten, hier zum 
ersten Male angewaudten, viereckig umrahmten Rosen die Ver— 
schiedenheit der jiunern und äußern Achsen vermitteln. Dagegen 
hat der Meister mit richtigem Blick eine andere Ungleichheit, die 
einem modernen Baumeister vermuthlich viel Kopfschmerzen be— 
reiten würde — nämlich die um 60 cyn verschiedene Höhenlage 
der für den zweiten Güurt des Unterbaues bestimmenden Dach— 
gesimse au beiden Seitenschiffen — nicht berücksichtigt. Die be— 
treffeuden Gurte laufen in dieser verschiedenen Höhenlage gegen 
den Portalgiebel an, ohne daß dies bisher aufgefallen wäre. 
Ein Meeisterstück ist ferner die Anlage der das Viereck ab— 
schließenden Thurmgalerie, die zugleich als Bekrönnng des Vierecks 
und 'als Sockel des Achtecks zwischen beiden Motiven aufs 
glücklichste vermittelt. Nicht minder eigenartig und wirkungsvoll 
sind die übrigen Einzelheiten des Thurmes ausgebildet: die 
schlanken Achleckpfeiler und die einen vollendeten Uebergang 
bildeuden Vierortpfeiler des Achtecks, die Fenster des letzteren, 
welche infolge des schlank durchgehenden Pfostenwerks fast wie 
ein 30 270 hohes Gauzes erscheinen, schließlich die große Achteck— 
laterne, die sich mit der Pyramide zu einer durchsichtigen Be— 
krönung des Thurmes vereinigt, und die in ihrer Abmessung aufs 
feinste berechnete Kreuzblume. Leider hat der Einbau einer 
Wächterstube in den Glockenstuhl die Wirkung der Achteckfenster 
nachträglich etwas beeinträchtigt. 
Die Formensprache des in Frankreich geschulten Meisters 
saftet nur kurze Zeit an der dort aufgenommenen Kunstweise 
Schon bei der Ausbildung des Portals entfaltete sich seine, mit 
deu weitern Aufbau immer glänzender hervortretende Eigenart, 
deren Nachwirkung auf die dentsche Baukunst als eine entscheidende 
bezeichnet werden kaun. Während bis zum halben Viereck noch 
frühgothische Formen neben hochgothischen erscheinen, behaupten 
letztere von dort an die Alleinherrschaft. Schöpferisch ist der 
Meister seiner Zeit weit vorausgeeilt; manche der von ihm ver— 
wandten Formen und Profilirungen sind erst 50 und 100 Jahre 
später Gemeingut geworden. 
Vollkommen wie die Formensprache ist auch die Konstruktion. 
Schon Adler hat in seiner Studie über das Freiburger Münster 
(Deutsche Bauzeitung 1881) hervorgehoben „jene bewußte Kühn— 
heit, welche gleichzeitig Aufang und Ende erwägend, bereits unten 
nicht mehr bewilligt, als zum sichern Gelingen absolut erforderlich 
ist.“ Dafür zeugen nicht allein die bei 15,7 700 Seitenlänge des 
Thurmgrundrisses und 10, 210 Lichtweite der Vorhalle auf nur 
2. — 1,5 bemessenen Mauerstärken des Unterbhaues, sondern 
auich die Art, wie durch Vorziehen des Portalbogens in dir 
Thuͤrmhalle die fehlenden östlichen Strebepfeiler des Thurmes 
erfetzt wurden, und namentlich die Beschaffung eines Widerlagers 
für den im zweiten Thurmgeschoß sich nach der Kirche öffneuden Bogen 
der St. Michaels-Kapelle durch Verstärkung des an den Thurm an— 
schließenden, ersten Strebesystems. Sehr geschickt ist auch die 
Verstärkung zwischen Achteck und Viereck ausgeführt; durch Ver— 
bindung der Achteck-Seiten mit den vorgelegten Eckpfeilern wird 
erreicht, daß das im Aeußern bereits 30 unterhalb der Galerie 
beginnende Achteck sich im Innern noch 12,53 20 über der— 
selben fortsetzt. 
Als eine erstaunliche Leistung des Meisters ist ferner die 
Konstruktion der an der Nordostecke des Thurmes außen'an 
Achteck emporsteigenden, frei durchbrochenen Wendeltreppe zu er— 
wähnen. Den Höhepunkt seines technischen und künstlerischen 
Schaffens bezeichnet jedoch der auf jede Diagonalverbindung ver— 
zichtende Aufbau der Achtecklaterne mit der Pyramide, derer 
Schwellunng nach den Ergebnissen des Meydenbauerschen Meß 
bildverfahrens nicht in einer Bogensläche verläuft, sondern viel 
mehr aus einer zweimaligen Brechung der geraden Flächen 
hesteht. 
Alle bisher versuchten Erklärungen der Gründe für diese 
Brechung sind anfechtbar. Ein Setzen und Nachgeven in den 
Fugen, Schönheitsrücksichten oder Arbeitsfehler können nicht di 
Veranlafsung gewesen sein. Vielleicht darf man aus dem Um— 
stande, daß die erste Brechung genau an der Stelle beginnt, wo 
die Stärke des Maßwerkes sich von 57 auf 45 c verringert 
und wo zugleich an der Behandlung, der Einzelheiten Viele eine 
andere Hand, erkennen wollen, schließen, daß der, Meister den 
Thurm anfänglich höher geplaut, diesen PlanZaberawährend der 
Ausführung aufgegeben hat. 
Wie war es,möglich, Zdaß der Name eineszIsolchen Meisters 
der Nachwelt nicht erhalten blieb? llebereinstinimend mit den 
Ueberlieferungen des Volksmundes, hatzAdler den Nachweis I zu 
führen gesucht, daß Erwin von Steinbach, der Erbauer der 
Sltraßburger Münsterfassade, auch den Thurmbau des Freiburger 
Nüusters geschaffen hat. Vieles spricht für, diese Annahme; 
doch stimmt das hiernach berechnete Lebensalter dieses Meisters 
nicht überein mit seinem, an, den Konsolen ‚der Wiereckgalerie 
im Freiburger Münster erhaltenen Bildniß, welches einen reifen 
Mauͤn inmuͤten seiner bereits zahlreichen Familie darstellt. 
Das Gegenstück zum Thurm des Freiburger, Münsters, der 
von Johannes von Schwäbischgmünd entworfene, bis heute noch 
unvouendete majestätische Chor, ist ein Werk aus der Zeit der 
Spätgothik; mau neunt diesen Abschnitt der Runstgeschichte eine 
Zeit des Verfalls. Der Vortragende kaun sich dieser Anschauung 
zücht anschließen. Er sieht vielmehr in der eigenartigen, keru— 
deutschen Sprache dieses Baustils den Gipfel mittelalterlicher 
unst“ An sie müsse angeknüpft werden, um wieder zu einem 
relbständigen nationalen Baustil zu gelangen. — 
Den' Vortrag folgte die gruppenweise Vesichtigung des 
Münflfers. Am Nachmittag vereinigte die Theilnehmer eine mit 
Damen uünternommene Wagenfahrt über den Schloßberg' nach 
Ste Ottilien und dem Waddsee, welche, verbunden mit einem 
durch reizvolle Uferbeleuchtung und musikalische Vorträge vei— 
schönten Nachtfest, allgemein als eine recht gennßreiche Veran 
staltung dankbar empfunde wurde. 
VUene Massiundeck. 
(Hierzu 3 Fig.) 
Feuerfeste Decken konnten in früheren Zeiten nur als die 
ganze Bodenfläche in Einem überspannende Steingewölbe herge— 
stelli werden, wie dies noch in Kellern viel üblich ist. Die neueren 
massiven Decken sind demgegenüber ein werthvoller Fortschritt, 
der da, wo die Decke aus Stein und Mörtel ohne Eiseneinlagen 
zwischen den Fugen, durch Einfachheit und Billigkeit am auffäl— 
aigsten wird, wenn es gelingt, denselben durch Vermeidung der 
Bogenform die Vortheile der geringen ztonstruktionshöhe zu sichern. 
Die den Architekten Lorenz und Friedrichs in Hannover neut 
—VDDD—— 123) die Form, 
die im Holzverband Nuth und Feder nicht in scharfem, soudern, 
der Natuͤr des Formsteines entsprechend in weich geschwungenem 
Zuge ausgebildet ist. Da zur Herstellung der Steine bester 
Fig. 
4 
Bergthon wie zu Verblendsteittẽ.agenommen wird, so wird gleich, 
zeitig eine erhebliche Vergrößerung der Festigkeit gegenüber 
borösem Ziegelmaterial oder Schwemmsteinen erzielt. Die er— 
wünschte Leichtigkeit dieser Konstruktion wird mittelst Durchlochung 
der Steine gewonnen. Das neue Shystem ermöglicht vermöa—
	        
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