Full text: Erläuternder Text (Textband) (1905)

Abteilung II. 
einem umfriedeten Vorhof betritt man eine offene 
Vorhalle, durch die Tür dahinter den Hauptraum; 
Stützen, Wände und Decke sind aus dem Fels 
gehauen; im Hintergrund gegen Westen die Nische 
mit der Scheintür, oft davor die Statue des Ver 
storbenen. Alle Wände voll Malereien, Taten und 
Vorgänge aus dem Leben schildernd, Opfergaben 
darstellend, als Ersatz für die wirklichen Vorräte 
in den Magazinen der Gräber des A. R. Bei den 
Gräbern von Beni-Hassan kommen auch die sog. 
protodorischen Säulen vor, die aus der Abkantung 
des Viereckpfeilers zur 8- und löseitigen Säule 
entstanden sind (Tafel 6, Fig. 1). Doch ist die 
Bezeichnung protodorisch irreführend, die Ähnlich 
keit nur sehr äußerlich mit der wirklichen dori 
schen Säule, deren wichtigstes Glied, der Echinus 
der ägyptischen Stütze, ganz fehlt. 
Schon im A. R. kommen die wichtigsten ägyp- 
tischen Säulenformen vor: Die Papyros-, 
Lotos- und Palmensäule. Alle drei sind 
Pflanzensäulen. Der Schaft steht auf tellerartiger, 
dünner Basisscheibe, über dem Kapitell vermittelt 
ein Abakus den Übergang zum Gebälk. Lotos- 
und Papyruskapitelle kommen in je zwei Arten 
vor. Entweder bilden sie ein Bündel von Knospen, 
dementsprechend ist auch der Schaft als Bündel 
säule gekennzeichnet, durch ein 5teiliges Halsband 
ist er zusammengebunden — oder sie bestehen 
nur aus einer Blüte oder Knospe — dann ist der 
Schaft ein glatter Stab. Letzteres ist wahrschein 
lich nur eine abgeleitete Form: die ursprüngliche 
jdee ist die Bündelsäule. Im Gegensatz zum 
Lotoskapitell (Tafel 2, Fig. 9, 11, 12; Tafel 10, 
Fig. 7) ist das Papyrusknospenkapitell kennt 
lich an den kurzen Blütenblättern, und der Schaft 
an der bauchigen Form der Einziehung am Fuß 
ende und den Wurzelblättern (Tafel 10, Fig. 5, 9; 
Tafel 6, Fig. 2). Allerdings wird später das Motiv 
der Wurzelblätter auch auf die Lotossäulen, ja 
sogar auf Palmsäulen übertragen, so sehr ge 
hört es zum Formenapparat der ägyptischen Säule 
(Tafel 10, Fig. 6). 
Während im M. R. gerade in den Gräbern von 
Beni-Hassan die Bündelsäulen noch sehr zarte Bil 
dung und Feinheit zeigen, verzichtet man im Neuen 
Reich bei wachsenden Maßstäben bald auf die 
Bündelteilung und macht Schäfte und Kapitelle 
glatt. Das Knospenkapitell wird zur stumpfen 
»abgedrehten« Knospe; daneben tritt zahlreich und 
bedeutend das Doldenkapitell auf (Tafel 6, 
Fig. 4 u. 5). Als Erinnerung an die Bündel 
säule bleibt das Halsband. Auch die Schaftein 
ziehung wird später aufgegeben. Man hat damit 
eine große und klargezeichnete Form gewonnen, 
die zu den ungeheuren Abmessungen der Riesen 
bauten paßte, bei denen es nur auf Massen 
wirkung ankam, nicht mehr auf Feinheit der Einzel 
bildung. 
Erst in der Spät zeit treten wieder zartere 
und feingegliederte Säulenkapitelle auf. Eine Pa 
pyrusabart mit langspitzigen Kelchblättern ist be 
sonders beliebt (Tafel 6, Fig. 3 u. 6); die Dolden 
form gibt den Umriß, ist aber geteilt, so daß eine 
vierteilige Bündelsäule als Grundform zu erkennen 
ist. Die Natur der ägyptischen Pflanzensäule hat 
sich also behauptet, wenngleich der Schaft glatt 
bleibt; das Halsband rückt herunter, ein Stück des 
vielgliedrigen Halses wird noch sichtbar. Diese 
letzten Äußerungen ägyptischen Formsinnes sind 
noch so stark, daß sie weit in die römische Zeit 
hineinwirken. 
Tafel 3 u. 4 u. Tafel 10, Fig. 3 u. 4. Erst aus 
dem N. R. sind Tempel gut erhalten auf uns ge 
kommen, die größten und bedeutendsten bei Theben. 
Sie zeigen in der Hauptsache die Formen der Archi 
tektur und Anlage, welche schon die frühe Zeit 
geschaffen und die religiöse Sitte geweiht hatte. 
Im Grundriß besteht ein ägyptischer Tempel des 
N. R. aus dem Säulenhof mit dem Pylon 
als Eingang, dahinter folgt ein Säu lens aal, quer 
gestellt, dann das Allerheiligste (Sekos) mit 
dem Kultbild, es wird umgeben von Magazinen 
und Nebenräumen. 
Im Aufriß erheben sich die beiden Türme des 
Pylons mit geböschten Wänden, zwischen ihnen 
das hohe Tor, bekrönt von einer mächtigen Hohl 
kehle, die geschmückt ist mit dem Symbol des 
Sonnengottes. Die Wände werden bei den Tem 
peln des N. R. und später völlig mit Schriftzeichen 
und Darstellungen in bemaltem Relief überzogen. 
Zu beiden Seiten des Portals flattern an Festtagen 
an schlanken Holzmasten, für die in die geböschten 
Wände eigens Schlitze eingelassen sind, bunte 
Wimpel. Vor dem Eingang erheben sich Kolossal 
statuen der königlichen Stifter und ebenfalls paar 
weise sehr oft die bei Jubiläen gestifteten Obe 
lisken Symbole des Sonnengottes, Granitmonolithe 
mit vergoldeter Spitze. Den Zugang zum Tempel 
bezirk säumen oft lange Reihen von Widdern oder 
Sphingen als Wächter der Tempelstraße. 
Tafel 5. Diese bedeutende Betonung des Ein 
gangs entspricht dem Baugedanken des ganzen 
Tempelplans. Genau genommen ist er nichts an 
deres als ein durch verschiedene Räume hindurch 
geführter Prozessionsweg. An den größten Tem 
peln ist durch Generationen vom M. R. bis in die 
Ptolemäerzeit gebaut worden. Man verlängerte 
den Prozessionsweg durch immer neue vorgelegte 
Vorhöfe, Pylone und Säulensäle. So entstanden in 
Karnak und Luxor die Riesentempel. Der gewal-
	        
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