Abteilung IV.
wie verschleierte Form, die seltsam zu den oft
sehr großen Abmessungen der altionischen Kult
bauten kontrastierte.
Fig. 5 u. 6 zeigen ionische Basen des 4. Jahr
hunderts. Man erkennt noch die Herkunft von
der altionischen Form. Das Kehlenstück hat aber
eine energische Gliederung und damit starke
Schatten- und Lichtunterschiede bekommen. Am
Wulstglied ist bei Fig. 5 nur noch der untere
Teil geriefelt, oben darauf liegt volles Licht. Der
Säulenschaft wird durch die normalen 24 ionischen
tiefgekehlten Kanäle belebt. So atmet die Säule
gleichsam stärker, als ihre altionische Vorläuferin.
Unter die Basis wird eine hohe Plinthe einge
schoben, ein Vorgang, der im 1. Jahrhundert v. Chr.
allgemeine Nachahmung gefunden hat und mit der
attisch-ionischen Basis vereinigt, zur Normalform
geführt hat.
NB. Die den Profilen beigeschriebenen Maße
sind keine Zentimetermaße, sondern Hundertstel
des unteren Säulendurchmessers.
Tafel 29. Attisch-ionische Säulen und
Anten-Füße. Die attisch-ionische Basis unter
scheidet sich von der kleinasiatisch-ionischen durch
ihre geringere Höhe und vor allem durch das ihr
eigentümliche untere Wulstglied (Torus), das bei
der Basis des Niketempels (Fig. 7) erst bescheiden
unter dem Hohlkehlenglied (Trochilus) erscheint,
bei den Basen der Erechtheionhallen aber schon
kräftiger entwickelt ist. Die Hohlkehle wird später
knapper, und es entsteht aus der Zweiteilung der
kleinasiatischen Basis allmählich die Dreiteilung
der attischen, aus der sich in spätgriechischer und
römischer Zeit die allgemein übliche sog. attische
Basis ergab, welche in der Renaissance und bis
heute eine geltende Säulenfußform geblieben ist.
Die für Kleinasien typische horizontale Riefelung
wird ebenfalls bereits am Erechtheion ersetzt durch
ein köstliches Flechtband (Fig. 2—4). Fig. 5 u. 6
geben die entsprechenden Antenprofile, die am
Erechtheion als Wandsockel weitergeführt sind. —
Die Konstruktion zur Aufzeichnung der Schwel
lung eines Säulenschaftes zeigt Fig. 8. Man teilt
die Höhe durch horizontale Linien in vier Teile,
projiziert dann das Maß des gegebenen oberen
Durchmessers (Punkt 4) auf einen über dem unteren
Durchmesser umgeklappten Halbkreis; teilt dann den
Abstand von diesem erhaltenen Punkt auf dem Kreis
bogen ebenfalls in vier Teile. Die Lote über diesen
Teilpunkten geben auf den entsprechenden hori
zontalen Teilungslinien die Punkte der Schaftlinie.
Tafel 30. Einfaches attisch-ionisches
Kapitell. (Nach dem Vorbild der ionischen Ka
pitelle am Niketempel.) Kennzeichnend für attisch
ionische Kapitelle des 5. Jahrhunderts v. Chr. ist
die kraftvolle Form der Polster, ihre bedeutende
Kanalisbreite (Kanalis wird das von beiderseitigem
Profilsaum umgebene, meist weich ausgekehlte
Volutenband genannt, das sich als Spirale rechts
und links aufwickelt, vgl. Fig. 4) und die weiche
elastische Absenkung des unteren Kanalisrandes
über dem Eierstab. Typisch sind auch die ver
hältnismäßig großen und vom Schaft weit ab
stehenden Augen der Voluten. Man beachtet auch
die strenge Übereinstimmung der Schaftteilung
durch 24 weich-elliptisch ausgekehlte Kanäle mit
der Teilung des Wulstgliedes in ebenso viele sog.
Eiformen.
NB. Die den Zeichnungen beigeschriebenen
Maße geben ungefähre Verhältnisse an, die hier
auf den oberen Durchmesser bezogen sind.
Tafel 31. Reiches attisch-ionisches Ka
pitell. (Von der Osthalle des Erechtheion, Ma
terial: weißer Marmor.) An drei Seiten des Erech
theion sind Säulenformen verwendet worden, die
von den etwas älteren, klar gezeichneten des Nike
tempels und der Propyläen abweichen. Hier ist
die Verzierungslust von Kleinasien her stärker zu
verspüren, sowohl in der Verdoppelung der Spiral
bänder als in dem Flechtband über dem Eierstab
und im palmettengeschmückten Hals. Aber auch
in der Aufteilung des Volutenrückens zeigen sich
Anklänge an das Ursprungsland und ein bewußtes
Abgehen von dem bereits erreichten Normaltypus
des Propyläenkapitells. Die Einzelheiten an sich,
besonders das herrliche Palmettenornament am
Säulenhals, sind von wunderbarster Feinheit der
Zeichnung und Ausführung, ln seiner ganzen For
menfülle bildet das Erechtheionkapitell mit seinen
schmäleren Volutenbändern einen bewußten Gegen
satz zu dem noch etwas schwerfälligen Kapitell des
Niketempels, in dem etwas von dorischer Schlichtheit
zu verspüren ist. Das Erechtheionkapitell dagegen
ist die vollendetste Leistung ionischer Kunst.
Tafel32. Schneckenkonstruktionen. Be
zeichnend für die attisch-ionische Volutenspirale
ist die verhältnismäßig tiefe Lage des Auges. In
folgedessen nimmt der erste Umgang rasch ab.
Rückt das Auge höher, so tritt die Verminde
rung der Breite langsamer ein, die Schnecke ist
gleichmäßiger, aber auch weniger lebendig. Es
kommt also alles auf die Stellung des Auges an
und auf dessen Größe. Bei attisch-ionischen
Schnecken beträgt der Augendurchmesser etwa
'/(; der Schneckenhöhe, bei asiatisch - ionischen
Schnecken nur etwa ] /7 bis V 8 -
Bei der Konstruktion nach Fig. 1 u. 2 muß der
Augmittelpunkt innerhalb der gegebenen Spiral
höhe so gewählt werden, daß die ersten 3 Radien
um je einen halben Durchmesser abnehmen kön
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