Full text: Erläuternder Text (Textband) (1905)

Abteilung IV. 
Tafel 54 u. 55. Türe und Fenster vom 
Erechtheion (Material: Marmor). DieTüre in der 
Nordhalle (Tafel 50 u. 51, Fig. 7E) war schon im 
Altertum berühmt. Nach ihr hieß die Nordhalle 
»die Halle gegenüber dem Portal«. Die reiche Pro 
filierung läßt sich begreifen als gesteigerte Holz 
rahmenform, die hier in Stein übertragen ist. Es 
sind drei Rahmen, die jedesmal durch ein Sima 
profil mit Stabglied gegeneinander abgesetzt sind. 
Der innerste wenig schmaler als der mittlere, der 
äußerste so breit als beide mit ihren Profilen zu 
sammen. Dieser äußerste kastenförmige Rahmen 
wird von einem Perlband außen und innen um 
säumt und ist mit reichen Rosetten geschmückt. 
Bronzerosetten möchte man sagen, so sehen sie 
aus, und tatsächlich sind sie auch aus Reminis 
zenzen an die Nagelung der Rahmenverkleidung 
aufzufassen. Alter Tradition gemäß hat die Türe 
leicht nach innen geneigte Gewände, ebenso wie 
auch die Fenster. Über dem Türsturz war ver 
mutlich nur eine einfache Bekrönung angenommen. 
Die jetzige Bekrönung und die seitlichen Konsolen 
sind wieder ein Stück des reichen kleinasiatischen 
lonismus; sie schließen sich nicht tadellos an die 
Umrahmung an, so köstlich sie auch in ihrer Aus 
bildung erscheinen. 
Tafel 56. Griechisch-korinthische 
Kapitelle. 
Vom Tempel zu Bassae. Das Original ist 
nicht mehr vorhanden. Wir kennen es nur noch 
aus verschiedenen Skizzen, die indes voneinander 
erheblich abweichen. Es gehörte zur Mittelsäule 
am Eingang zu der Kapelle (vgl. Tafel 3, Fig. 2). 
Für uns ist es das erste bekannte korinthische 
Kapitell. Über einem Blattkranz wachsen Eck 
volutenranken herauf, die zwischen sich große 
Mittelspiralen einschließen. Die Deckplatte ist ähn 
lich schwerfällig wie an den ionischen Kapitellen 
des gleichen Raumes (vgl. Tafel 52, Fig. 1—4). 
Vom Turm der Winde in Athen. Dieses 
Kapitell hält an der einfachen Kelchform ohne Eck 
voluten fest, begnügt sich mit einem enganliegen 
den Schilfblätterkranz und einer davorgestellten 
Akanthusblattreihe. Freilich ruht die viereckige 
Platte dabei etwas unvermittelt auf dem fein ge 
gliederten Kelch. 
Aus Paestum. Das Kapitell stammt vom sog. 
korinthisch-dorischen Tempel. Seine Voluten sind 
nach den neueren Aufnahmen wesentlich schwer 
fälliger, sie wachsen hervor über einem breit- und 
weichlappigen Akanthus, der für Unteritalien und 
den Westen überhaupt, im Gegensatz zum spitz 
gezahnten griechischen Akanthus, kennzeichnend ist. 
Tafel 57. Akanthuskapitell aus Milet 
(Material: Marmor). Eine jüngere Form des grie 
chisch-korinthischen Kapitelltypus (vgl. Tafel 58,59). 
Es fehlen daran die kleinen liebenswürdigen Bei 
gaben des Lysikrates-Kapitells (s. Tafel 58/59). Das 
Gebilde ist strenger, architektonischer geworden. 
Ein Perlstab trennt den geometrisch geteilten Schaft 
vom reich ornamentierten Kapitell; künstlerisch 
noch die wohltuendste Grenzlinie, die durch ihre 
eigene Teilung den Übergang zu der noch feine 
ren Liniatur des Blattkranzes bildet (vgl. dagegen 
Tafel 56). Der Akanthuskranz ist verdoppelt, je 
vier Blätter des oberen wachsen bis unter die 
Volutenranken (Helices), die stets eine tektonische 
Form behalten und sich nicht in Akanthusranken 
auflösen. Kleinere Mittelvoluten, an den Kelch der 
Grundform angelehnt, rollen sich ähnlich gegen 
einander, wie am Kapitell Tafel 58,59 und tragen 
auch eine Palmette, die jedoch unter dem Abakus 
bleibt. Dieser bildet im Grundriß ein ausgebuch 
tetes Viereck mit scharfen Spitzen, eine Form, die 
nur in feinem Material möglich war. Auch das zarte 
Laub des » Acanthus spinosus« verlangt ein homo 
genes Material, am besten Marmor. In grobem Stein 
lassen sich diese feinen Formen nicht wiedergeben. 
Tafel 58\59. Kapitell vom Denkmal des 
Lysikrates (Material: Marmor). Das Denk 
mal des Lysikrates ist eine der allerzierlichsten und 
feinsten Schöpfungen griechischer Baukunst und 
zugleich das erste uns bekannte Beispiel des Stock 
werkbaues in Griechenland. Kleinasien war mit 
dem sog. Nereidenmonument und dem Mausoleum 
in Halikarnaß schon lange vorausgegangen. Aber 
während dort über dem rechteckigen Untergeschoß 
ein rechteckiger Säulenbau folgte, erhebt sich hier 
über dem 3,86 m hohen quadratischen Sockel auf 
zwei Stufen der schlanke Rundbau, dessen Wan 
dung 6 Halbsäulen gliedern. Unterhalb der Kapi 
telle ist die Wand durch ein Abschlußgesims ge 
teilt, darüber sind in feinem Relief Dreifüße ab 
gebildet. Über den Säulen liegt das ionische Gesims 
(vgl. Tafel 61, Fig. 1) mit dem umlaufenden Fries. 
Das aus einem Block gehauene Schuppendach 
gipfelt in einem vielgliedrigen Blattkelch, dessen 
Krone den in einem lyrischen Sieg gewonnenen 
Dreifuß trug, und von dessen Fuß drei reiche 
Rankengebilde abwärts über die Dachfläche rollten 
(vgl. Tafel 63). 
Das Kapitell zeigt eine zierlich reiche Bildung. 
Schon die Schaftkanäle werden am oberen Ende 
in die Komposition eingezogen, indem ihre Enden 
als überhängende Blattformen, deren Mittelrippe 
von den Stäben gebildet wird, vortreten. Die tiefe 
Unterschneidung bei c d nahm wohl ehemals eine 
Metallverzierung auf, etwa ein vergoldeter Perlstab. 
Ein Kranz von glatten Blättern mit rundlichem 
Überfall — dahinter in den Zwickeln spitze Schilf- 
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